Hamburg. Mehr als 180.000 Menschen folgen @kriegundfreitag auf Instagram. Mit einer Ausstellung bezieht der Künstler klar politisch Position.
Mehr als 180.000 Menschen folgen Tobias Vogel, bekannt als @kriegundfreitag, bei Instagram. Seine Bücher mit scheinbar schnell aufs Papier geworfenen Zeichnungen, mal lustig, mal melancholisch, liegen in ganz Deutschland in den Regalen. „Mit dieser Reichweite geht auch Verantwortung einher“, betont der 41-jährige Bergedorfer. Deswegen steht Vogel am Mittwochmorgen in der Affenfaust-Galerie (Paul-Roosen-Straße 43) auf St. Pauli und kritzelt eine Wand voll. Strichmensch – die geschlechtsneutrale Form ist ihm selbst lieber – an Strichmensch. 12.896 Figuren sollen es am Ende werden. Alle gemeinsam demonstrieren gegen Rechtsextremismus.
Hinter jedem gezeichneten Strichmenschen steht eine Spende. Pro fünf Euro ein gezeichneter Demonstrant. Zusammen mit weiteren Spenden sind schon mehr als 65.000 Euro zusammengekommen. Das Geld geht an den Verein „Kein Bock auf Nazis“, der Initiativen, Gruppen und Einzelpersonen unterstützt, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren. Der Verein organisiert über Social Media Protestaktionen und ist auf Festivals mit Info-Ständen vertreten.
Bergedorfer Künstler @kriegundfreitag zeichnet Demo gegen rechts
Vogel hat seine Strichmenschen schon einmal gegen Rechtsaußen protestieren lassen. 2018, nachdem nach einer tödlichen Messerattacke auf einem Stadtfest tagelang Neonazis in der Stadt randaliert hatten. Vogels Figuren formten damals eine Strichmenschenkette, das gespendete Geld ging an den sächsischen Flüchtlingsrat. „Danach brodelte es ein paar Jahre in mir, ich wollte gern noch einmal eine ähnliche Aktion starten“, sagt Vogel. Als die Affenfaust-Galerie eine Ausstellung mit ihm plante, ergriff er die Gelegenheit am Schopf.
Vom 25. Juni bis zum 14. Juli konnten die Fans von @kriegundfreitag für zusätzliche gezeichnete Demonstranten auf der Wand in der Affenfaust spenden. Für besondere Meilensteine baute der Cartoonist kleine Überraschungen ein. Seit der 50.000-Euro-Marke tummelt sich beispielsweise eine Giraffe auf der Demo, bei 65.000 Euro kam ein T-Rex dazu. Ein paar Strichmenschen sind leicht personalisiert, sie tragen Locken oder benutzen einen Rollstuhl. „Jemand hat für einen Freund gespendet, der ein paar Tage vorher gestorben war“, erzählt Tobias Vogel. Deshalb steht jetzt ein Strichmännchen mit Hut in der Menge.
Wer vor der meterlangen Wand in der Galerie steht, entdeckt weitere Details. Auf Schildern finden sich Slogans, die in den vergangenen Monaten immer wieder durch die Hamburger oder die Bergedorfer Innenstadt getragen wurden. „Bunt statt braun“, „Omas gegen rechts“, „Kein Bock auf Nazis“. Fans des HSV, von Werder Bremen und dem FC St. Pauli, erkennbar an Rauten und Totenkopf, stehen Seite an Seite.
30 Stunden Arbeit hat Tobias Vogel bereits investiert
Die allermeisten Strichmenschen sind jedoch im klassischen @kriegundfreitag-Stil gehalten. Ein Kreis als Kopf, Striche für Arme und Beine, ein simpler Torso. Knapp 30 Stunden Arbeit hat Vogel trotzdem schon in die Aktion investiert, am Donnerstag will er fertig werden. Der Bergedorfer hat in der Mitte der Wand angefangen und arbeitet sich jetzt nach außen. „Die Lücken fülle ich teilweise mit Kindern“, sagt der 41-Jährige. Um den Überblick zu behalten, nutzt der Zeichner einen Handzähler, mit dem die Galerie normalerweise die Besuchermenge kontrolliert.
Tobias Vogel dokumentiert seinen Fortschritt auf Instagram, streamte drei Tage lang seine Zeichenaktion auf Twitch. Neben viel Lob gibt es immer wieder auch Kommentatoren, die infrage stellen, gegen wen sich die Aktion eigentlich richtet, die über Unterschiede zwischen rechts und rechtsextrem diskutieren wollen. Der Bergedorfer Künstler würde gern möglichst viele Menschen mitnehmen. Er zieht aber eine klare Grenze: „Die AfD ist auf jeden Fall mit dieser Demonstration gemeint – und alles rechts davon.“
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Bringt es denn überhaupt etwas, angesichts des Rechtsrucks in Europa Strichmenschen an eine Wand zu malen? Tobias Vogel zögert. „Man darf die Wirkung von Kunst nicht über-, aber auch auf keinen Fall unterschätzen. Mir hat als Jugendlicher Punkrock zum Beispiel sicher geholfen, nicht in eine komische Richtung abzurutschen“, sagt der 41-Jährige und fügt hinzu: „Es gibt viele komplexe Faktoren, die Menschen beeinflussen. Ich bin nur ein ganz kleines Teil.“ Ganz egoistisch helfe es ihm selbst, etwas zu tun. „Sonst tendiert man dazu, zu resignieren.“
Die gezeichnete Demonstration kann am Donnerstag von 14 bis 18 Uhr kostenlos in der Affenfaust-Galerie besichtigt werden. Am Sonnabend, 20. Juli, ist von 14 bis 17 Uhr eine Finissage geplant. Die Galerie verkauft in ihrem Onlineshop unter affenfaustgalerie.de/shop zurzeit auch Originalwerke von @kriegundfreitag und spendet zehn Prozent der Erlöse ebenfalls an „Kein Bock auf Nazis.“ Und auch wenn keine weiteren Strichmenschen mehr hinzukommen werden – die Spendenaktion auf betterplace.org läuft weiter.