Bergedorf. Vor 70 Jahren wurde Deutschland Fußball-Weltmeister. Was die deutsche Nationalelf von den Helden von damals lernen kann.
Es ist der bedeutendste Erfolg in der deutschen Sportgeschichte: Vor genau 70 Jahren, am 4. Juli 1954 gewann die deutsche Fußball-Nationalmannschaft durch das „Wunder von Bern“ die Weltmeisterschaft. Das sorgte im Nachkriegsdeutschland für eine Aufbruchstimmung, die unserem Land heute oft zu fehlen scheint. In unserem Bergedorfer Blog „Volkers Welt“ geht es um die unbekannten Seiten des Erfolgs von damals und was er für die heutige Nationalelf bedeutet.
Fünf Jahre vor dem Tor seines Lebens kickte Helmut Rahn (1929-2003) noch in der 4. Liga beim SC Oelde 09. Zwei Jahre später war er schon Stammspieler bei Rot-Weiß Essen, einem der besten Teams der damaligen Zeit, und debütierte in der deutschen Nationalmannschaft. Ein kometenhafter Aufstieg.
Von der 4. Liga zum Fußball-Weltmeister: Die Geschichte des Helmut Rahn
Was sich wie ein Fußball-Märchen anhört, war aber keines. Denn auf der Rechtsaußen-Position hatte er einen überragenden Konkurrenten vor sich: Bernhard „Berni“ Klodt (1926-1996) vom FC Schalke 04 war drei Jahre älter und erfahrener, spielte mannschaftsdienlicher und war vor allem charakterlich sehr viel pflegeleichter als der eigenwillige Rahn. Ein wichtiger Punkt bei einem so autoritären Bundestrainer wie Sepp Herberger (1897-1977).
Als die WM 1954 in der Schweiz begann, spielte Klodt und steuerte einen Treffer zum 4:1-Erfolg gegen die Türkei bei. Rahn saß draußen. In der Vorrunde wurde er nur ein einziges Mal eingesetzt, im bedeutungslosen Spiel gegen Ungarn, als Herberger seine gesamte Stammelf schonte und Deutschland eine deprimierende 3:8-Niederlage bezog. Geopfert für die taktischen Spielchen des Bundestrainers, das deprimierte Rahn erst recht. Nach dem Ungarn-Spiel stahl er sich aus dem deutschen Mannschaftsquartier davon und betrank sich eine ganze Nacht lang.
Rahn packte schon seine Koffer, weil er mit seinem Rausschmiss rechnete
Als es hell wurde, machte er sich mit gemischten Gefühlen auf den Rückweg, wie Jürgen Leinemann in seinem Buch „Sepp Herberger. Ein Leben, eine Legende“ beschreibt. Rahn: „Ich fühlte, dass Seppl Herberger längst über meinen Ausflug informiert war und begann von selbst, meine Koffer zu packen, denn für mich war klar: Der Chef schickt mich sofort nach Hause.“ Herberger betrat das Zimmer, ignorierte Rahn Alkoholfahne und sagte nur „Jungs, bitte fertig machen zum Training.“
Der Rest ist Fußballgeschichte: Helmut Rahn verdrängte Berni Klodt aus der deutschen Elf, im Finale gegen Ungarn fiel ihm der Ball vor die Füße, „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen“, schrie Radioreport Herbert Zimmermann erregt, Rahn schoss und traf zum 3:2-Sieg. Das bedeutendste Tor des deutschen Fußballs, das wird es immer bleiben.
Auf dem Weg zum Titel bezwangen die Deutschen den Größten aller HSV-Trainer
Der größte Trainer, den der HSV je hatte, ist ohne Zweifel Ernst Happel. Von 1981 bis 1987 hatte der Österreicher das Kommando im Volksparkstadion, führte die Rothosen zu zwei deutschen Meistertiteln, einem DFB-Pokalsieg und vor allem zum legendären Triumph von Athen im Finale des Europapokals der Landesmeister 1983 gegen Juventus Turin.
