Bergedorf. Auf den Spuren des Nationalsozialismus: Experte erklärt die Anziehungskraft des alten und des neuen Rechtsextremismus.

Die Begeisterung für Adolf Hitler war riesig im Bergedorf der 30er- und frühen 40er-Jahre: Sofort nach der Machtergreifung im März 1933 tauchten überall im Straßenbild Hakenkreuze auf, begann der Boykott der jüdischen Geschäfte, wurde mit Verhaftungen und Zuchthaus jeglicher Widerstand ausgemerzt. Sogar auf kritische Äußerungen in der Öffentlichkeit reagierten die Nazis mit gut sichtbaren Festnahmen. Spätestens ab 1935 war ganz Bergedorf gleichgeschaltet, auch in den Köpfen. Denn ganz nebenbei war es Hitler und seiner NSDAP gelungen, mit riesigen Beschäftigungsprogrammen die grassierende Arbeitslosigkeit zu beseitigen, die seit Ende 1929 breite Bevölkerungsteile verelenden und nach einem starken Mann rufen ließ.

Aber warum hatte niemand ein Problem damit, dass die Nazis eine Diktatur aufbauten? Hätten die Bergedorfer erkennen können, dass es sich beim wirtschaftlichen Aufschwung schon um Kriegswirtschaft handelte, die Deutschland in den Ruin trieb, wenn es nicht wenige Jahre später seine Nachbarländer angreifen würde? Antworten auf diese Fragen gibt der Historiker Christian Römmer am Mittwoch beim Feierabend-Rundgang des Kultur- & Geschichtskontors: „Neben den Themen Widerstand und Verfolgung ist mir der Blick auf die ganz normalen Bergedorfer wichtig“, sagt der Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Man müsse „versuchen zu verstehen, warum sie zu Tausenden die NSDAP gewählt haben“, auch um die Ursachen des heutigen Rechtsextremismus zu ergründen.

Rundgang zu Orten von Judenverfolgung, Zwangsarbeit und Bergedorfs Nazi-Strukturen

Römmer startet am 15. Mai um 18 Uhr am Kultur- & Geschichtskontor, Reetwerder 17, zu seinem etwa zweistündigen Rundgang „Gegen das Vergessen“. Die Teilnahme kostet 9 Euro, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Stationen werden Straßen und Gebäude in Bergedorfs Innenstadt sein, die Zeugen von Judenverfolgung wurden oder Orte der NS-Strukturen von der Hitlerjugend bis zur Gestapo waren.

Auch das Thema Zwangsarbeit nimmt bei Christian Römmer einen breiten Raum ein. Schließlich gab es etliche namhafte Bergedorfer Unternehmen, die von den Tausenden verschleppten Menschen profitierten, die billige Arbeitskräfte waren – nicht nur, weil sie in die Rüstungsproduktion einbezogen waren. „Auch Häftlinge aus dem KZ Neuengamme gehörten zum Heer der Zwangsarbeiter“, erinnert der Experte an die gängige Praxis des SS-Lagerkommandos, die Inhaftierten an die Betriebe zu vermieten. „Zudem gab es die eine oder andere Firma, die auch als Zulieferer des KZ Neuengamme gute Geschäfte machte.“