Hamburg. Der Lord und sein Ritter suchen Mitstreiter für ihr mittelalterliches Hobby und werben am Wochenende beim Elb-Spectaculum in Stove.

Lord Warris McCólgan wohnt am Wiesnerring in Bergedorf. So steht es über dem Klingelknopf, und sogleich führt der „Hausherr“, gekleidet in einen blau-weißen Wappenrock, in sein Wohnzimmer. Hier finden sich Schwerter und prächtige Lampen am Kamin, ein alt anmutender Globus und die Fahnen vom „Gesindel der Falkenburg“. Die Tapete zeigt altes Gemäuer, und tatsächlich steht auch eine Ritterburg im Regal (von Playmobil). Aber vor allem in seiner Fantasie kann sich Florian Schütt immer wieder in das Leben des schottischen Lords hineinversetzen, den er selbst erfunden hat.

Zum leidenschaftlichen Fan des Hoch-Mittelalters, Anfang des 13. Jahrhunderts, wurde der 43-Jährige schon 1998: „Damals habe ich noch Judo-Kinder trainiert und sollte auf dem Öjendorfer Mittelaltermarkt dem kleinen Max eine Platzwunde versorgen, die er sich beim Schwertkampf zugezogen hatte“, erinnert er sich – und machte alsbald selbst mit, studierte Choreografien beim Hamburger Polizeisportverein und trainierte mit Stuntleuten. Seither gehört der Schwertkampf so fest in sein Leben wie der Besuch von Mittelaltermärkten.

Mittelalter-Fans: Bergedorfer auch beim Elb-Spectaculum in Stove dabei

„Am Anfang waren es 22 Märkte im Jahr, heute schaffe ich vielleicht sechs oder sieben“, sagt der Mann, der in seinem wahren Leben als Hausmeister in den „Tanzenden Türmen“ arbeitet, also täglich 24 Etagen erklimmt. Höher hinaus möchte er in seiner Fantasie, am liebsten mit den Falken fliegen. Seine Mutter stickte ihm dann auch einen Falken auf das Wappen (auf dem Sofakissen) – und füttert die anderen Lebewesen, wenn sich der Sohnemann in einen Lord verwandelt: Zumindest Kanarienvögel, Katzen und Fische haben es in sein Wohnzimmer geschafft, auch zwei Würgeschlangen räkeln sich hinter Glas: Königspythons.

Sehr originalgetreue Mittelalter-Fans mit Wappen auf dem Sofakissen: Florian Schütt (l.) und Sebastian Sieg.
Sehr originalgetreue Mittelalter-Fans mit Wappen auf dem Sofakissen: Florian Schütt (l.) und Sebastian Sieg. © bgz | Anne Strickstrock

Auch nächstes Wochenende springt die Mutter wieder ein, wenn Florian Schütt gemeinsam mit einem christlichen Nachfolger der Wikinger unterwegs ist: Ritter Gunnar Hjalgerson kommt mit zum Elb-Spectaculum am 13. und 14. Juli am Stover Strand. Wer hier 12 Euro Eintritt bezahlt, kann viele Tavernen und Brätereien sehen, Schenken und Handwerkskünste. Die beiden Freunde indes wollen nichts verkaufen, sondern auf 250 Quadratmetern ihr Reiselager vorstellen, samt Öllampen, Betten und Wandteppichen.

Kochen wie im Mittelalter: „Da muss man kreativ sein“

„Wir erzählen dann aus dem Leben im Mittelalter, bespaßen die Leute und helfen bei der Knappenrekrutierung“, meint Ritter und Leibwächter Sebastian Sieg, der sich zugleich als Koch betätigt: „Es gab Kohlrabi, Zwiebel und Getreide. Da muss man also kreativ sein, denn Paprika, Kartoffeln oder Tomaten kannte man im Mittelalter noch nicht“, erklärt der 41-Jährige.

