Hamburg. Bei dem neuen Treff im Café Flop können sich Menschen aller Sexualitäten und Geschlechter austauschen. Warum das wichtig ist.

Die Luft ist frühlingshaft mild, der Himmel blau. Langsam beginnt es zu dämmern. Vor dem Café Flop an der Wentorfer Straße steht eine Gruppe Jugendlicher. Sie unterhalten sich, lachen, rauchen. Es gibt Burger und Pommes, die jemand von einem Restaurant geholt hat. Zum zweiten Mal ist der neue LGBTQI+-Treff am Donnerstag von 16 bis 20 Uhr hier im selbstverantworteten Jugendzentrum „Unser Haus“, das auch das Café Flop beherbergt, zusammengekommen. LGBTQI+ ist der englische Begriff für die Community der lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Das Plus steht dabei für weitere Geschlechtsidentitäten.

Sexuelle Identität ist nicht immer eindeutig

Mehr oder weniger spontan und am liebsten einmal im Monat will sich das Team treffen – und Menschen aller Sexualitäten einladen, sich hier auszutauschen. Ein Programm oder vorgegebene Diskussions­themen gibt es nicht. „Einfach zusammenkommen und sich austauschen“, sagt Mert E., der aus Hamburg-Nord kommt.

Der 19-Jährige ist einer der Leitenden der neuen Jugendgruppe und kennt Bergedorf durch seine Berufsschule. Viel verraten möchte er aber nicht über sich: „Wir wollen möglichst anonym bleiben, weil in Bergedorf einige Neonazis unterwegs sind.“ Auch aus diesem Grund habe er sich dazu entschieden, gerade hier einen Treffpunkt für die LGBTQI+-Szene zu organisieren.

Transpersonen brauchen einen sicheren Ort

„Transpersonen werden hier in der Gegend häufig angegriffen oder beleidigt“, meint Mert E.. Der neue Treff im Café Flop solle ein „Safe Space“ für junge Menschen sein – also ein sicherer Ort zum Wohlfühlen und sich vernetzen. „Hier kann über alles offen geredet und diskutiert werden, gerade über Sexualität oder Politik“, sagt Mert E.. Diskriminierung sei dabei natürlich ein Tabu: „Wer das macht, fliegt direkt raus und bekommt Hausverbot.“

Das sei sogar direkt beim ersten Mal passiert, erzählt der 19-Jährige, holt aber nicht weiter aus. Weil bei dem Vorfall Alkohol im Spiel gewesen sei, werde jetzt komplett auf alkoholische Getränke verzichtet. „In Bergedorf hat ein Treffpunkt für marginalisierte Gruppen der linken Szene bisher gefehlt“, sagt Mert E.. Der Menschenandrang bestätigt das: Um die 20 Leute kommen an diesem Donnerstagabend nach und nach durch die Gartenpforte. „Beim ersten Mal waren sogar mindestens 40 Leute da.“

Teilnehmer aus ganz Hamburg dabei

Ele R. ist heute zum zweiten Mal dabei. Mert E., den sie aus der Berufsschule kennt, hat sie dazu überredet, aus Osdorf anzureisen. „Es ist eine süße Idee, und hier sind viele liebe Menschen“, sagt die 18-Jährige. Ob sie neue Freunde finden wird, wisse sie selbst nicht genau.

„Es fällt mir nicht leicht, Freundschaften zu schließen.“ Trotzdem sei sie gern dabei. Frederic N. steht dicht neben ihr. Er kommt aus Altona und hat über Freunde von dem neuen Angebot gehört – so wie viele andere auch. „Es ist cool hier, um neue Menschen kennenzulernen“, sagt der 20-Jährige.

Yannick-Maria Reimers wurde mit seinem Freund schon bespuckt

Ein anderes Mädchen kommt aus Reinbek – weil sie in der Nähe wohnt, möchte sie lieber nichts über sich preisgeben. Ihre Haare hat sie zusammengebunden, Sommersprossen, Eyeliner, ein Nasenpiercing. „Am Rand von Hamburg gibt es wenige Orte für die LGBTQI+ Community. Hier trifft man Gleichgesinnte, fühlt sich wohl, das mag ich“, sagt sie.

