Curslack. Als Manager des Ölkonzerns BP war Hartmut Helmke, der Vorsitzende des SV Curslack-Neuengamme, jahrelang im Nahen Osten unterwegs.

Mit der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar wird von Sonntag an erstmals eine WM im arabischen Raum gespielt. Hartmut Helmke, der Vorsitzende des SV Curslack-Neuengamme kennt die Region aus langjähriger beruflicher Erfahrung. Bis 2013 war er bei Mineralöl-Hersteller BP als Geschäftsführer zuständig für das deutsche Schmierstoff-Geschäft (Castrol, BP, Aral) und verantwortete als Supply-Chain-Direktor die Bereiche Europa, Afrika und Middle East. Heute arbeitet der 63-Jährige als selbstständiger Berater und Dozent für Fragen des Supply-Chain-Managements. Die Sportredaktion hat ihn zur WM befragt.

Herr Helmke, die BP war von 2008 bis 2014 einer der Hauptsponsoren des Fußball-Weltverbandes FIFA. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Hartmut Helmke: Ich weiß noch, dass im Hintergrund eine Castrol-Werbung lief, als Mario Götze 2014 in Brasilien das deutsche Team mit seinem Tor gegen Argentinien zum Weltmeistertitel geschossen hat. Und ich erinnere mich noch an mein letztes eigenes Spiel. Bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika war ich vor Ort und es gab für die Markenbotschafter im WM-Stadion von Durban ein Spiel „Europa gegen den Rest der Welt“. Mit Arsene Wenger und Ottmar Hitzfeld als Trainer. Mein Trainer war Hitzfeld.

Hartmut Helmke ist seit 2017 der Vorsitzende des SV Curslack-Neuengamme.
Hartmut Helmke ist seit 2017 der Vorsitzende des SV Curslack-Neuengamme. © Privat | Hartmut Helmke

Wie sah Ihre Arbeit für die BP damals aus?

Ich bin 20 Jahre lang durch die Weltgeschichte gereist, war oft in England, weil die BP ja eine englische Firma ist. Sechs- bis siebenmal pro Jahr bin ich nach Dubai geflogen, wo die BP ein großes Werk hat. Ein ganz zentraler Punkt meiner Arbeit war, auf die Arbeitssicherheit an den Produktionsstandorten zu achten. Nach dem Deepwater-Horizon-Unfall von 2010 im Golf von Mexiko hatte das für die BP höchste Priorität.

Beim Bau der WM-Stadien in Katar mangelte es an Arbeitssicherheit. Je nach Quelle sollen zwischen 6500 und 15.000 Arbeiter aus Billiglohnländern bei den Bauten gestorben sein.

Ja, das macht betroffen. Das ist eine Tragödie. In dieser Region herrschen von Mai bis Oktober 40 Grad. Da ist es so heiß, dass man sich draußen gar nicht aufhalten kann. Es ist für mich ein Skandal, dass es die FIFA bis heute nicht geschafft hat, einen Hilfsfonds für die Familien der verstorbenen Arbeiter aufzulegen.

Dazu kommen die immensen Kosten des Projektes.

Ich weiß noch, wie mir damals, als ich das erste Mal durch Dubai fuhr, die vielen Baukräne aufgefallen sind. Das ist ein Gigantismus, der in dieser Region herrscht. In Dubai sind damals rund 500.000 Migranten aus Niedriglohn-Ländern ausgebeutet worden. Jetzt richtet Katar für Gesamtkosten von 200 Milliarden Euro die WM aus und hat Stadien gebaut, die kein Mensch braucht. Was hätte man mit diesem Geld gegen den Hunger in Afrika tun können!

Aber hat nicht auch der arabische Raum das Recht, einmal Gastgeber einer WM zu sein? 2010 hat die FIFA sich ja schon einmal auf Neuland gewagt, indem sie die Spiele nach Südafrika vergeben hat.

Ja, aber das war ein ganz anderer Fall. Die WM in Südafrika war ein Zeichen an ganz Afrika: Auch ihr seid Teil des weltweiten Fußballs. Denn in Afrika wird ja auch viel Fußball gespielt. In Katar ist das ganz anders. Die ganze Region interessiert sich vor allem für Cricket, mit Fußball haben sie nichts am Hut. Ein Stefan Effenberg hat da früher vor 300 Leuten gespielt.

Im Fokus der Kritik an Katar stehen die fehlenden Menschenrechte in dem Land, nicht nur für die Arbeiter, sondern auch, was die Stellung der Frau oder den Umgang mit Homosexuellen angeht. Nationaltorhüter Manuel Neuer hat gesagt: „Wir werden auch in Katar unsere Werte vertreten.“ Ist das ehrenvoll oder naiv?

Wenn ich daran denke, wie unser Wirtschaftsminister Robert Habeck vor einiger Zeit dort aufgetreten ist, habe ich wenig Hoffnung, was die Nationalspieler angeht. Das ist aber auch nicht ihre Aufgabe.

Dürfen wir denn überhaupt dorthin fahren und dem Gastgeberland unser Wertesystem überstülpen?

Normalerweise nicht. Ich erwarte von den Migranten, die zu uns kommen, ja auch, dass sie unser Wertesystem anerkennen. Aber wenn etwas so grundfalsch ist wie der Umgang mit den Menschenrechten in Katar, dann passt das einfach nicht in diese Welt.

Jetzt geht die WM los. Wie geht es Ihnen damit?

Noch vor einem Jahr hätte ich gesagt: Ich schaue kein einziges Spiel. Mittlerweile denke ich, ich bin zu sehr Fußballfan und werde mir daher auf jeden Fall die Spiele der deutschen Mannschaft anschauen. Aber ich spüre keinerlei Vorfreude. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis hat noch niemand zu einem Fußballabend eingeladen, auch ich nicht. Im Gegenteil: Mich hat ein Freund, der sich auch sehr für Fußball interessiert, gefragt, ob wir nicht am 27. November abends essen gehen wollen. Ich habe geantwortet: Da spielt doch Deutschland gegen Spanien. Das hatte er gar nicht auf dem Schirm.

Eine WM sollte eigentlich eine Werbung für den Fußball sein.

Ja, sie sollte Menschen für den Fußball begeistern, die sich bisher nicht dafür interessiert haben. Das wird dieses Mal nicht passieren. Auch wenn ich mir die Jugendlichen bei uns im Verein anschaue, habe ich nicht das Gefühl, dass sie der WM entgegenfiebern. Wir werden auch nicht die TV-Quoten früherer Zeiten erleben. Die FIFA macht in einem WM-Jahr fünf Milliarden Dollar Umsatz, in einem Jahr ohne WM eine Milliarde. Ich hoffe, dass eine Folge dieser WM sein wird, dass die Fußball-Weltmeisterschaft nie wieder in ein solches Land vergeben wird.