Hamburg. Zahlreiche Babys von Zwangsarbeiterinnen starben während der Nazi-Zeit im Bezirk. Die Wochen des Gedenkens erinnern auch an sie.
Im Februar wandte sich Helmut Sturmhoebel als Teil einer Bergedorfer Initiative an die Öffentlichkeit. Sein Anliegen: genug Geld einzusammeln, um an 75 Kinder zu erinnern, die während der Nazi-Diktatur im heutigen Bezirk ums Leben kamen. Ihre Mütter waren Zwangsarbeiterinnen, die aus den Ländern des besetzten Europas nach Deutschland verschleppt wurden. Die Frauen mussten in Fabriken schuften, ihre Kinder starben an Krankheiten und Hunger.
An jedes einzelne Schicksal soll ein Stolperstein erinnern. Die ersten Messingplaketten werden jetzt während der Wochen des Gedenkens verlegt, am Mittwoch, 13. November, 11.30 Uhr – Treffpunkt an der Jakob-Kaiser-Straße 24. Durch die außerordentliche Spendenbereitschaft der Bergedorfer konnte die Initiative bereits alle fast 75 Gedenksteine finanzieren. Schon im April waren insgesamt 8396 Euro zusammengekommen, genug für 69 Steine. Dazu kamen zwei Großspenden in Höhe von 5000 Euro für zwei Infotafeln. „Das war ein bewegender Moment“, sagt Sturmhoebel.
Stolpersteine für tote Kinder werden in Bergedorf verlegt
Jetzt müssen die Steine allerdings zunächst hergestellt und dann von Künstler Gunter Demnig oder seinem Team verlegt werden. Demnig kommt am 13. November persönlich für die ersten Stolpersteine nach Bergedorf. An der Jakob-Kaiser-Straße 24 werden fünf Gedenksteine in den Boden eingelassen. Dazu kommen zwei am Weidenbaumsweg 69 sowie je einer am Heidhorst 1 und am Röpraredder 59. Im kommenden Jahr sollen unter anderem 56 Gedenksteine an der Kurt-A.-Körber-Chaussee 9 folgen, wo sich während des Krieges die Kap-Asbestwerke befanden.
Die Hamburger Psychologin Margot Löhr wird bei dieser Gelegenheit einen Vortrag halten. Löhr beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Schicksal der Kinder im Dritten Reich. Sie fand heraus, dass die schwangeren Mütter bis kurz vor und direkt nach der Geburt arbeiten mussten. Die Kinder waren in den Baracken oft sich selbst überlassen, im besten Fall versuchten sich ältere Kinder, um die Kleinsten zu kümmern. Laut Löhr existierte für die Kinder kein eigenständiges Mordprogramm der Nazis. Ihr früher Tod wurde jedoch in Kauf genommen oder sogar eingeplant.
Wochen des Gedenkens erinnern an Opfer des Nationalsozialismus
Den Auftakt macht die Eröffnung einer Ausstellung im Körberhaus (Holzhude 1) am 4. November um 18 Uhr. Die Schau mit dem Thema „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“ kann drei Monate lang in den Räumen 213 und 214 besichtigt werden. Die Ausstellung war zuerst im Hamburger Rathaus zu sehen und erzählt auf Bild- und Texttafeln die Geschichte der Betroffenen und nimmt Akteure und Netzwerke von alten und neuen Nazis in der Hansestadt in den Blick.
Im Fokus stehen auch die Aktivitäten von Rechten im Bezirk Bergedorf, der in den 1980er-Jahren zu einem Hotspot der Szene wurde. Passend zur Ausstellung hat die Arbeitsgemeinschaft Woche des Gedenkens ein Heft herausgegeben, in dem historische Dokumente zu dieser Zeit zusammengetragen wurden – wie zum Beispiel antisemitische Einträge in Schulhefte oder ein Interview mit einem 15-Jährigen mit türkischen Wurzeln, der von der alltäglichen Verfolgung durch Neonazis berichtet.
Diskussion über die richtige Strategie gegen Rechtsextremismus
Am Sonntag, 10. November, findet im SPD-Haus (Vierlandenstraße 27) eine Diskussion zum Thema „Strategien gegen Rechtsextremismus und für die Stärkung der Demokratie“ statt. Los geht‘s um 14 Uhr. Dabei steht unter anderem auch die Frage im Raum, ob der rechte Rand des politischen Spektrums besser bekämpft wird, indem er als direkter Gegner benannt wird – oder ob grundsätzlich das demokratische Miteinander gestärkt werden soll.
Eine besondere Lesung ist für Donnerstag, 14. November, 19 Uhr im SerrahnEins (Serrahnstraße 1) geplant. Dann tragen Alice Czyborra und Silvia Gingold die Erinnerungen ihres Vaters Peter Gingold vor. Dessen jüdische Familie wanderte 1933 nach Paris aus und war später in der Resistance tätig. Aufgrund ihrer teils kommunistischen Haltung hatten Mitglieder der Familie aber auch in der Bundesrepublik mit Problemen zu kämpfen und wurden teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet.
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Musikalisch wird es am Dienstag, 19. November, ab 18 Uhr, ebenfalls im SerrahnEins. Das Duo Mandos & Kaatz spielt dann ein besonderes Konzert unter dem Titel „Emigratsie – jiddische Lieder über Vertreibung, Flucht und Fremdsein“. In den Songs geht es häufig um das Schicksal von Juden, die vor der antisemitischen Verfolgung in die USA flüchteten und dort unter den schlechten Arbeitsbedingungen und dem Verlust ihrer Heimat litten.
Das vollständige Programm der Wochen des Gedenkens mit vielen weiteren Veranstaltungen ist online unter https://woche-des-gedenkens.de/ zu finden. Die Stolperstein-Initative sucht noch nach Patenschaften für die sechs fehlenden Stolpersteine, die in den Vier- und Marschlanden verlegt werden sollen. Spenden können auf das Konto des Freundeskreises KZ-Gedenkstätte Neuengamme e.V. – Stolperstein-Initiative Hamburg bei der Haspa unter IBAN: DE97 2005 0550 1502 9009 60 unter dem Stichwort „Zwangsarbeiterkind Bergedorf“ überwiesen werden.