Sie haben etwas in der Stadt bewegt oder geben unseren Kirchen und Plätzen einen Namen. Katharina, Michael und andere Heilige sagen uns, was sie mit Hamburg zu tun haben. Wo die Jüdin und spätere Christin Edith Stein ihre Spuren in der Stadt hinterlassen hat, berichtet Helmut Röhrbein-Viehoff

er sich mir nähern will, nimmt am besten die S 21 stadtauswärts bis Nettelnburg. Dort, am Eingang zu Neuallermöhe-Ost, der Anfang der 80er-Jahre auf der grünen Wiese entstanden ist, gibt es einen Platz und eine katholische Kirche, die meinen Namen tragen. Das passt sehr gut zum ganzen Stadtteil, dessen Straßen nach bedeutenden Frauen Deutschlands im 20. Jahrhundert benannt sind.

Wie komme ich zu der Ehre, dass nach mir eine Kirche benannt ist? Das ist eine lange Geschichte, die mich vom Judentum zum Christentum geführt hat, ohne dass ich deshalb meine jüdische Herkunft verleugnet hätte.

Nachdem ich in Breslau am 12. Oktober 1891 als Kind jüdischer Eltern geboren worden war, verabschiedete ich mich im Alter von 15 Jahren von ihrem traditionell-jüdischen Glauben und bezeichnete mich als Atheistin. „Habe mir das Beten ganz bewusst und aus freiem Entschluss abgewöhnt“, schrieb ich im Rückblick über die Zeit. Ich studierte ab 1911 Psychologie, Philosophie, Germanistik und Geschichte; 1916 promovierte ich summa cum laude bei dem Philosophen Edmund Husserl in Freiburg und wurde seine Assistentin; als Frau – und zumal als Jüdin - verwehrte man mir aber die Habilitation. Trotzdem galt ich in der damaligen Zeit als ungewöhnlich erfolgreiche und emanzipierte Frau.

Eine erste Wende in meinem Leben geschah am 1. Januar 1922: Die Lektüre der Biografie der heiligen Teresa von Ávila führte mich zu dem Entschluss, mich katholisch taufen zu lassen. Rückblickend habe ich verstanden: „Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.“

1932 erhielt ich einen Ruf ans Deutsche Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster. Diese Dozentur verlor ich jedoch bereits im folgenden Jahr aufgrund der nationalsozialistischen Rassengesetze. Im April schrieb ich wegen der Verfolgung der Juden in Deutschland an Papst Pius XI.: „Wir alle, die treue Kinder der Kirche sind und die Verhältnisse in Deutschland mit offenen Augen betrachten, fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen noch länger anhält.“ Mein Appell blieb erfolglos.

Das leitete den zweiten großen Umschwung in meinem Leben ein: Ich trat mit 42 Jahren in Köln in das Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen ein. Freilich war der Abschied von meiner Mutter Auguste, die seinerzeit schon meine Konversion vom Judentum zum Christentum nicht verstehen konnte, für uns beide sehr schmerzlich. Mit dem Gelübde erhielt ich dann meinen Ordensnamen „Teresia die vom Kreuz Gesegnete“.

Die Flucht in ein holländisches Kloster schützte nicht vor der Deportation

In dem neuen Namen drückt sich meine Beziehung zur großen Teresa von Ávila aus, die mir den Weg zum christlichen Glauben eröffnet hatte. Aber er zeigt auch meine Nähe zur Kreuzesmystik und zum Leiden, die meine Spiritualität und mein Leben im Folgenden immer stärker prägen sollten.

In meinem wichtigsten und letzten Buch, „Kreuzeswissenschaft“, spreche ich alle an, „die den Mut haben, das Kreuz und den Gekreuzigten zu umarmen. In sie ergießt sich sein göttliches Licht und Leben, aber (…) zunächst erfahren sie es als Nacht und Tod.“

Das sollte ich schon bald am eigenen Leib erfahren. Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 suchte ich Schutz in den Niederlanden im Kloster Echt. Ein Hirtenwort der holländischen Bischöfe im Jahr 1942 gegen die judenfeindlichen Maßnahmen der NS-Besatzungsmacht provozierte allerdings eine Racheaktion, die zur Verhaftung aller getauften Juden in Holland führte – die dritte Wende in meinem Leben! Denn so wurde auch ich – zusammen mit meiner Schwester Rosa – am 2. August von der Gestapo abgeholt und im Durchgangslager Westerbork interniert. „Konnte bisher herrlich beten“, habe ich in diesen Tagen dankbar notiert. „Komm, wir gehen für unser Volk!“, sagte ich zu Rosa, als wir auf den Transport nach Osten gesetzt wurden.

Danach verliert sich unsere Spur; wir wussten ja nicht, dass die Reise direkt in die Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ging. Dort hat man mich, so heißt es später, vermutlich am 9. August 1942 ermordet.

Der 9. August ist heutzutage mein Gedenktag. Denn die katholische Kirche hat mich 1987 beim Deutschland-Besuch von Papst Johannes Paul II. zunächst selig- und am 11. Oktober 1998 in Rom heiliggesprochen. Die Heiligsprechung wäre allerdings meiner Meinung nach nicht unbedingt nötig gewesen. Denn ich wurde ja nicht um meines christlichen Glaubens willen verfolgt und umgebracht, sondern wegen meiner jüdischen Herkunft. Aber den „Tod, den Gott mir zugedacht hat“, konnte ich annehmen in Solidarität mit den sechs Millionen Juden, welche aufgrund ihres Jüdischseins während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden. So verstehe ich mich selber heute als ein Bindeglied zwischen Juden und Christen – wie es meinem Lebensweg entspricht.

Der Autor Helmut Röhrbein-Viehoff war 16 Jahre lang Pastoralreferent in der Pfarrei St. Marien Bergedorf, zu der die Edith-Stein-Kirche gehört, und ist dort heute noch Gemeindemitglied.