Hamburg. Bestand des Vogel des Jahres ging deutschlandweit um 90 Prozent zurück. Doch das Projekt der Hansestadt verläuft vielversprechend.

Hinter dem Hof geht der Blick weit über das Feld. Dass nördlich vom Curslacker Deich keiner in der Feldmark spazieren geht, ist Landwirt Jochen Quast ganz recht so. Wo Ruhe ist, da kann der Kiebitz brüten. Einst gehörte sein „Kiwitt Kiwitt“ an vielen Orten zum Soundtrack der Vier- und Marschlande. Damals gab es Nettelnburg – und dahinter freies Feld. „Kein Industriegebiet Allermöhe, keine Logistik-Lager auf der grünen Wiese“, erinnert sich Jochen Quast. Gegen das Auswuchern der Stadt können die, die vom Deich aus ins Land schauen, wenig tun. Aber auf ihren Feldern tun sie was.

„In Wilhelmsburg war man bis auf zwei Brutpaare runter“, erklärt Ilka Nüske. Vier Jahre nach dem Start eines Schutzprogramms im Südwesten Hamburgs ist die Biologin im Rahmen des „Dialogprojekt Landwirtschaft und Naturschutz“ nun in der Marsch unterwegs. Die Nabu-Mitarbeiterin klingelt an Türen, schüttelt Hände und erkundigt sich freundlich nach Kiebitzen auf dem Acker.

Kiebitz: So will Hamburg den Gaukler der Lüfte retten

Dass sich Naturschützer und Landwirte nicht grün sind, halten Jochen Quast und Ilka Nüske für ein Klischee. Die Bauernschaft sieht sich schon immer mit Begehrlichkeiten und Zugriffen konfrontiert. „Immer weiß es einer besser. Ist doch klar, dass der Bauer da erstmal fragt „Wat woll du heer?“ sagt Quast. Ilka Nüske kennt die Frage. Inzwischen aber vertrauen ihr viele. „Frau Nüske können sie jetzt nicht mehr austauschen“, sagt Jochen Quast. Höchstes Landwirtkompliment.

Der Kiebitz trägt am Kopf auffallende Schmuckfedern. Im Flug sind diese meist dicht am Körper angelegt. Der selten gewordene Wiesenvogel trägt in diesem Jahr die Auszeichnung „Vogel des Jahres 2024“.
Der Kiebitz trägt am Kopf auffallende Schmuckfedern. Im Flug sind diese meist dicht am Körper angelegt. Der selten gewordene Wiesenvogel trägt in diesem Jahr die Auszeichnung „Vogel des Jahres 2024“. © picture alliance/dpa | Patrick Pleul

280 Kiebitzpaare leben nach aktueller Bestandszählung im Großraum Hamburg. Vor zehn Jahren waren es noch doppelt so viele. Von 1980 bis 2016 ging der Bestand deutschlandweit um über 90 Prozent zurück. Schuld daran sind nicht nur wachsende Städte, sondern auch die intensivierte Landwirtschaft. Durch Trockenlegung, Walzen und frühes Mähen gingen viele Lebensräume des bedrohten Vogels verloren.

Eine Kiebitzinsel ist so groß wie knapp 20 Tennisfelder

Weil die Art der Landbestellung immer auch mit Fördermaßnahmen zu tun hat, wird es jetzt kompliziert. Doch im Dschungel von EU-Vorgaben, Ökoregelungen und „produktionsintegrierter Maßnahmenstillegung“ (um nur drei Stichworte zu nennen) gelingt der Kiebitzschutz erfreulich einfach. Der Maßnahmenkatalog reicht vom kleinen Gelege-Schutz mit Fünf-Meter-Abstand drumherum bis zum Anlegen von Kiebitzinseln. Von vogelfreundlichen Mahd-Terminen über Dünge-Einschränkung bis zum Erhalt natürlicher Feuchtstellen. Im Land der Gräben kein Problem.

Kiebitzinseln sollten mindestens einen halben Hektar groß sein. Schon das entspricht der Fläche von knapp 20 Tennisfeldern. Die Kiebitzinsel von Jochen Quast misst drei Hektar und führt einen Wassergraben. Bis Ende Juli wird er die Fläche nicht bewirtschaften. Der Nabu kontrolliert, die Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschft (Bukea) kümmert sich um den Papierkram und zahlt die Förderung.

Kiebitz hatte in der diesjährigen Brutsaison sehr gute Startbedingungen

„Das ist alles kein Geheimnis“, sagt Ilka Nüske: „Es gibt 50 Euro Einzelförderung pro Gelege und 1000 Euro Ausgleich pro Hektar. Gefördert wird ab 0,1 Hektar.“ Die Teilnahme am Programm verpflichtet den Landwirt immer nur für eine Saison. Ilka Nüske freut sich über immer mehr Menschen, die Kiebitzbestände von sich aus melden. „Da geht es nicht um Fördergelder, sondern um den Schutz der Vögel. So soll es sein und das ist großartig.“

Ein Kiebitzgelege ist auf dem Feld nur beim genauen Hinsehen zu erkennen.
Ein Kiebitzgelege ist auf dem Feld nur beim genauen Hinsehen zu erkennen. © picture alliance / Zoonar | Bosch Marcus

Die diesjährige Brutsaison ist fast vorüber. Der Kiebitz hatte 2024 sehr gute Startbedingungen. Auf den nassen Herbst folgten ein sehr nasser Winter und das späte Frühjahr. Vor der Aussaat waren manche Kiebitze schon ins Grünland und auf Weideflächen abgewandert. Die Letzten brüten jetzt auf dem Acker. Für eine Bilanz des Schutzerfolges ist es noch etwas zu früh. 58 Gehege wurden bisher über das Projekt gefördert. Das entspricht 21 Prozent des Landesbestandes. Die bange Frage ist, wie viele der flüggen Jungvögel überleben.

Sogar Störche schlägt der filigrane Kiebitz in die Flucht

„Mit zwei Krähen kommt ein Kiebitzpaar noch klar“, weiß Jochen Quast aus eigener Beobachtung. „Die werden so lange attackiert, bis sie sich verziehen. Aber eine Horde Möwen, das ist schon ein anderer Schnack“. Auch Ilka Nüske bewundert, wie todesmutig der filigrane Kiebitz seine Schein-Attacken fliegt. Sogar Störche schlägt der 30 Zentimeter große und 300 Gramm leichte Vogel in die Flucht.

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Gegen Gegner auf vier Beinen haben Brut und Jungvögel keine Chance. Mit der Zunahme von Raubwild haben die natürlichen Feinde des Kiebitzes in den vergangenen Jahrzehnten enorm zugenommen. Während bis in die 60er-Jahre selbst Füchse in den Vier- und Marschlanden kaum eine Rolle spielten, pirschen heute auch Marderhunde, Waschbären, Minks und Marder durchs Revier. „Vielleicht müssen sich bald auch Naturschützer und Jägerschaft zusammenraufen“, munkelt da der Landwirt. Keine Frage, es gibt viel zu tun, bis die „Gaukler der Lüfte“ wieder in voller Stärke mitspielen.