Die „Falkenburg“ mit Rittern aus Playmobil.
Die „Falkenburg“ mit Rittern aus Playmobil. © bgz | Anne Strickstrock

In seinem wahren Leben arbeitet der Billstedter auf einem Islandpferdehof in Stapelfeld. Aber wochenends schlüpft auch er in eine andere Rolle und sieht – bis auf den 20 Zentimeter langen, mit Perlen besetzten Bartzopf – völlig anders aus: „Ich trage Wollsocken und Beinlinge, die am Bunde befestigt sind. Dazu eine Tunika und einen Wappenrock, bestickt mit Schaf, Schwert und Hirtenstab.“ Auf seinem Kopf sitzt eine Bundhaube: „Sie sollte früher die Läuse abhalten und hat zudem die Bewandtnis, dass Gott einem nicht in den Kopf schauen kann.“

„Meine Kopfbedeckung sieht aus wie ein Turban und sollte während der Kreuzzüge vor der Sonne schützen“, sagt Kumpel Florian. Immer dabei seien zudem eine Geldkatze, eine Gebetskette aus Glasperlen, das Arbeitsmesser und ja: Eine kleine Ledertasche, in der sich das Handy und der Haustürschlüssel verstecken.

Auch „wehrhaftes Weibsvolk“ darf bei Schwertkämpfen mitmachen

Sehr gern wären die beiden eine größere Gruppe und suchen Mitstreiter für ihr Hobby. Die sollten jedoch nicht arbeitsscheu sein (es müssen schließlich die großen Zelte auf- und abgebaut werden, die zwischenzeitlich in einem Treibhaus in den Vierlanden lagern), reichlich Freizeit haben und auch ein bisschen Geld. Denn: Nicht nur Feuerholz und Kohle müssen gekauft werden. „Allein das Kostüm samt Kettenhemd, Schwert und Schild kostet gut 3500 Euro“, sagt Florian Schütt, der bereits in einer ZDF-Doku „Ein Leben Daneben“ zu sehen war.

Neugierige müssen nicht gleich Ahnung vom Mittelalter haben, wenn sie sich per E-Mail melden (florian.schuett1981@googlemail.com), sie können gern erst einmal als Zofe, Lagerwache oder Magd anfangen. Bloß nicht als Wikinger oder Fantasy-Elfen: „Davon gibt es schon zu viele. Aber wir nehmen auch wehrhaftes Weibsvolk auf, das bei den Schwertkämpfen mitmachen darf“, betont „Ritter“ Sebastian.

Mittelalterfest in Bergedorf: 2012 gab es den „Sturm auf das Schloss“

Gern erinnern sich die beiden an den Juni 2012, als mit einem „Sturm auf das Schloss“ das Jubiläum 850 Jahre Stadt Bergedorf gefeiert wurde: Pferde und 700 Kämpfer waren damals dabei. „Wir haben einen mit Widderkopf bewehrten Rammbock gebaut und damit das Tor aufgebrochen“, erzählt Florian Schütt.

Mit ihrem Hobby eng befreundet: Florian Schütt (43) und Sebastian Sieg (41).
Mit ihrem Hobby eng befreundet: Florian Schütt (43) und Sebastian Sieg (41). © bgz | Anne Strickstrock

Jetzt freut er sich erst einmal auf Stove, will zudem Ende August nach Bremervörde und im September zum Blidenfest in Beckdorf, wo für den „Ruf der Ritter“ ein großes Katapult zum Steinewerfen aufgebaut wird. Der 43-Jährige liebt es nun mal, sich zu verwandeln: Zuletzt ging er als Cowboy verkleidet zu den Karl-May-Spielen nach Bad Segeberg.

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Und wenn gerade keine Festivität ist, muss er sich auch nicht langweilen: Sein Schlafzimmer mit den vielen Postern und der Sammlung der „lustigen Taschenbücher“ mit allen Bewohnern von Entenhausen bringen ihn gedanklich in die USA. Die Küche hat dekorativ einen asiatischen Touch. Und wer das Gästezimmer betritt, wandelt unter fliegenden Kerzen: Hier folgt alle Dekoration dem Harry-Potter-Zauber.