Hamburg. Die Gambrinen trinken gern Bier und tragen deswegen auch diesen Namen. Wer laut Satzung aus dem Jahr 1885 Mitglied werden darf.
Der Unterhaltungsclub Gambrinus existiert seit 139 Jahren und lockt immer wieder neue Mitglieder an. Zu den jüngsten Gambrinen zählt Michel Podpiser – im doppelten Sinne: Er ist erst 16 Jahre alt und erst seit acht Monaten dabei. Der in Kirchwerder lebende Jugendliche profitierte von der Gambrinen-Regel, dass man ab einem Alter von 15 Jahren dem Club beitreten darf, sofern man konfirmiert ist. Bleiben dürfen die Mitglieder lebenslänglich – sofern sie nicht heiraten. Denn eine Eheschließung bedeutet Rausschmiss.
Warum ein 15-Jähriger nach seiner Konfirmation dem Club beitreten darf? „Bei seiner Konfirmation darf man ja auch Bier trinken. Wir Gambrinen trinken gern Bier. Die Konfirmation ist für uns die Schallgrenze“, sagt Jan Dietrich (27), der im dritten Jahr in dem Unterhaltungsclub ist.
Gambrinus: Nur Junggesellen aus den Vier- und Marschlanden sind zugelassen
Da Podpiser in Kirchwerder lebt, durfte er eintreten, ohne dass die Mitglieder über seinen Eintritt abstimmen. „Bei Interessenten, die nicht aus Kirchwerder kommen, wird demokratisch entschieden, ob sie dabei sein dürfen“, sagt Dietrich. Mitmachen dürfen allerdings nur Vier- und Marschländer, allen anderen wird der Zutritt verwehrt. „Das ist alles in der Satzung von 1885 exakt festgelegt“, sagt der 27-Jährige.
Der Verein ist nach einem legendären König benannt, der als Erfinder des Bierbrauens gilt. Derzeit zählt der Club 23 Mitglieder. Drei von ihnen sind erst seit wenigen Wochen dabei. An jedem letzten Freitag im Monat (20 Uhr) treffen sich die Junggesellen in der Holzhütte eines Ex-Gambrinen in Kirchwerder. Dort nehmen sie an einem langen Tisch Platz und Vereinsangelegenheiten.
Das Osterfeuer der Gambrinen lockt jedes Jahr tausende Besucher an
So geht es etwa um die Planung des Osterfeuers im Deichvorland in Kirchwerder (Hower Hauptdeich/Zollenspieker Hauptdeich/Ecke Sander Deichweg), in diesem Jahr am Sonnabend, 30. März, 20 Uhr. „Das ist ja unser Hauptding“, sagt Dietrich. Die Vorbereitung eines der größten Osterfeuer in Hamburg – vergangenes Jahr lockte es rund 5000 Besucher – ist aufwendig. Deshalb ist bei den Sitzungen Disziplin gefragt. „Auch die Pflege unserer Fahrzeuge – wer was macht – wird dann besprochen“, sagt Dietrich und fügt hinzu: „Alle denken, dass wir nur saufen. Aber das ist Quatsch.“ Bei den Treffen gehe alles „richtig offiziell“ zu, wie es sich für einen Verein gehört, Protokollführung inklusive. „Wir machen sogar alle unsere Handys aus, um in Ruhe und konzentriert arbeiten zu können. Alle agieren sehr respektvoll und hören dem, der gerade spricht, auch zu.“
Während der Besprechung werde deshalb nur wenig Bier getrunken. Anschließend bleibt meist ein harter Kern zum Klönschnack – und zum Anstoßen. „Das geht dann auch mal bis nachts um 3 Uhr.“ Die Bewirtung übernehmen stets ehemalige Gambrinen, passive Mitglieder, die im Hintergrund agieren, Bier zapfen und gelegentlich wertvolle Tipps geben, berichtet der 27-Jährige.
Gambrinen achten darauf, dass kein Kamerad betrunken fährt
Die Gambrinen würden gegenseitig auf sich aufpassen: „Wir passen auf, dass niemand betrunken fährt, egal, ob Auto, Roller oder Fahrrad.“ Die Junggesellen würden nach bierseligen Treffen zu Fuß nach Hause gehen oder Fahrgemeinschaften bilden. „Ohne Führerschein, das wäre auch für den Club schlecht. Schließlich brauchen wir Leute, die den Trecker fahren. Verlieren Gambrinen ihrern Führerschein, schießen wir uns selbst ein Eigentor“, sagt Dietrich.
Finanziert werden die Aktivitäten – allein die Durchführung des Osterfeuers mit Festzelt, DJ, Straßensperren und Versicherungen ist kostenintensiv – durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und den Getränkeverkauf bei dem Riesenfeuer. Auch die Pflege des Fuhrparks wird von dem Geld bezahlt. Die Gambrinen haben einen Trecker, einen Schlitten, einen Bauwagen und einen Toilettenwagen. Die Fahrzeuge parken auf dem Bauernhof eines Ex-Gambrinen.
