Lohbrügge. Künstliche Intelligenz hilft Betrügern bei Schockanrufen. Ein Lohbrügger erzählt, warum er alles glaubte und fast zum Opfer wurde.

Als Bernd Homfeldt am Telefon hört, seine Tochter habe ein siebenjähriges Kind totgefahren, ist er in totaler Schockstarre. „Ich konnte nicht mehr klar denken“, erzählt der Lohbrügger. Bange verbringt der ehemalige Sport- und Englischlehrer ganze 20 Minuten an gleich zwei Telefonen – bis ihm endlich gewahr wird, dass er Betrügern zuhört. Dass er Opfer eines Schockanrufs geworden ist. Dass die Täter offenbar künstliche Intelligenz einsetzen, um Stimmen zu imitieren. Die Masche indes ist derart perfide, dass Homfeldt seine Geschichte erzählen möchte, um zu warnen und zu Wachsamkeit aufzurufen. Denn: „Diese Gauner sind noch immer nicht geschnappt.“

Es ist am vergangenen Freitagmittag gegen 12.30 Uhr, als das Festnetztelefon klingelt. Der Vater von fünf erwachsenen Kindern hört seine Tochter Hanna, die in Lübeck Musik studiert und sich tatsächlich manchmal ein Auto ausleiht, um Instrumente transportieren zu können: „Papa, ich habe eine Ampel bei Rot überfahren und bin in eine Familie gerast.“ Sie schluchzt und wird unterbrochen, weil ein Polizeihauptkommissar Meyer mitteilt, dass ein siebenjähriges Kind seinen Verletzungen im Krankenhaus erlegen sei. Außerdem sitze Hanna nun in Untersuchungshaft und sei stark suizidgefährdet, werde aktuell von einem Geistlichen betreut.

Schockanruf mit künstlicher Intelligenz: Stimme der Tochter „klang verdammt echt“

Wie konnte Bernd Homfeldt das glauben? „Ich dachte nur an Hanna. Sie ist sehr sensibel und ich fürchtete, sie könne in ihrem ganzen Leben nie wieder glücklich werden“, erzählt Bernd Homfeldt und bekräftigt: „Das war exakt ihre Stimme, das klang verdammt echt.“ Heute weiß er, dass man das mit künstlicher Intelligenz (KI) imitieren kann: „Hanna ist viel auf Instagram unterwegs und in der Lübecker Musikszene aktiv. Außerdem singt sie an der Kieler Oper. Vielleicht kommt da die Stimmvorlage her“, überlegt der 71-Jährige.

Aber zurück zum Trickbetrug: Er solle beim Amtsgericht eine „Kaution von 15.000 bis 40.000 Euro“ hinterlegen, lässt ihn der Täter wissen und betont stets, er dürfe nicht auflegen. „Er fragte nach meiner Handy-Nummer, wo dann auch prompt ein Staatsanwalt Dr. Krause anrief, der angeblich mit einem Richter verhandelte, ob 30.000 Euro reichen würden“, erzählt der Senior: „Da hatte es bei mir immer noch nicht klick gemacht. Ich war wie infiziert und überlegte tatsächlich, wo ich auf die Schnelle Geld auftreiben könnte.“

Schockanruf: „Staatsanwalt“ fragt nach Goldmünzen

Dann aber verlangt er, mit seiner Tochter zu sprechen. Und hört, wie an einer Tür geklopft wird. „Wenig später hieß es, der Seelsorger sei noch drin und brauche noch zehn bis 15 Minuten.“ Unterdessen fragt ihn der vermeintliche Staatsanwalt, ob er Goldmünzen besitze, eine Immobilie oder ein Auto.

Da kommt erste Skepsis auf, denn der große BMW kann doch bitte nicht für eine Kaution geboten werden, denkt der Angerufene und fragt prompt: „Wer garantiert mir, dass Sie wirklich von der Lübecker Polizei sind?“ Auch hier parieren die Betrüger: Er solle die Sternchentaste und 110 drücken. „Das tat ich, und es meldete sich eine Frauenstimme von der Verkehrsdirektion Lübeck, die mir die Dienstnummer 8287 von Polizist Meyer bestätigte.“ Auch das war ein Fake, denn heute weiß Homfeldt: „Bei der Sternchentaste passiert eigentlich gar nichts.“

Opfer ärgert sich: „Ich hätte weitermachen sollen“

Nun will er seine Ex-Frau Ute anrufen, denn „eigentlich ruft Hanna immer zuerst bei ihrer Mutter an. Und meine Festnetznummer weiß sie bestimmt nicht auswendig, weil sie immer am Handy anruft“. Inzwischen ist Bernd Homfeldt arg skeptisch geworden. Und prompt legten beide Gesprächspartner sofort gleichzeitig auf. Dann ruft er tatsächlich die Mutter von Hanna an und berichtet von einem Unfall mit Todesfolge. „Die fing sofort an zu weinen, weil ich so verwirrt war und mich erst mal falsch ausgedrückt hatte.“

Im Nachgang kommen ihm viele Gedanken: „Wenn ich ein bisschen souveräner geworden wäre, hatte ich weitermachen sollen, als es zu stinken anfing. Dann wäre ich zusammen mit meinem Nachbarn zu einer Übergabe gefahren. So hätten wir die Person festhalten, können. Aber so clever war ich nicht.“

Schockanruf mit künstlicher Intelligenz: Ähnlicher Vorfall in Schleswig-Holstein

Zum Glück nicht, denn dazu würde ihm auch niemand raten, ohne Polizeischutz. Aber der 71-Jährige informiert die Bergedorfer Wache, schreibt eine E-Mail an die Online-Wache und ruft noch die Kriminalpolizei in Pinneberg an: „In der Bergedorfer Zeitung hatte ich doch gelesen, dass dort Ähnliches passiert war mit einem betagten Rentnerpaar, das schließlich Münzen, Gold und Bargeld verloren hat.“ Auch in diesem Fall gab es drei Täter, die akzentfrei Deutsch sprachen.

Hamburgs Polizeisprecher Thilo Marxen kennt solche Schockanrufe, die „haben wir quasi jeden Tag in Hamburg“. Mal sei ein Verwandter im Gefängnis, mal habe es einen Unfall gegeben. „Oder man habe einen Täter festgenommen und die Nummer in dessen Telefonbuch entdeckt. Daher solle man nun seine Wertsachen besser in Sicherheit bringen“, schildert er eine weitere Variante der Betrüger.

Schockanrufe, Enkeltrick: Polizei rät zu Vorsicht

Verhaltenstipps gibt die Polizei auf ihrer Homepage unter https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/betrug/enkeltrick und https://www.polizei.hamburg/straftaten-zum-nachteil-aelterer-menschen. Da haben Schauspieler Marek Erhardt und Deutschlands älteste Synchronsprecherin Luise Lunow einen authentischen Schockanruf eingesprochen.

Auch interessant

Bernd Homfeldt will darauf nicht mehr hereinfallen. Zum einen hat er sich die Telefonnummer gemerkt, die auf seinem Festnetz angezeigt wurde: 030 03 15 19 15. Zum anderen will er mit seinen fünf Kindern nun ein Signalwort vereinbaren, das er hoffentlich auch in psychisch angespannten Situationen nicht ausplaudert. Nach dem Telefonschock ist er jedenfalls gleich zu seiner Tochter Hanna nach Lübeck gefahren: „Wir mussten uns erst mal knuddeln.“