Hamburg. Lyrische Pubertät auf 75 Seiten: Kann das gut gehen? Poetry-Slammerin Laura Lynn Meyer aus Bergedorf hat es ganz frisch hingekriegt.
Da sitzt sie und lacht mich an: „Ja, das ist kein glückliches Buch. Aber meine Therapie ist beendet“, sagt Laura Lynn Meyer. Was ist geschehen, seit wir uns 2016 trafen, als sie noch ein Schulpraktikum für das Gymnasium Lohbrügge machte, bei uns in der Redaktion über eine Make-up-Meisterschaft schrieb und über die Bergedorfer Tafel?
War sie damals schon latent traurig, oder kamen die Tränen erst auf der Suche nach guten Texten für ihren Poetry-Slam? Immerhin kam die Bergedorferin 2023 ins Finale der Hamburger Stadtmeisterschaften, konnte in der Altonaer Fabrik den vierten Platz ergattern und gründete im selben Jahr ihre eigene Lesebühne. Jetzt hat sie ihr erstes Buch „schleichende prozesse“ herausgebracht.
Bergedorf: Schreiben als Therapie gegen die Corona-Depression
Mit dem Schreiben kamen die Erinnerungen, erzählt Laura Lynn Meyer: Die Eltern – beide Banker – trennten sich früh, das Mädchen besuchte alle zwei Wochen den Vater in Berlin, mit dessen neuer Liebe und bald zwei kleinen Stiefbrüdern. „Da fühlte ich mich unerwünscht, wurde ich von meinem narzisstischen Vater leise gemacht“, urteilt sie harsch. Das Mädchen, das sich als 14-Jährige „belügt, verstellt und verbiegt“, sich dabei eingesteht, „nicht mal ehrlich in meinem Tagebuch“ gewesen zu sein.
Es kommt, was alles kommen muss in einer ganz normalen Pubertät: Sehe ich gut und „richtig“ aus? Trage ich coole Klamotten und einen sexy BH? Dann der erste Liebesummer, melancholische Gedichte und Leistungsdruck in der Schule. Ein zartes Hineingleiten ins Erwachsenwerden – wenn nicht diese blöde Migräne wäre und obendrauf noch die Corona-Pandemie. „Das waren Depressionen. Monatelang war alles nicht so richtig geil“, erinnert sie ihre 2021 begonnene Therapie.
Sicherlich reichlich Trübsal also auf 75 Seiten „mit neun Rechtschreibfehlern“, sagt sie, die gar nicht mehr so perfekt sein will und muss, denn: „Stärke heißt auch, schwach zu sein. Und damit ist mehr gemeint als öffentlich zu weinen.“ Das alles gedruckt in Instagram-tauglicher Minuskelschrift, denn „Großbuchstaben sind, als würde man schreien“, meint die heute 22-Jährige. Ihr Buch „schleichende prozesse“ diene der Selbstwirksamkeit.
Und es lässt sich gut lesen, denn die Lyrikerin (siehe auch @prostderpoesie auf Instagram) kann einfühlsam schreiben, kuschelt sich gern in Wortwolken ein und empfindet „Buchstaben wie Fingerspitzen“. Seither sie es genießt, „auch mal anzuecken“, ist sie mutig geworden – und bewarb sich beim Verlag story.one, der Storyteller zwischen 14 und 35 Jahren sucht und verspricht, dass jeder ein kostenlos gedrucktes Buch bekommt (hier mit der ISBN 978-3-7115-2361-7): „Es entstehen definitiv keine Kosten“.
Lesung bald im Schloss-Café
„Es kostet 18 Euro und ich verdiene daran zehn Prozent“, sagt Laura Lynn Meyer, deren Buch demnächst sogar in der kooperierenden Thalia-Buchhandlung an der Mönckebergstraße ausliegen soll. Die Werbung dafür scheint schon perfektioniert: „Wird oft zusammen gekauft mit Jean-Paul Sarte, Der Existentialismus ist ein Humanismus“, heißt es da tatsächlich.
Auf jeden Fall aber will die Autorin, die inzwischen von der Hassestraße nach Barmbek gezogen ist, auch in Bergedorf eine Lesung geben. Und zwar am Mittwoch, 19. Juni, im Schloss-Café bei „In aller Munde“. Beginn ist um 19.30 Uhr, der Eintritt ist frei. Dort kann sie auch erzählen, wie es war, ein Semester lang in Granada zu leben. Schließlich studiert sie Spanisch und Deutsch auf Lehramt, bestand gerade ihren Bachelor an der Universität Hamburg.
Lesebühne für alle, die sich als Frau fühlen
Das hätte sich der Opa damals nicht träumen lassen, als die Achtjährige auf seinem Dachboden ihr erstes Buch schrieb mit dem Titel „Charlie, Mathe und andere Katastrophen“. Vielleicht auch unvorstellbar für ihn, dass sie Jahre später mit feministischen Texten auf Hamburger Kleinkunstbühnen steht und Mitbegründerin sowie Co-Moderatorin der Flinta-Lesebühne ist: „Da lesen queere Menschen und alle, die sich als Frau fühlen. Wir bieten einen geschützten Raum und sprechen darüber, falls jemand einen retraumatisierenden Text vorliest, der vielleicht von Selbstmordgedanken handelt.“ Wobei hier – anders als im Poetry-Slam – kein Wettbeweb im Vordergrund steht, also keine Texte bewertet werden.
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Nun, ein glückliches Buch unserer ehemaligen Praktikantin ist es wahrlich nicht. Aber sie hat gelernt, dass auf das Großwerden das Älterwerden folgt. Und sie lacht noch immer. Ihr Werk widmete sie der Mammi und der jüngeren Schwester. Die haben nämlich jeden schleichenden Prozess begleitet und kennen auch das hoffnungsfrohe Gedicht von den Lebenswegen, das so wunderschön endet: „wir werden uns ein bisschen gepäck abnehmen, damit wir unsere wege leichter gehen, und uns viel neues mitgeben, ich werd‘s erst retrospektiv sehen.“