Hamburg. Beton-Brutalismus des 70er-Jahre-Baus begeistert Klaus Sill, der die Bibliothek saniert hat. Gedanken zum Wegzug nach Oberbillwerder.

2016 erhielt der Hamburger Architekt Klaus Sill den Auftrag zur Sanierung der Bibliothek der Life-Science-Fakultät im Erdgeschoss der Lohbrügger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) am Ulmenliet. Acht Jahre später hat er nun ein Dutzend Besucher am Tag der Architektur durch die alten und neuen Räume geführt. Denn in der Architektenszene kennt man das Gebäude sehr gut, auch weil die Hochschule ihren energetisch schwierigen Koloss aus Stahl und Beton wohl zum Ende dieses Jahrzehnts in Richtung Oberbillwerder verlassen wird.

1972 auf der Anhöhe zwischen Höperfeld und B 5 im Bereich einer stillgelegten Ziegelei errichtet, steht das Ensemble mittlerweile sogar unter Denkmalschutz – als herausragendes Beispiel der Architektur des Beton-Brutalismus. Das klingt weder einladend, noch verspricht der Begriff ideale Bedingungen für eine wissenschaftliche Hochschule mit modernen Laboren. Ein Grund mehr, unter fachlicher Leitung mal näher hinzusehen.

Planung des Umzugs nach Oberbillwerder läuft an der HAW in Lohbrügge seit 2019

Klaus Sill immerhin gerät angesichts der endlos erscheinenden, von schmalen Betonstützen getragenen Eingangshalle ins Schwärmen. „Unser erster Impuls war natürlich, diesen Raum hier großflächig zur Bibliothek umzunutzen“, erinnert er sich an die ersten Pläne vor bald zehn Jahren. Neben der XL-Variante und einem zweigeschossigen Erweiterungsbau ging es am Ende dann aber doch „nur“ um die Sanierung der Bestandsbibliothek.

Blick ins Foyer der Hochschulbibliothek im weitläufigen Erdgeschoss der HAW, wo sich schon mancher Besucher verlaufen hat.
Blick ins Foyer der Hochschulbibliothek im weitläufigen Erdgeschoss der HAW, wo sich schon mancher Besucher verlaufen hat. © Martina Kalweit | Martina Kalweit

Geschuldet war das aber eigentlich nur der Tatsache einer bloß noch begrenzten Nutzungszeit. Schon 2016 war nämlich klar, dass die ganze Hochschule mit ihren fast 4000 Studenten und weit über 100 Professoren um das Jahr 2030 in Hamburgs neu zu bauenden 105. Stadtteil Oberbillwerder umziehen wird. Auch wenn sich dieses Großprojekt immer weiter nach hinten verschob und heute sogar wieder grundsätzlich infrage steht: Schon 2019 gab es an der HAW erste Planungsworkshops zum Umzug.

Sanierte Bibliothek besticht durch Tageslicht, das durch große Fensterfronten einfällt

Immerhin: Die Sanierung der Bibliothek ist jetzt, anno 2024, abgeschlossen. Mit Laptop oder Buch unterm Arm nehmen die Studierenden diese Welt der neuen und alten Medien gerade wieder in Beschlag. Zwischen Beton-Brutalität und einladender Nüchternheit trifft man sich gern im Licht: Terrassenartig in vier Ebenen gegliedert, war vor allem die Barrierefreiheit eine architektonische Herausforderung. Der jetzt eingebaute Aufzug wurde aus Spanien importiert. In Deutschland fand sich keine Firma, die in der Lage war, einen Lift zu bauen, der alle 75 Zentimeter stoppen und seine Türen in alle vier Richtungen öffnen kann.

Lichtdurchflutete Räume sind das Markenzeichen der umgebauten HAW- Bibliothek.
Lichtdurchflutete Räume sind das Markenzeichen der umgebauten HAW- Bibliothek. © Martina Kalweit | Martina Kalweit

Die spürbarste optische Veränderung brachte die Öffnung der Fassade. 2016 waren die Außenwände mit fest installierten, mehr als zwei Meter hohen Regalen versehen, der Blick ins Grüne damit verbaut. „Die Konzentration aufs wissenschaftliche Arbeiten geriet am Ende etwas düster“, so Klaus Sill. Dass der Hochschulbau 2019 während der laufenden Sanierung unter Denkmalschutz gestellt wurde, machte für ihn nichts einfacher. Mühsam arbeiteten sich alle Beteiligten fortan durch ein festgelegtes Regelwerk der Sanierung. „Um die Farbgebung im Inneren gab es irre lange Diskussionen“, erinnert sich Sill.

Scharfe Kritik des Denkmalvereins an den Umzugsplänen der Hochschule

Aber es hat sich gelohnt. Die behutsame Farbgebung rund um das vorgegebene Grau-Aluminium macht Konzentration weiterhin möglich und schluckt nichts von dem mittlerweile großzügig einfallenden Licht. An der Originalfassade wurden Gläser ausgetauscht, die nach heutigen energetischen Vorgaben keine Zukunft mehr haben. Die tragende Pfostenkonstruktion blieb aber bestehen. Auch das ein Kompromiss, der der vorgegebenen Nutzungszeit geschuldet ist und Kosten sparte. Insgesamt hat der Umbau knapp 1, 7 Millionen Euro gekostet.

Neben modernen Medien gehören auch uralte Bücher zum Bestand der Life-Science-Bibliothek der HAW in Lohbrügge.
Neben modernen Medien gehören auch uralte Bücher zum Bestand der Life-Science-Bibliothek der HAW in Lohbrügge. © Martina Kalweit | Martina Kalweit

Der Denkmalverein Hamburg kritisiert die städtische Umzugsvorgabe für die HAW. „Dem Vernehmen nach“, so heißt es in einem seiner Newsletter, „zieht die Hochschule nicht aus, weil das Gebäude ihren Funktionen nicht genügt, sondern weil eine Machbarkeitsstudie ergeben haben soll, dass eine energetische Sanierung nicht möglich sei.“ Auch Klaus Sill ist nicht begeistert: „Neubau ist immer teurer. Was man hat, hat man, auch wenn es energetisch saniert werden muss. Wir nennen das die graue Energie. Jeder Abriss vernichtet Raum und Energie.“

HAW Lohbrügge unter Denkmalschutz: Ein Abriss ist wahrscheinlich vom Tisch

Durch den Denkmalschutz ist der Abriss des Bergedorfer Betons nun wahrscheinlich vom Tisch. Auch wenn sich die Stadt Hamburg bei ihren eigenen Gebäuden manchmal erstaunliche Ausnahmen genehmigt. Damit es dazu nicht kommt, stellt sich umso drängender die Frage, was mit dem Gebäudekomplex nach dem Umzug passieren soll. Hier hat die Politik in Bezirk und Bürgerschaft bisher ebenso wie der Senat keine Vorschläge gemacht oder gar Konzepte vorgelegt. Auch die schon vor Jahren versprochene Befragung der Bürger, etwa in Form eines Zukunftsworkshops, ist nicht in Sicht.

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Klaus Sill jedenfalls hält nichts davon, den über der B5 thronenden Komplex komplett zum Wohngebäude zu machen, also seine Großzügigkeit kleinteilig umzunutzen. Sein Fazit nach der Führung zum Tag der Architektur ist eindeutig: „Eigentlich ist nur die Hochschule ein idealer Nutzer – und zwar für den gesamten oberirdischen Komplex.“