Wer ausscheiden muss, unterstützt den Club oft weiter als passives Mitglied
„Bei Gambrinus muss man anpacken können, beispielsweise Holzstapeln“, sagt Dietrich. Viele Mitglieder kämen aus dem Handwerk. Dietrich betont: „Holz wird auch bei Regen gefahren. Jeder trägt Verantwortung und hat seine Aufgabe, egal, ob es um den Aufbau des Festzelts, das Putzen des Toilettenwagens oder das Anstreichen eines Anhängers geht.“ Niemand sei nur zum Biertrinken da.
Viele Ex-Gambrinen werden passives Mitglied und zahlen weiterhin einen jährlichen (ermäßigten) Mitgliedsbeitrag. „Es gibt mehr als 100 Passivmitglieder“, weiß der 27-Jährige. Einige Familien seien mit drei Generationen vertreten: Einem aktiven Gambrinen sowie dessen passivem Vater und Großvater. Michel Podpiser und Jan Dietrich sind allerdings die ersten Gambrinen in ihrer Familie.
16-Jähriger wurde von seinem Cousin zum Feuerholzsammeln „angeworben“
Podpiser wurde von seinem 23-jährigen Cousin „angeworben“. Der 16-Jährige war einige Male mit zum Feuerholzsammeln in den Vierlanden, trank danach ein Bierchen mit den Gambrinen. „Da habe ich gemerkt, dass die Jungs okay sind, bin zum nächsten Mitgliedertreffen gegangen und eingetreten.“
Dietrich hatte früher, als er noch in Neuengamme lebte, „keinen Bezug zu Gambrinus“. Erst als er nach Kirchwerder umgezogen war, lernte er den Männerclub kennen, traf er dessen Mitglieder auf Partys und Schützenfesten und über gemeinsame Freunde. „Im Dorf kennt man sich halt, zumindest vom Sehen.“
In Eigenarbeit wird der historische Trecker generalüberholt
Der Verein ist auch jährlich beim großen Erntedankfest in Kirchwerder präsent. Beim Festumzug sitzen die Gambrinen auf ihrem Holzschlitten von 1978, der auf einen Anhänger geschraubt ist und von einem Trecker gezogen wird. Der Vereins-Trecker, ein Deutz-Oldtimer, ist auch am Vatertag im Einsatz. „Den haben wir vor 16 Jahren gekauft“, sagt Dietrich. Derzeit wird er von Gambrinen aufwendig generalüberholt. Originalgetreu und komplett in Eigenarbeit Diverse Schrauber aus dem Verein, darunter Michel Podpiser, opfern dafür viel Freizeit. Doch allein die Materialkosten würden eine fünfstellige Summe verschlingen.
Am Vatertag steuern die Junggesellen Traditionsgasthöfe auf dem Lande an. Dann haben sie ihre eigenen Gambrinus-Bierkrüge dabei und sind im Vereins-Outfit gekleidet – weiße Mütze, blaues Hemd mit schwarzen Stickereien, dunkle Hose und ein weinrotes Sakko. Der Verein zahle bei Zusammenkünften auf den großen Festen in der Regel die erste Runde. Den Rest finanzieren die Mitglieder aus eigener Tasche.
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Obwohl nicht alle Gambrinen heiraten, sind sie selten älter als 40 Jahre alt. „Irgendwann hat man wohl keine Lust mehr, auf den großen Holzstapel für das Osterfeuer zu klettern und Holz aufzuschichten“, sagt Dietrich. „Außerdem hat man dann vermutlich auch andere Interessen.“
Ehe oder Gambrinus? Im Schnitt verliert der Verein alle zwei Jahre ein Mitglied
Michel Podpiser muss sich noch vier Monate zusammenreißen: So lange dauert seine Probezeit. „Wenn man Mist baut, wird abgestimmt, ob man weiter dabei sein darf“, sagt er. Dietrich fügt hinzu: „So sind die Regeln. Das muss passen, schließlich sind wir aufeinander angewiesen.“
Mit dem Vereins-Schlitten fahren die Junggesellen auch zur Kirche, wenn ein Kamerad abtrünnig wird: Dann stehen die Gambrinen nach der Trauung Spalier. „Das kommt immer mal vor, zuletzt im vergangenen Jahr in Neuengamme“, sagt Dietrich. Durchschnittlich etwa alle zwei Jahre verabschiede sich ein Kamerad aus der Männerrunde, um seiner Süßen das Ja-Wort zu geben.
Dietrich, Disponent bei Hamburg Verkehrsanlagen, und Podpiser, angehender Kfz-Mechatroniker, sind beide Single. Insofern droht bei ihnen vorerst nicht die Qual der Wahl, ob sie Gambrinen bleiben oder lieber ihre Liebste heiraten wollen. Ob das Gambrinen-Gesetz manchen Kameraden, die eine feste Freundin haben, Stress bereitet? „Ich glaube schon, dass es deshalb bei einigen Gambrinen zu Hause Diskrepanzen gibt“, sagt der 27-Jährige und lacht. „Das ist hundertprozentig ein Reibungspunkt. Schließlich überlegen es sich einige Kameraden bestimmt zweimal, ob sie wirklich heiraten wollen.“