Bergedorf. Der Wagen riss eines der Banner mit und fuhr davon. Die beiden Aktivisten, die es gehalten hatten, konnten gerade noch loslassen.
Der Schock sitzt tief bei Bergedorfs Klimaaktivisten von Extinction Rebellion. Auch am Tag nach dem Vorfall vom Sonnabend noch: Um 12.57 Uhr durchbrach da ein grüner Land Rover ihre Blockade der Bergedorfer Straße in Höhe der Fußgängerampel am Busstopp Mohnhof, riss eines der Banner mit und raste Richtung Wentorf davon.
Dass es keine Schwerverletzten gab, glich einem Wunder, wurde das Banner doch von zwei Aktivisten mit Handgurten gehalten. Ihr Glück: Durch die Wucht des Aufpralls rissen die Karabinerhaken aus dem Stoff. Beide Aktivisten klagten nur über leichte Schulterschmerzen. „Wir müssen selbst bessere Vorkehrungen treffen, dass eine solche Eskalation nicht passieren kann“, sagt Extinction-Rebellion-Sprecher Stefan Gertz. „Unsere Aktion mit ihren sieben jeweils fünf Minuten kurzen Straßensperrungen dient dazu, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, sie zum Nachdenken über Klimaschutz anzuregen. Wir wollen niemanden provozieren.“
Land Rover fährt in Demo-Gruppe – Polizei fasst Fahrer
So haben das nicht alle Autofahrer verstanden, die zwangsweise im Stau standen und teils ein Hupkonzert anstimmten. Besonders gilt das für den Fahrer des Range Rover, der direkt an der Fußgängerampel stand, als die Aktivisten vor ihm die dritte ihrer Fünf-Minuten-Blockaden aufbauten.
Warum er plötzlich anfuhr und auch nicht mehr stoppte, wollte die Polizei am Sonntag unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht mitteilen.
Der Mann wurde am Sonntagnachmittag gefasst. Es handelt sich um einen 39-jährigen Bergedorfer, der bei der Halter-Überprüfung seines im Kreis Wesel gemeldeten Land Rover zu Hause angetroffen worden ist. Direkt nach dem Vorfall war er zunächst verschwunden geblieben, obwohl die Aktion der Klimaaktivisten von etlichen Polizisten abgesichert wurde.
Polizisten lassen Land Rover entkommen
Zur Verwunderung der vielen Zeugen nahm niemand von ihnen die Verfolgung auf. Das taten erst Minuten später mehrere Streifenwagen, die von der Bergedorfer Wache kamen. Dann kreiste auch der Polizeihubschrauber über Bergedorf. Da war der Land Rover aber längst verschwunden.
Wann genau die Fahndung erfolgreich war, ließ die Polizei offen. Bestätigt wurde, dass gegen den 39-Jährigen eine Anzeige wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr geschrieben wurde.
Die Blockade war der 2022er-Auftakt der Aktionen von Extinction Rebellion in Bergedorf. Jeweils am ersten Sonnabend im Monat soll die Bergedorfer Straße in Höhe der Fußgängerampel ab 12.30 Uhr siebenmal für fünf Minuten gesperrt werden.
Extinction Rebellion zieht positives Fazit der Straßenblockade
„Daran halten wir trotz des Vorfalls fest“, bestätigte Stefan Gertz am Sonntag. Ändern könnte sich das erst, „wenn wir ein besseres Format finden, mit dem wir den Menschen unsere Anliegen nahebringen können“.
Wie die Blockade von Autofahrern und Passanten empfunden wurde, haben die Aktivisten erstmals mit Fragebögen ergründet. „Eine erstaunlich positive Resonanz“, so Gertz. „Auch wenn nicht jeder Autofahrer bereit war, unsere Fragen zu beantworten.
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Die Wertung aus den Fahrer- und Beifahrerfenstern, sofern sie sich öffneten: 32 Mal ein „Sehr gut“ bis mindestens „Neutral“ für die Aktion gegenüber nur fünf ablehnenden Stimmen. Und bei der Frage, wie informiert man sich fühle über den Stand des Klimawandels und des Artensterbens, gaben nur zehn Prozent zu, nicht im Bilde zu sein. „Das Ergebnis macht Hoffnung“, so Gertz, der die Befragung bei den nächsten Aktionen fortsetzen will.
Tatsächlich sorgten sich die Klimaaktivisten Sonnabend sehr um die wartenden Autofahrer. So liefen sie mit Tafeln am Stau entlang, die die verbleibenden Minuten der Blockade anzeigten. Zudem gab es Musik und Ansprachen per Lautsprecher sowie Handzettel mit den Worten „Entschuldigen Sie die Störung, aber es ist ein Notfall“. Denn heute habe der Mensch die letzte Chance, bei Klimawandel und Artensterben noch das Ruder herumzureißen.
Extinction Rebellion: Geht nicht darum, eine Amokfahrt zu provozieren
Das sagt Extinction Rebellion, was frei übersetzt „Rebellion für die Zukunft“ heißt. Ihre Kernziele: Die Politiker werden zur Wahrheit über den Klimawandel verpflichtet. Sie müssen für die Zukunft der Gesellschaft handeln statt vor allem wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Damit das klappt, sollen Bürgerräte verbindlich in der Politik mitreden, die sich um Wissenschaftler aller Fachrichtungen gruppieren.
Um das zu erreichen, muss diese Rebellion die Gesetze respektieren, darf aber durchaus auch zu Maßnahmen wie Straßenblockaden greifen, vor allem wenn sie – wie in Bergedorf – von der Polizei genehmigt sind. Es gehe nicht darum, eine Amokfahrt zu provozieren, sondern „die Menschen für fünf Minuten aus ihrem Alltagstrott zu holen und so zum Nachdenken zu animieren“, erklärt Stefan Gertz. Statt neue Gräben durch die Gesellschaft zu ziehen, solle der Klimaschutz durch die Aktionen von allen als lebenswichtiges Ziel erkannt werden.