Hamburg. Journalist setzt der vergangenen Ära der Kernkraft in Deutschland ein Denkmal. Wie ist er bloß auf diese Idee gekommen?

Kann ein Atomkraftwerk schön sein? Dieser Frage ist Thomas Voigt in den vergangenen Monaten selbst zu unmöglichen Zeiten nachgegangen: Der 64-Jährige, Redakteur unserer Zeitung im Ruhestand, ist morgens um 6 Uhr mit der Kamera in Brokdorf gewesen, zum Sonnenuntergang am Kernkraftwerk in Grafenrheinfeld bei Schweinfurt, er hat die Nacht durchgemacht, um zu ergründen, wann der Mond am besten über den Meilern von Stade oder Brunsbüttel steht. Und natürlich gehörten bei jeder Tour Richtung Süden Abstecher zu Monstern wie Isar I bei München oder dem Schnellen Brüter Kalkar nordwestlich des Ruhrgebiets stets dazu.

Das Ergebnis der Foto-Recherche hat nun ein überraschendes Produkt entstehen lassen, das ebenso skurril ist wie Kollege Voigt selbst. Oder sind beide doch genial? Die zwölf schönsten Ansichten der längst funktionslosen Betonriesen schmücken einen Kalender für das Jahr 2025, zu dem der Fotograf selbst eine ganz eigene Meinung hat: „Diesen Objekten von menschenverachtender Dominanz in ihrer Umgebung so etwas wie Ästhetik zu vermitteln ist selbst mit größtem Aufwand nicht zu schaffen.“

Fotograf hatte sich bei den Demos gegen das AKW Brokdorf selbst eine blutige Nase geholt

Aber vielleicht verleiht gerade dieses Dilemma dem fotografischen Denkmal dieser zumindest für Deutschland jetzt beendeten Ära der Energieversorgung ihren besonderen Reiz. „Ich wollte das im Kasten haben, bevor alle diese Klötze gesprengt und abtransportiert sind“, sagt Thomas Voigt, der sein Werk in limitierter Auflage zu je 100 Stück in den Größen DIN A3 und DIN A4 nun am Mittwoch, 11. September, auf den Markt bringt. Nicht zufällig ein ebenfalls zerstörerisches Datum.

Atomkraftwerk mitten in der Natur: der Meiler von Biblis im Süden Hessens.
Atomkraftwerk mitten in der Natur: der Meiler von Biblis im Süden Hessens. © Voigt | Thomas Voigt

Der eigentliche Ursprung des Atomkraftwerk-Kalenders liegt indes noch weit länger zurück als die verheerenden Anschläge vom Jahr 2001. „Ende der 70er-Jahre war ich mit ein paar Kumpels zum Rodeln ins Weserbergland gefahren“, sagt Thomas Voigt. „Da war das Atomkraftwerk Grohnde gerade im Bau. Und ganz oben auf dem grauen Riesen stand ein im Vergleich winziger Weihnachtsbaum. Dieses Symbol von Frieden und Miteinander auf einem so gefährlichen Monstrum ist mir in Erinnerung geblieben, auch weil ich mir bei den Protesten gegen den Bau des AKW Brokdorf anschließend selbst eine blutige Nase geholt habe.“

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Nun also der Atomkraftwerk-Kalender, auf dem natürlich auch der Meiler von Grohnde nicht fehlen darf. Hinter Bäumen mit malerischem Herbstlaub ziert er den Oktober und war sogar das erste Foto der Serie. Einen Weihnachtsbaum gibt es für den Dezember natürlich auch, der steht allerdings am Kraftwerk in Lingen. Weitere Kalenderblätter gibt es unter anderem von den Meilern in Biblis und Unterweser bei Bremerhaven sowie allen an der Elbe, einschließlich Krümmel bei Geesthacht. Besondere Hingucker sind Grafenrheinfeld, das im Frühjahr schon gesprengt wurde, der Schnelle Brüter Kalkar. Der ist nie ans Netz gegangen und dient heute mit aufgemaltem Bergmotiv als Kulisse eines Freizeitparks.

Ist nie ans Netz gegangen und dient heute als Kulisse für einen Freizeitpark: der sogenannte schnelle Brüter von Kalkar am Niederrhein.
Ist nie ans Netz gegangen und dient heute als Kulisse für einen Freizeitpark: der sogenannte schnelle Brüter von Kalkar am Niederrhein. © Voigt | Thomas Voigt

Den Atomkraftwerk-Kalender gibt es ab 11. September bei der Sachsentor-Buchhandlung in Bergedorfs Einkaufsstraße und per E-Mail-Bestellung an thovo@gmx.at direkt bei Thomas Voigt. Der Preis liegt bei 38 Euro für die große und 26 Euro für die kleine Ausgabe. Die ersten 25 Exemplare jeder Größe sind handsigniert.