Ernst Happel war bereits 55 Jahre alt, als er zum HSV kam und hatte da bereits eine komplette Karriere hinter sich. Als Trainer führte er unter anderem die niederländische Nationalmannschaft zur Vize-Weltmeisterschaft 1978. Als Spieler absolvierte Happel 51 Länderspiele für Österreich. Er war ein taktisch geschickter Verteidiger, der mit seiner Spielweise wesentlich mit die Grundlage für die Entwicklung des Liberos legte.
Als Nationalspieler zeigte Ernst Happel dem großen Ferenc Puskas die Grenzen auf
Sein Debüt im Nationaldress gab Happel am 14. September 1947 in dem Stadion, das heute nach ihm benannt ist: Im Praterstadtion – heute Ernst-Happel-Stadion – in Wien ging es ausgerechnet gegen die Übermannschaft von Ungarn, in der mit Ferenc Puskas und Jozsef Boszik schon zwei Spieler mitwirkten, die auch sieben Jahre später im legendären Weltmeisterschaft-Finale von Bern gegen Deutschland stehen sollten. Doch die Österreicher hatten auch ihre Qualitäten und siegten mit 4:3.
Fast wäre es bei der WM in der Schweiz zur Revanche gekommen. Österreich gewann ein spektakuläres Viertelfinale gegen den Gastgeber Schweiz mit 7:5 und galt danach als der große Herausforderer der Ungarn. Doch im Halbfinale folgte das Ende aller Träume, als Happel und Co. in Basel mit 1:6 gegen Deutschland untergingen. Der Weg zum „Wunder von Bern“ war für Fritz Walter und Co. frei.
Das Wankdorf-Stadion existiert nicht mehr, doch ein wichtiges Detail hat überlebt
„Sechs Minuten noch im Wankdorf-Stadion in Bern, keiner wankt, der Regen prasselt unaufhörlich hernieder.“ So beginnt die entscheidende Stelle im Radiokommentar von Herbert Zimmermann, als sich die deutsche Elf im WM-Finale gegen Ungarn anschickte, das Spiel für sich zu entscheiden. Im historischen Wankdorf-Stadion in Bern hatten offiziell 58.000 Zuschauer Platz. Beim Finale drängten sich jedoch rund 62.500 Menschen im weiten Rund.
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Im Jahr 2001 wurde das Stadion abgerissen. Die historische Uhr, die damals die 84. Minute anzeigte, als Rahn traf, steht heute als Denkmal am Stade de Suisse, das 2005 als Ersatz für das alte Wankdorf-Stadion errichtet wurde. Auch ein Bild des Finales findet sich dort. Auf dem Foto drängen sich die Zuschauer um den Uhrenturm, der mit Werbung für Toblerone, Longines und Continental beklebt ist und auf dem auch bereits das Endergebnis prangt: 3:2 für Deutschland. Vielleicht die größte Sensation, die es jemals in einem WM-Finale gegeben hat
Aus dem Hintergrund müsste Raum schießen... äh: Rahn
Was bedeutet der Erfolg von damals nun für die heutige deutsche Nationalelf? Auch sie steht 70 Jahre später vor einem Spiel gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner: Spanien. Heißt es am Freitagabend nun: „Aus dem Hintergrund müsste Raum schießen?“
Linksverteidiger David Raum machte in dieser Woche jedenfalls Schlagzeilen, als er im Trainingslager in Herzogenaurach den Telefonanruf seiner Oma annahm und das Telefonat in den Sozialen Medien dann viral ging. „Man weiß nicht, wie lange man seine Großeltern hat“, betont Raum im Interview mit dem ZDF. „Daher sollte jeder, der sie noch hat, es wertschätzen und sie ab und zu anrufen, um sich etwas positive Energie zu holen.“ Wer mit 26 Jahren so weise und geerdet ist, der kann auch Spanien schlagen. Ganz sicher!