Bergedorf. Heimische Teams wie die Hamburg Swans oder Schwarzenbek Wolves würden gern von dem Boom profitieren. Tom Brady könnte helfen.

Das Prinzip des American Footballs ist tief verwurzelt in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Wie sich einst im 19. Jahrhundert die Siedler-Trecks mühsam Meile um Meile westwärts vorkämpften, geht es auch bei Amerikas Nationalsport um Raumgewinn. Das Spielziel besteht darin, den Football in die gegnerischen Endzone zu tragen. Darauf ist das ganze Streben eines Teams ausgerichtet, während die Gegner dies mit Macht zu verhindern suchen.

Diesem zentralen Konflikt ist alles untergeordnet. Strafen beispielsweise werden nicht gegen einzelne Spieler ausgesprochen, sondern treffen in Form von Raumverlust das gesamte Team. Dabei entspricht es zutiefst der amerikanischen Mentalität „do or die“ (sinngemäß: „Schaffe es oder gehe unter“), dass aller Raumgewinn nichts zählt, bis die Endzone tatsächlich erreicht ist. So wird das riesige Feld plötzlich ganz klein: Manches große Spiel in der 150-jährigen Geschichte dieses Sports wurde schon dadurch entschieden, dass ein Ball um wenige Millimeter in der Endzone war – oder eben nicht. Doch darin liegt auch ein Stück der Faszination dieses Sports: Jeder in dem etwa 50-köpfigen Kader eines Football-Teams kann jederzeit durch eine einzige entscheidende Aktion zum Helden des Tages werden.

Tom Brady in München: Eine Millionen Karten hätten verkauft werden können

Doch nicht zuletzt wegen seines komplizierten Regelwerks war American Football jahrzehntelang außerhalb Nordamerikas nur eine Nischensportart. Das hat sich gründlich geändert, gerade bei uns in Deutschland, wo sich die Zuschauerzahlen im Fernsehen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt haben. Verfolgten 2013 noch 950.000 Zuschauer das Meisterschaftsfinale, den Super Bowl, so sahen 2,1 Millionen Menschen im Rekordjahr 2021 den Finalsieg der Tampa Bay Buccaneers gegen die Kansas City Chiefs.

Das Epizentrum des Hypes: American-Football-Superstar Tom Brady kommt am Sonntag nach München. Eine Million Fans bewarben sich um die 75.000 Karten.
Das Epizentrum des Hypes: American-Football-Superstar Tom Brady kommt am Sonntag nach München. Eine Million Fans bewarben sich um die 75.000 Karten. © dpa | Mark Lomoglio

Am kommenden Sonntag, den 13. November, wird nun sogar erstmals ein reguläres Spiel der US-Profiliga NFL in Deutschland ausgetragen. Die Tampa Bay Buccaneers um Superstar Tom Brady – den größten Spieler, den dieser Sport je hervorgebracht hat – treffen vor 75.000 Zuschauern in der Münchener Allianz Arena auf die Seattle Seahawks. Man hätte über eine Millionen Karten für diese Partie verkaufen können. Pro Sieben überträgt das Spektakel ab 14 Uhr.

Rund zehn Millionen Deutsche interessieren sich laut einer Allensbach-Studie für American Football, das nach dem Fußball zur zweitbedeutendsten Fernsehsportart aufgestiegen ist. Laut einer Befragung der AGF Videoforschung, einem Zusammenschluss der deutschen TV- und Streaming-Anbieter, hatte bei den 14- bis 49-Jährigen schon jeder Dritte im Fernsehen schon einmal Kontakt mit diesem Sport.

Hamburg Swans haben deutlich höheren Zuschauerzuspruch als früher

Doch profitieren auch die hiesigen Vereine von dem Hype? „Auf jeden Fall, das hilft schon sehr“, ist Martin Kirmse überzeugt, Spieler und Sprecher der Hamburg Swans. Die American Footballer der TSG Bergedorf haben gerade den Aufstieg in die Regionalliga geschafft. Beim entscheidenden Spiel waren fast 1000 Zuschauer auf der Anlage an den Sander Tannen.

„Tatsächlich hatte der Hype schon vor Corona begonnen“, schätzt Kirmse, der bei den Swans auch den Nachwuchs-Bereich betreut. „Damals hatten wir beispielsweise rund 35 Leute in unserem U19-Team. Die Pandemie hat dann vieles zerstört: Ende 2020 waren nur noch 15 bis 20 Spieler dabeigeblieben – zu wenig, um ein Team zu bilden.“ Die Bergedorfer haben sich entschlossen, Kontakt-Football bei den Young Swans künftig auch schon für 13- bis 16-Jährige anzubieten. Doch der Neuaufbau ist mühsam: Vergangene Woche konnte Kirmse 15 Jungs zu einem Info-Abend begrüßen. „Das ist in etwa Vor-Corona-Niveau“, erläutert er.

Am 18. November laden die Schwarzenbek Wolves zum Probetraining ein

„Die Vereine profitieren nicht direkt von dem Hype“, sagt hingegen Kai Köpke, Football-Abteilungsleiter bei den Schwarzenbek Wolves, dem Oberliga-Team des TSV Schwarzenbek. „Die Wirkung ist eher indirekt“, führt er aus. „Es ist gut für unseren Sport, wenn in den Medien viel darüber berichtet wird, weil dann sportbegeisterte Leute eher darauf kommen, American Football spielen zu wollen.“ Am Freitag, den 18. November, richten die Schwarzenbek Wolves ab 16 Uhr auf dem Sportplatz Schützenallee ein Try-out aus. Dann kann jeder, der mindestens 16 Jahre alt ist, den ruppigen Sport einmal ausprobieren.

Die Hamburg Swans hingegen starten erst im Januar in die Vorbereitung auf ihre erste Regionalliga-Saison. Auch hier ist man für Neueinsteiger offen. „Wenn man einigermaßen athletisch ist, kommt man in der Regel dann auch schnell auf Spielzeit“, sagt Kirmse, der bei den TSG-Footballern die Position des Tight Ends spielt. „Das ist ein Allrounder, der einerseits die Laufwege für seine Mitspieler freiblockt, andererseits aber auch selbst auf Passwege geht und Bälle fängt“, erläutert er. Was die Wahrnehmung seines Sports angeht, hat Kirmse eine deutliche Veränderung wahrgenommen. „Wenn ich vor zehn Jahren erzählt habe, dass ich American Football spiele, hat das kaum jemand etwas gesagt“, erzählt er. „Heute kennen die Leute nicht nur den Sport, sondern oft sogar die Teams.“