Bargteheide/Bergedorf. Wie Sportler und Trainer aus dem Amateurfußball das Drama um den HSV erlebten und was sie nun von den Spielen gegen Stuttgart erwarten.

Am Tag nach dem Drama richteten die HSV-Fans den Blick wieder nach vorn. Binnen vier Minuten waren am Pfingstmontag die Mitglieder-Karten für das Relegations-Hinspiel am Donnerstag gegen den VfB Stuttgart (20.45 Uhr) ausverkauft. Trotz des stolzen Preises von 69 Euro pro Ticket. Nach dem Drama ist vor dem Drama!

Beim Rückspiel im Volksparkstadion am 5. Juni (20.45 Uhr) werden dieses Mal auch die Dauerkarten-Inhaber zur Kasse gebeten. „Das ist eine absolute Frechheit“, ärgert sich Dennis Tornieporth, bisheriger Coach des Düneberger SV und künftiger Trainer des Lüneburger SK. „Bislang kamen Dauerkarten-Besitzer in der Relegation immer umsonst rein“, schildert HSV-Anhänger Tornieporth. „Das jetzt zu ändern, ist ein ganz schlechtes Signal der Vereinsführung. Gerade die Fans sind es doch, die jede Partie zu einem Heimspiel machen.“ Gekauft hat sein Ticket trotzdem.

Elf Minuten Nachspielzeit? „Dafür muss sehr viel passieren!“

Beim Rückspiel gegen Stuttgart hofft dann auch Klaus Unger dabei zu sein. Im Kreis Stormarn ist er als Schiedsrichter und Verbandsfunktionär bekannt – und als großer HSV-Fan. Ruft man Unger an, erklingt als „Warteschleifen-Musik“ Lotto King Karls „Hamburg, meine Perle“. Dass der blau-weiß-schwarze Aufstiegstraum am Sonntag trotz des 1:0-Sieges in beim SV Sandhausen zunächst einmal geplatzt ist, lag auch an der schier endlosen Nachspielzeit beim Parallelspiel in Regensburg. Elf Minuten waren angezeigt, 15 wurden es schließlich.

Rund 10.000 mitgereiste HSV-Fans machten das Auswärtsspiel in Sandhausen für die Hamburger zum Heimspiel.
Rund 10.000 mitgereiste HSV-Fans machten das Auswärtsspiel in Sandhausen für die Hamburger zum Heimspiel. © dpa | Uwe Anspach

HSV-Konkurrent 1. FC Heidenheim nutzte das, um einen 1:2-Rückstand bei Jahn Regensburg noch in einen 3:2-Sieg zu verwandeln und den Hamburgern den Aufstiegsplatz vor der Nase wegzuschnappen. Ungläubiges Kopfschütteln auch bei Unger, der das Drama vor dem heimischen Fernseher verfolgte. „Man fragt sich schon, wie so etwas zustande kommt“, wundert er sich. „Auch wenn es wohl viele Unterbrechungen in Regensburg gab – für elf Minuten Nachspielzeit muss sehr viel passieren.“

„Die Jungs, die Bundesliga pfeifen, können das schon einschätzen“

Paul Dühring, Oberliga-Referee vom SV Nettelnburg/Allermöhe, hatte den HSV als Fan nach Sandhausen begleitet, erlebte dort die dramatischen Minuten zwischen Aufstieg und Nichtaufstieg. Doch prinzipiell vertraut er der Qualität der Bundesliga-Schiedsrichter. „Die Jungs, die da pfeifen, sind oft schon zehn, 15 Jahre auf dem Niveau unterwegs“, gibt er zu bedenken. „Die haben die Expertise, das einzuschätzen.“

Beim Bemessen der Nachspielzeit stimme sich der Schiedsrichter via Headset mit seinen Assistenten ab. „In der Regel liegt man da kaum mehr als eine Minute auseinander“, schildert Dühring. Prinzipiell unterscheiden Referees zwischen verloren gegangener Zeit, die immer nachzuholen ist, und vergeudeter Zeit, die nur dann nachzuholen ist, wenn einer Mannschaft sonst ein Nachteil entsteht. „Wenn zum Beispiel in Curslack der Ball in die nahe Dove Elbe fliegt und es dauert zehn Minuten, bis das Spiel fortgesetzt werden kann, weil kein Ersatzball da ist, dann wird das selbstverständlich nachgespielt“, erläutert Dühring. In Regensburg hatte es einige ungewöhnliche Unterbrechungen wie eine Trinkpause oder einen Video-Beweis gegeben.