Yannick-Maria Reimers (30) kann die Jugendlichen gut verstehen – auch, dass sie nicht viel Persönliches erzählen möchten. Gerade in der Pubertät seien viele verunsichert. Als nicht-binäre Person fühlt Reimers sich keinem Geschlecht und somit keinem der Pronomen „sie“ oder „er“ zugehörig.

„Ich bin einfach Yannick-Maria, einfach Mensch und möchte mit meinen inneren Werten gesehen werden.“ Reimers ist in den Kulturwissenschaften und im Kunstaktivismus aktiv, setzt sich für Aufklärung zum Thema Sexualität ein und hat auch schon an Schulen zu dem Thema gelehrt.

Auch schlimme Erfahrungen gemacht

Trotz vieler positiver Erfahrungen hat Yannick-Maria Reimers in Bergedorf auch schon Schlimmes erlebt: „Nach dem Einkaufen wurde ich bespuckt, als ich Hand in Hand mit meinem Freund ging.“ Gerade in der Gegend um die Sternwarte herum überlege das Paar sich zweimal, ob es Händchen halten wolle. „Ich habe schon das Gefühl, dass nicht-heterosexuelle Personen in Bergedorf teilweise mehr aufpassen müssen als zum Beispiel in St. Georg in der Hamburger Innenstadt“, sagt Reimers.

Eine andere ausgrenzende Erfahrung sei auch vor ein paar Jahren in einer Bergedorfer Schule passiert: „Als ich dort unterrichtete und sich eine meiner Schülerinnen als lesbisch outete, schlug ihr viel Hass aus der Schülerschaft und von den Eltern entgegen.“ Yannick-Maria Reimers sei wegen des Behandelns queerer Themen im Unterricht sogar entlassen worden. „Die katholische Schulleitung war nicht sehr offen. Es gab nach den Vorfällen noch nicht einmal ein ­klärendes Gespräch. Das hat mich nachhaltig schockiert und auch ein bisschen traumatisiert.“ Bis heute habe Reimers sich nicht wieder an einer Schule beworben.

Austausch ist wichtig für die Jugendlichen

Umso wichtiger seien Jugendtreffs, wie der neue im Café Flop – gerade für junge Menschen in der Findungsphase. „Der Austausch mit anderen ist so wichtig. Dabei merken viele zum ersten Mal: ,Ich bin okay, wie ich bin, und ich bin normal’.

Das wird zu Hause oder in der Schule oft nicht vermittelt, wenn Menschen sich nicht mit einem Geschlecht oder einer Sexualität identifizieren können“, sagt Reimers. Wer sich selbst akzeptieren könne, gewinne an Selbstbewusstsein und sei auch in anderen Bereichen des Lebens wie zum Beispiel in der Schule erfolgreicher.

Für die Zukunft sind im Verein auch Vorträge zum Thema LGBTQI+ geplant. „Wir wollen der Community eine Bühne geben und die Möglichkeit, über Probleme zu sprechen“, sagt Mert E.. Das Gartentor geht auf, vier junge Menschen kommen in den Garten. Grüne Haare, braune Haare, schwarze Haare, rote Haare – so bunt, wie Menschen nun mal sind.

  • Einige Definitionen zum Thema LGBTQI+

Lesbisch Frauen, die sich emotional und/oder sexuell zu Frauen hingezogen fühlen.

Schwule Männer, die sich emotional und/oder sexuell zu Männern hingezogen fühlen.

Bisexuell Menschen, die sich emotional und/oder sexuell zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen.

Trans-Personen identifizieren sich nicht oder nur teilweise mit dem bei der Geburt eingetragenen Geschlecht. Transmänner fühlen sich als Mann, Transfrauen als Frau. Andere sind nicht-binär und ordnen sich keinem Geschlecht zu.

Queer: Ein Sammelbegriff für Personen, deren geschlechtliche Identität und/oder sexuelle Orientierung nicht der zweigeschlechtlichen heterosexuellen Norm entspricht.

Intergeschlechtlich: Bei intergeschlechtlichen Menschen sind die geschlechtsbestimmenden Merkmale wie Chromosomen, Hormone, Keimdrüsen oder äußere Geschlechtsorgane eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen.

Genderfluid: Menschen, deren Geschlechtsidentität sich über einen Zeitraum immer wieder ändert: Mal ordnen sie sich dem männlichen, mal dem weiblichen, mal keinem Geschlecht zu.