Hamburg. Viele beunruhigende Nachrichten bekommen afghanische Flüchtlinge in Bergedorf derzeit aus ihrer Heimat. zu hören.
Manche kennen sich noch aus der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Max-Bahr-Baumarkt. Es sind viele Nationalitäten, die dienstags zum Frühstückstreff in die katholischen Edith-Stein-Kirche kommen. Doch derzeit haben die Frauen nur ein einziges Thema: Wie geht es in Afghanistan weiter?
Im Vordergrund steht die Sorge um die Angehörigen: „Ich habe nächtelang nicht geschlafen, nur geweint. Eine ganze Woche dachte ich, sie seien alle tot“, erzählt Mersiehe, deren Name „Die immer Fröhliche“ bedeutet. Das kann die 42-Jährige derzeit nicht sein.
Im Flüchtlingstreff werden Informationen ausgetauscht
Endlich aber, als es wieder Strom gab, rief der Mann ihrer älteren Schwester an: „Sie waren zehn Tage im Keller. Die dritte Etage ihres Hauses in Herat ist zerbombt. Im Moment ist es wohl eher ruhig, aber die Taliban haben gesagt, alle bräuchten neue Personalausweise. Damit sie nicht fliehen können.“
Wovon aber leben jetzt die Menschen, wenn sie kein Geld verdienen dürfen? Mersiehe schüttelt langsam den Kopf: „Es ist schwer, denn der Mann meiner älteren Schwester hat ein Geschäft für Frauenkleidung. Jetzt darf er nicht arbeiten, keine Hosen oder hohe Schuhe an Frauen verkaufen. Sagen die Taliban.“
Berufsverbot für den Verkäufer von Frauenkleidung
Sie selbst sei zum Glück „mit der ersten Taliban-Welle“ nach Deutschland gekommen, vor fast 20 Jahren. „Mein Mann hat mich damals geschlagen, als ich einen Deutsch-Kursus machen wollte. Dann habe ich die Bücher heimlich versteckt“, sagt die vierfache Mutter, die nach der Scheidung in einer Bäckerei in Altona gearbeitet hat.
„Mein Bruder ist Schneider, auch er darf nicht arbeiten, sie haben ihm seinen Beruf verboten“, sagt Zahra. „Er hat vier Kinder und nichts zu essen. Das macht mir Sorgen, doch ich sitze hier und kann nichts für meine Familie in Herat machen“, klagt die 61-Jährige.
Es werden viele Nachrichten und Videos per Handy verschickt
„Ich will nicht immer traurig sein und lenke mich ab“, sagt Fatima, deren Familie komplett in Deutschland lebt: „Aber die armen Leute da sind wie in einem Gefängnis, das ist kein normales Leben“, bedauert die 51-Jährige, die seit sieben Jahren am Mittleren Landweg wohnt.
Bei Salma piepst nahezu ständig das Handy: „Viele schreiben mir oder schicken Videos, damit wir es glauben. Denn die Medien berichten nicht alles“, sagt die Afghanin. Da werden etwa Menschen von den Taliban gefragt, ob sie für ein Amt oder die Armee gearbeitet hätten. „Wer nicht richtig antwortet, wird vor den Augen aller auf der Straße geschlagen“, sah Salma, die zudem erfuhr, dass eine achtköpfige Familie 500 US-Dollar Schmiergeld bezahlte, damit sie am Flughafen von Kabul eine Chance zur Flucht bekam. „Ich schreibe das alles in den sozialen Medien, auf Deutsch. Denn die Welt soll das wissen. Und dass sich die drei Taliban-Gruppen untereinander überhaupt nicht einig sind, also die Gebildeten, die Rebellen und die, die einfach nur alles brutal zerstören und vernichten wollen.“
16-jähriger verschleppt und wieder frei gelassen
Zweimal in der Woche müsse für 15 Soldaten gekocht werden: „Nicht freiwillig, aber sonst schlagen sie die Kinder in der eigenen Wohnung“, berichtet Habibe, deren Vater dringlich um Hilfe bittet für die jüngeren Schwestern und den 14-Jährigen, der den Taliban „beim Putzen helfen“ müsse. „Meine ganze Familie in Kunduz ist schockiert“, meint die 36-Jährige.
Sie sammle gerade Geld für eine Witwe mit fünf Kindern, sagt Selma: „Sie musste schon ihre 16-jährige Tochter verheiraten, damit die versorgt ist.“ Nun gelte ihre Angst dem 14-jährigen Sohn, dass er auf dem Weg zum Einkaufen von den Soldaten verschleppt wird. Selma: „Das ist einem Cousin schon passiert. Aber als die gesehen haben, dass der 16-jährige Junge schon eine Schussverletzung am Bein hat, haben sie ihn nach zehn Tagen wieder freigelassen.“
Wirklich trösten können die deutschen Helfer nicht
Die Flüchtlingshelfer von der Edith-Stein-Kirche und dem Katholischen Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit In Via sind ratlos: Sie können Deutsch lehren und Schwangere beraten, bei Hausaufgaben helfen und mit Terminen beim Amt oder Zahnarzt. Aber wirklich trösten können sie nicht mit Blick auf das Elend in Afghanistan.
Sahra bekommt ein Taschentuch gereicht, sie schluckt: „Meine Mutter ist 70 und herzkrank. Der Stress verdoppelt ihr Leiden“, ahnt die 45-Jährige. Ihre Eltern, zwei Brüder und die Schwester sind in Herat: „Sie hat schon so viel kämpfen müssen, weil ihr Mann verboten hatte, dass sie Lehrerin wird. Heute ist sie sogar Schulleiterin. Und darf nicht mehr aus dem Haus. Auch die Kinder sitzen daheim, dabei fehlen der Ältesten nur noch zwei Semester bis zum Bachelor in Psychologie.“
„Unsere Leute in Afghanistan haben keine Stimme“
Sahra weint und sagt: „Die EU muss bitte irgendetwas machen. Denn unsere Leute in Afghanistan haben keine Stimme. Aber sie sind doch auch Menschen von dieser Welt.“