Hamburg. Bergedorfer Wirtschaftsverband WSB fordert mehr Gestaltungswille von Verwaltung und Politik. Bergedorf muss sichtbarer werden.
Wer über die kleinen Deichstraßen der Vier- und Marschlande von Hamburgs City Richtung Bergedorf fährt, bekommt ein Gefühl dafür, welche Defizite es beim Senat in der Wahrnehmung Bergedorfs geben muss: Es ist für den Reisenden aus Hamburg völlig unlogisch, dass nach so viel ländlicher Idylle noch eine Großstadt folgen wird – vor der Landesgrenze, also auf dem Gebiet der Metropole.
Das erklärt auch den bangen Blick der Bergedorfer in die umgekehrte Richtung: Welche Ideen sollen schon kommen von einer Hansestadt, die gar nicht weiß, was Bergedorf eigentlich ist?
Vielfältige Forderungen der Wirtschaft an Verwaltung und Politik
An diesem Punkt setzt Bergedorfs Wirtschaftsverband WSB jetzt an: „Wir wollen die kommenden ein bis zwei Jahre nutzen, um an der Sichtbarkeit unserer Stadt im Bundesland Hamburg zu feilen. Es geht um ein Image, das auch am Rathausmarkt in der City verstanden wird“, sagt WSB-Vorsitzender Thomas Buhck. „Es gilt, Bergedorfs Qualität als Hamburger Besonderheit herausheben, aber eben auch als Teil der Vielfalt der bald zwei Millionen Menschen großen Hansestadt.“
Ein Vorstoß, der bewusst zum Beginn dieses Herbstes kommt: Es ist die Zeit des Neustarts nach (oder mit) Corona, einer ungewohnten Einigkeit zwischen Wirtschaft und Politik beim Drängen auf die Entwicklung der Innenstadt und vor allem des Umbruchs im Bezirksamt: Am 1. Oktober nimmt Cornelia Schmidt-Hoffmann (SPD) ihre Arbeit als Bergedorfs neue „Bürgermeisterin“ auf und an ihrer Seite wird zudem der Posten des Bergedorfer Wirtschafts- und Baudezernenten ausgeschrieben.
Cornelia Schmidt-Hoffmann wird am 1. Oktober neue Bezirksamtschefin
Und der WSB hat gerade seine Führungsriege für die kommenden Jahre bestätigt: Thomas Buhck sowie Malte Landmann bleiben gleichberechtigte Vorsitzende. Und Tourismus-Experte Oliver Kahle komplettiert als neuer Beisitzer den Vorstand, zu dem auch die bereits 2020 für drei Jahre gewählten Vize-Chefs Marlis Clausen sowie Markus Baumann und Dorrit Marks sowie Daniela Böhm als Beisitzer gehören.
„Wir haben jetzt die Chance, Weichen für eine Zukunft zu stellen, die ganz anders sein wird, als die Zeit vor Corona. Und auch ganz anders, als wir uns das vor zwei Jahren noch vorgestellt haben“, sagt Malte Landmann, der hofft, gemeinsam mit Politik und Verwaltung für Bergedorf Ideen zu entwickeln, Konzepte auszuarbeiten und umzusetzen. „Wenn es uns in diesem Trio gelingt, alte Gräben zuzuschütten und Ideologie in der Schublade zu lassen, können wir wichtige Grundlagen schaffen – auch für die Hamburger Wahrnehmung von Bergedorf.“
Einmalige Chance, Weichen für die Zukunft zu stellen
Konkret geht es unter anderem darum, den neuen Trend zu Homeoffice oder individuellen Mietbüros, den sogenannten Coworking-Spaces, zu nutzen, also dem Arbeiten außerhalb der Firma. „Bergedorf ist Einfallstor für täglich zehntausende Berufstätige nach Hamburg. Ihnen könnten wir hier einiges anbieten“, sagt Markus Baumann, einerseits mit Blick auf Coworking-Spaces, wie sie im gerade entstehenden Bergedorfer Tor angeboten werden. Andererseits aber auch auf neue Anforderungen beim Wohnen: „Der Trend dürfte zu vier Zimmern gehen, davon eines als Arbeitsbereich. Das sollte das Bergedorf der Zukunft bieten.“
Ohnehin sieht Malte Landmann Bergedorf als Profiteur der wachsenden Nachfrage nach dem Wohnen im Grünen, möglichst mit allen Vorzügen einer Großstadt in Fuß- oder Radwegentfernung: „Genau das bietet unser Bezirk, man muss es nur bekannter machen.“ Auch habe Bergedorf die große Chance, von den vielen innovativen Ideen für den Zukunftsstadtteil Oberbillwerder zu profitieren, von seinen Verkehrskonzepten über den Klimaschutz bis zur Entwässerung.
Menschen aus der Region sind auf Bergedorf ausgerichtet
Mut zu neuen Projekten in der City rund um Sachsentor und Alte Holstenstraße fordert Dorrit Marks: „Bergedorf war in den 1970er-Jahren Vorreiter mit der Ansiedlung des CCB als einem der damals neuartigen Einkaufszentren und auch mit der bundesweit zweiten Einkaufsstraße nach Kiel. Das hat unsere City vorangebracht. 50 Jahre danach braucht es wieder einen großen Wurf, soll unsere Innenstadt Markenzeichen Bergedorfs bleiben.“
Dass gute neue Ideen in Bergedorf schnell viele Freunde finden, liegt für Marlis Clausen auf der Hand: „Unseren Bezirk und sein Umland zeichnet eine große Regionalität aus. Die Menschen sind auf unser Zentrum ausgerichtet. Sie wissen: In Bergedorf gibt es alles. Man muss sich nur umschauen.“
„Bergedorfer sind selbst die besten Botschafter unseres Bezirks“
Durch dieses Miteinander will Oliver Kahle auch einen ganz neuen Blick auf Bergedorf etablieren – den touristischen Blick: „Unser Bezirk lockt traditionell schon sehr viele Gäste aus Hamburg und auch darüber hinaus an. Doch kennen die immer nur einen Teil Bergedorfs, etwa die Vier- und Marschlande. Gleichzeitig trauen die Bergedorfer ihrer Heimat nicht zu, attraktiv für Touristen zu sein. Dabei zeigen sie ihren eigenen Gästen oft stolz ihre Heimat, besuchen die Sternwarte, streifen durch das Villengebiet oder setzen sich mit ihnen aufs Fahrrad. Sie sind also Bergedorfs beste Botschafter. Machen wir diesen beiden Gruppen klar, wie vielfältig der Bezirk ist, kann Bergedorf nur gewinnen.“
Das alles ist nur ein kleiner Teil der vielen Projekte, die der WSB mit Politik, Bezirksamt und anderen Verbänden wie Grundeigentümern, Hafen-Verein, Handwerkskammer oder der Gemeinschaft Vier- und Marschlande entwickeln will. „Einer der wichtigsten Teilnehmer an diesen Tischen wird natürlich die Verwaltung sein“, sagt Thomas Buhck.
Tourismus als neuer Motor der Entwicklung
Er hoffe, dass im Bezirksamt unter den neuen Chefs bei jeder Entscheidung immer auch die Bedürfnisse der Bergedorfer Wirtschaft mitgedacht werden: „Aktuell gibt es in unserem Rathaus fünf Mitarbeiter für Klimaschutz, aber nur eine einzige Wirtschaftsförderin“, plädiert Buhck für mehr Personal – auch solches, das sich bei der Hamburger Wirtschaftsförderung konkret um die Bezirke kümmert. „Bisher ist Bergedorf dort nur Bittsteller. Das sollte sich ändern.“