„Eine Geschichte, über die man noch in Jahrzehnten spricht“

Und doch war es für die HSV-Fans landauf, landab schwer zu fassen, was sich ereignete. In Bargteheide hatte das Sport- und Freizeitzentrum Lohe extra für ein Public Viewing geöffnet und war rappelvoll. Ein paar Kilometer weiter verfolgten die Landesligafußballer des Ahrensburger TSV das Herzschlagfinale auf der Terrasse von Defensivspieler Marcel Kupka. „Als fast gleichzeitig mit dem Abpfiff in Sandhausen der Elfmeter für Heidenheim gegeben wurde, wussten wir alle, dass es noch mal eine enge Nummer wird“, erzählt ATSV-Trainer und HSV-Fan Peter Grischke. „Heidenheims Siegtor war dann der klassische Hände-Über-Dem-Kopf-Zusammenschlagen-Moment. Aber auch dafür liebt man ja den Fußball. Man hat es einen Tag vorher beim BVB gesehen, wir haben als Amateurfußballer auch selbst erlebt. Das ist jetzt wieder mal so eine Geschichte, über die man noch in Jahrzehnten spricht.“

Das wird wohl auch Torsten Henke. Der Sportliche Leiter des Oberligisten SV Curslack-Neuengamme hatte extra vorzeitig eine Konfirmationsfeier verlassen, um im Fernsehen wenigsten noch die zweite Halbzeit mitzukriegen. Seine Tochter Laura (20) spielt bei den HSV-Damen, sein Sohn Lennart (17) war mit der Bahn nach Sandhausen getobt, um dem Team im Stadion die Daumen zu drücken. „Nachts um halb eins war er wieder da“, bedauerte Henke, dass das Happy End ausblieb. Für die Stuttgart-Spiele sieht er schwarz. „Dieser Moment, wo der Aufstieg verloren ging, hat in der Mannschaft etwas ausgelöst“, ist Henke überzeugt. „Das wird nachwirken. Und um in Stuttgart zu bestehen, ist der HSV ohnehin viel zu anfällig. Da müsste er sich erst mal die Defensive vom FC St. Pauli ausleihen.“

Das schmerzhafte Fußball-Wochenende des Jan-Henrik Schmidt

„Man sollte nicht so pessimistisch sein“, widerspricht Aydin Taneli, Landesliga-Trainer vom SSC Hagen Ahrensburg. „In zwei Spielen ist immer alles möglich. Vielleicht ist es ein Vorteil, dass der HSV schon häufiger in der Relegation war. Aus diesen Spielen lernt man ja. Es wäre gut und wichtig für eine Stadt wie Hamburg, endlich wieder in der Bundesliga vertreten zu sein.“

Eine Erfahrung, auf die Jan-Henrik Schmidt wohl gut hätte verzichten können. Für ihn war es das wohl schmerzhafteste Fußball-Wochenende seines gesamten Fan-Lebens. Der Sportliche Leiter des Oberligisten SV Eichede, übrigens ein HSV-Kooperationspartner, ist Rothosen-Sympathisant – und glühender Anhänger von Borussia Dortmund. Schmidt betreibt mit seinem Bruder den Fanclub „Holstein Borussen“ mit mehr als 40 Mitgliedern.

Wann gibt es wieder HSV-Dortmund im Volksparkstadion?

Am Sonnabend erlebte er im Westfalenstadion das Meisterschafts-Drama um den BVB, am Sonntag fieberte er vor dem Fernseher mit dem HSV mit. „Ich habe noch nie so eine Stimmung erlebt wie diesmal in Dortmund. Der Ausgang war unglaublich traurig“, sagt Schmidt, der sich als Kind in die Vereinsfarben Schwarz-Gelb verliebte. Den Verlauf rund um den HSV – die voreilige Gratulation des Stadionsprechers, der Platzsturm der jubelnden Fans, die Horrornachricht vom Heidenheimer Siegtreffer – fand er aber sogar „noch schlimmer“. In der Relegation wird der frühere Mittelstürmer nun Robert Glatzel und Co. die Daumen drücken. Denn ein angenehmer Nebeneffekt des HSV-Aufstiegs wäre für Schmidt die kurze Anreise zum Dortmunder Auswärtsspiel im Volkspark.