Bergedorf. Patrick Kühl (35), neu im Bergedorfer Grünen-Vorstand, war schon vielen Anfeindungen ausgesetzt. Das Leben zwischen zwei Geschlechtern.
Die Bergedorfer Grünen haben sich eine neue Besetzung des Co-Vorsitzes ausgeguckt: Neben Lenka Brodbeck, deren Vorstandsposition nicht zur Wahl stand, wurde Patrick Kühl einstimmig auf den Posten des Co-Vorsitzes gewählt. Kühl tritt an die Stelle von Heribert Krönker, der nicht erneut kandidierte. „Damit geht die Führung der zehnköpfigen Fraktion nun vollständig auf die junge Generation über“, frohlockt die Geschäftsführung.
„Naja, so ganz jung bin ich mit 35 Jahren auch nicht mehr“, meint der Mensch aus Neuallermöhe, der sich mit seinen blauen Haaren eindeutig der Punk-Szene zuschreibt. Für eine andere Zuordnung hat der*die gelernte Diplom-Finanzwirt*in länger gebraucht: Nämlich keine geschlechtliche Zuordnung zu haben. Patrick Kühl ist non-binär, versteht sich also weder als Mann noch als Frau. Und vor etwa sechs Monaten wuchs auch der Mut, zum Outing, also zum öffentlichen Bekenntnis.
Schon als Kind non-binär? Lieber mit Puppen als Fußball gespielt
„Ich sehe wohl trotz weicher Stimme und hohen Wangenknochen sehr männlich aus, und bin biologisch männlich. Das ist aber nicht mein soziales Geschlecht, nicht meine Identität“, sagt Einzelkind Patrick, dessen Mutter „mit einer Tochter gerechnet hatte, die Patricia geheißen hätte“. Immerhin spielte der Nachwuchs lieber mit Puppen als Fußball und überlegte mit 20 Jahren, „was an mir anders ist, ob ich vielleicht schwul bin“. Dann ging es Silvester 2012 in einem Frauenkleid in ein schwul-lesbisches Kulturzentrum, „aber das hat mich irgendwie nicht interessiert“.
„Du schwule Sau. Wenn ich dich hier noch mal sehe, bist du tot“, hatte Kühl ein junger Mann 2019 zugerufen, nur eine Straße von der Wohnung entfernt. Das war ein Schock – verbunden mit der Überlegung: „Setze ich mich mehr solchen Situationen aus, wenn ich mich politisch engagiere?“
Dabei ist Patrick Kühl, dessen Vater die Alternative Liste in Neumünster gegründet hat, schon 2010 in die Partei der Grünen eingetreten – und musste auf einem Wahlkampfstand von einem Senior hören: „Dich müsste man vergasen.“ Das ist bitter – zumal der Opa mütterlicherseits in der Waffen-SS war.
Böse Worte erzeugen einen Leidensdruck: „Muss ich so etwas aushalten? Ich will nicht diskriminiert und in eine Schublade gesteckt werden“, sagt Kühl. Nach fünf Jahren im Altonaer Finanzamt gelang 2019 die Selbstständigkeit mit einer Steuerberatungskanzlei: „Hier kann ich Geflüchtete beraten und People of Colour, ebenso gemeinnützige Vereine oder eine Designerin von Latex-Kleidern.“
Einen stilisierten Wutanfall auf den Rücken tätowiert
Mal sind es Männer- mal auch Frauenkleider, die den Körper bedecken, über den sich ein großes, buntes Tattoo schlängelt – von abstrakten Wolken bis hin zum stilisierten Wutanfall auf dem Rücken: „Das alles symbolisiert Kommunikation. Ich finde, wir sollten einfach höflich miteinander umgehen und jemanden fragen, wie er oder sie angesprochen werden möchte.“ In diesem Fall nämlich bitte nicht als „Herr Kühl“, sondern lieber mit „Hallo Patrick Kühl“. Das klinge vielleicht etwas gestelzt, sei aber bloß ungewohnt.
Dass im Pass noch „männlich“ steht, würde Patrick Kühl gern ändern – aber nur, wenn keine großen psychiatrischen Gutachten nötig sind. Und auch keine Operationen. Es sei übrigens unhöflich, von „umoperiert“ zu sprechen, besser beschreibe es die Anpassung des biologischen Geschlechtes an das soziale.
Oberbillwerder: Kühl freut sich auf einen autofreien Stadtteil
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Insgesamt möge die Gesellschaft einfach ein bisschen offener und bunter werden. So denkt auch die brasilianische Partnerin, eine Programmiererin, die in Stockholm wohnt. „Ich bin nicht böse, mache keinen Skandal draus, wenn mich jemand unabsichtlich falsch gendert“, aber es sei durchaus wichtig, auf eine gute Sprache zu achten: „Ich finde es auch nicht angemessen, Menschen in Neuallermöhe als sozial schwach zu bezeichnen, wenn sie doch eigentlich nur finanziell schwach sind.“
Und so gebe es auch in der Politik noch viel zu lernen. Zu den persönlichen politischen Zielen zählt Patrick Kühl die feste Stromversorgung für das Wutzrock-Festival (ohne Diesel-Motoren), die Gründung einer Bergedorfer Tagesstätte für Obdachlose und ein verstärktes Engagement im Bergedorfer Bündnis gegen Rechts. Dazu kommen die Themen der AG Oberbillwerder: „Ich freue mich auf einen weitgehend autofreien Stadtteil mit einem zweiten Schwimmbad für den Bezirk.“