Hamburg. Rahmenschaltung und Ledersattel: Maschinenbau-Ingenieur Konrad Lewandowski betreibt in Bergedorf ein „Top-Secret-Lager“.
Man findet ihn ganz hinten, im 60 Quadratmeter großen „Top-Secret-Lager“ zwischen Sattelstangen, Bremsbelägen, Schalthebeln und Klingeln. Dafür aber hat Konrad Lewandowski extra ein „Finde-Video“ produziert, denn Kunden müssen erst quer durch eine Tiefgarage laufen und dann die Auffahrt zu den Hallen nehmen, an der August-Bebel-Straße 58. Hier ist der „Milo Fahrradservice“, der sich auf Vintage-Rennräder spezialisiert hat, „die Dich auf der Straße einzigartig machen!“.
Schrauben ist seine Leidenschaft. Hobbymäßig angefangen habe er zu Coronazeiten in seiner Privatgarage in Neuallermöhe, erzählt der Maschinenbau-Ingenieur, der an der Lohbrügger HAW studiert hat. „Aber als die Universelle in Schwarzenbek wegen Umsatzeinbußen meinen Vertrag nicht mehr verlängert hat, habe ich mich selbständig gemacht“, so der 35-Jährige. Er hat vor zweieinhalb Jahren den Raum angemietet, in dem 100 elegante Rennräder Platz haben: „Die meisten sind aus den 70er- und 80er-Jahren. Die 60er-Baujahre machen eine Schweinearbeit, weil die Keiltretlager so schwer zu warten sind.“ Dafür aber halte das alte Material länger: „Die Ketten sind aus dickem Stahl, da ist der Verschleiß sehr gering“, sagt Konrad, der am liebsten mit seinem Vornamen angesprochen wird und oft erklärt: „Meine Familie kommt aus Danzig, da ist ein Lewandowski so häufig wie hier Müller. Da muss man also nicht unbedingt mit Fußballern verwandt sein.“
Vintage-Räder aus den 70er-Jahren haben oft Rahmenschaltung und Ledersattel
Nur online lässt sich ein Termin unter www.milobicyclettes.com ausmachen, denn so könne er sich die Arbeit am besten einteilen und Zeit für Kunden einplanen: Vorwiegend junge Leute kommen vorbei, oft aus Altona. Aber auch Lübecker, Dresdner, Kieler und Berliner seien dabei: „Ich verschicke auch deutschlandweit, aber lieber sollte man allein wegen der Rahmenhöhe vorher mal draufsitzen.“
Etwa bei einer Probefahrt auf dem weißen Rennrad für 999 Euro, das einen komplett verchromten Rahmen hat, 24 Gänge und eine handgemachte Lackierung. Oder auf dem goldfarbenen „Halbrenner“ mit Metall-Emblem und nur 23 Millimeter breiten Rädern: ein Damenrad von 1978. Ein elegantes Unikat ist auch das champagnerfarbene Peugeot-Rennrad von 1983: Lenkerband und Bremszüge sind neu gemacht, auch das Tretlager, Kette und Sattel. „Aber der filigrane Rahmen, das Schaltwerk und die Doppelhebelbremsen sind original“, erzählt Konrad, der das Zehn-Gänge-Schätzchen für 600 Euro anbietet.
Auf der Suche in französischen Dörfern
Apropos Peugeot: Die Idee mit den Vintage-Rädern stammt von seinem Cousin Milo, der in Frankreich nahe Lille wohnt (und den Namen der Firma trägt). „Die Franzosen, aber auch Belgier und Holländer behandeln ihre Fahrräder sehr liebevoll. Daher sind sie in gutem Zustand und lassen sich noch mit einer Marge verkaufen“, erfuhr Konrad, der seitdem gern durch abgelegene Dörfer fährt, bei französischen Senioren („unglaublich herzliche Leute“) in den Schuppen guckt oder die Garage räumt: „Manchmal bin ich mit einem vollen Transporter zurückgekommen.“
Neben Peugeot sind auch die französischen Hersteller Motobecane und Gitane sehr bekannt. Ebenso die Marke Mercier, die stolz auf die meisten Teilnahmen an der Tour de France ist. Selbst, wenn diese Vintage-Räder eher neun als heutzutage nur sechs Kilogramm schwer sind, finden sie in Bergedorf auch Käufer über 50 Jahren: „Die lieben die Nostalgie, etwa die Rahmenschaltung. Manchmal sind auch lustige Gimmicks dabei wie ein Splitterfänger am Vorderrad oder ein Kilometerzähler, der mit einem Gummi am Hinterrad befestigt ist und mechanisch zählt.“ In seinem Online-Blog widmet sich ein Kapitel dem Thema „Zeitlose Schönheit wiederherstellen: der Prozess der Restaurierung und Pflege eines Stahl-Vintage-Fahrrads“.
Neu: Reparaturservice für normale Straßenräder
Wobei bei aller Nostalgie bitteschön klar sei: „Gerade bei schlechtem Wetter ist jede Scheibenbremse besser als eine Felgenbremse“, urteilt der Fachmann. Dass er viele Räder für bloß 400 Euro verkaufe, liege daran, dass manch ein Student kein mit Hingabe aufbereitetes Rad haben mag, sondern nur einen Funktionscheck. „Aber auch das macht mir Spaß, weil ich mit jedem Rad Neues dazulerne“, sagt der 35-Jährige. Neuerdings bietet er auch die Reparatur von ganz normalen Straßenrädern an, denn „die Mitbewerber in Bergedorf haben drei bis vier Wochen Wartezeit“.
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75 Euro kostet eine Inspektion (ohne Material). „Die Bremse macht Alarm und die Schaltung springt im sechsten Gang“, sagt gerade ein Bergedorfer Kunde: „Bitte ein bisschen ölen und schmieren.“ Konrad Lewandowski lächelt, vor allem, wenn er keinen Zeitdruck hat. Denn vor wenigen Wochen ist er zum zweiten Mal Vater geworden. Deshalb habe er zwar inzwischen auch wieder einen festen Ingenieursjob (in Sachen Arbeitsvorbereitung für Gabelstapler) in Lüneburg, aber seine Wiederbelebung von Vintage-Rädern soll bleiben: „Ich möchte das Hobbyfeeling behalten. Aber mittwochs ist geschlossen“, sagt Konrad, bei dem tatsächlich Babypuder in der Werkstatt steht. Er grinst: „Damit legt sich der Schlauch einfach besser in den Mantel.“