Hamburg. Galab möchte Solaranlage installieren, darf es aber nicht. Grund ist der Flussregenpfeifer, der seit Jahren nicht mehr gesehen wurde.
Es sind trostlose Flächen ganz ohne Vegetation, die im Forschungs- und Innovationspark am Schleusengraben ausgerechnet dem Natur- und Artenschutz dienen sollen: Sämtliche Dächer sind hier mit einer dicken Schicht Kieselsteinen bedeckt – eine Vorgabe des gut zehn Jahre alten Bebauungsplans, um dem extrem seltenen Flussregenpfeifer ein Brutrevier zu bieten. Doch die beiden einst im Sommer einfliegenden Pärchen sind nie wieder gesichtet worden, sagt Dr. Jürgen Kuballa, geschäftsführender Gesellschafter des 2014 hier errichteten Lebensmittellabors Galab: „Vielleicht ist es ihnen doch zu trostlos.“
Was witzig klingt, hat für Galab allerdings schwerwiegende Folgen. Denn selbst als gefiederte Phantome haben die Vögel die Macht, jegliche andere Nutzung der Dächer zu verhindern – sogar das Aufstellen von Photovoltaik zur Stromerzeugung mittels Sonnenenergie. „Der Bebauungsplan ist hier eindeutig“, sagte Oliver Panz, Chef der Stadt- und Landschaftsplanung des Bezirks, am Mittwoch im Stadtentwicklungsausschuss der Bezirksversammlung, wo die Antwort von Umweltbehörde und Bezirksamt auf eine Anfrage der FDP zum Thema auf die Tagesordnung stand.
FDP plädiert für Kompromiss zur Energiewende: Photovoltaik einen Meter oberhalb des Flachdachs
„Wie kann sowas in Zeiten von Energiewende und Klimaschutz noch möglich sein?“, ärgerte sich Karsten Schütt. Für den Bergedorfer FDP-Politiker ist „nicht nachvollziehbar, wo hier der tiefere Sinn liegt“. Auch weil Galab mit aktuell 250 Mitarbeitern allein am Hauptsitz Bergedorf ein stetig wachsendes und für sein Energiekonzept sogar als „Hamburger Umweltpartner“ ausgezeichnetes Unternehmen sei. Schütt plädiert für einen Kompromiss: „Wenn die Photovoltaik-Platten auf ein Gestell gebaut werden, das vielleicht einen Meter Platz zum Kieseldach lässt, sollte es doch möglich sein, hier Arten- und Klimaschutz unter einen Hut zu bekommen.“
Ganz so leicht funktioniere das nicht, dämpft Stadtplaner Oliver Panz die Hoffnung, will sich dem Thema Photovoltaik an dieser Stelle aber nicht grundsätzlich verschließen: „Allerdings braucht es dazu eine Untersuchung zum tatsächlichen Vorkommen von Brutvögeln auf dem Galab-Dach, die einen Weg aufzeigt, wie ihr Lebensraumpotenzial hier erhalten werden kann.“
Umweltbehörde besteht auf einer Ausgleichsfläche
Eine Kompromisslinie, auf der die Umweltbehörde bisher allerdings noch längst nicht zu sein scheint. Denn in ihrer Antwort auf die Anfrage der FDP macht sie deutlich, dass die Kiesdächer nur dann überhaupt für eine alternative Nutzung wie Photovoltaik freigegeben werden können, wenn vor dem Baustart in der näheren Umgebung Flächen für die Vögel aufgewertet worden sind. Und gelte „unabhängig vom Kartierergebnis“, also ganz gleich, ob der Flussregenpfeifer noch nachwiesen werden kann oder nicht.
Eine Aussicht, bei der Jürgen Kuballa schon abwinkt: „Diese Flächen hatten wir schon vor unserem Bau im Jahr 2014 gesucht, in der Umgebung hier aber nicht gefunden. Das dürfte also auch heute nicht anders sein.“ Er setzt nun darauf, mit dem bereits projektierten Neubau auf der Grünfläche neben dem Galab-Sitz mit 150 Arbeitsplätzen eine Lösung für das Photovoltaik-Problem zu finden: „Eigentlich ziehen wir doch in Sachen Umwelt- und Klimaschutz alle an einem Strang.“
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Naturschutz auf einer ehemaligen Industriefläche
Die Frage, ob Hamburgs Senat die Energiewende tatsächlich als ebenbürtig mit dem Artenschutz sieht, könnte nun auf dem Tisch von Jens Kerstan landen. Der Bergedorfer Grüne ist als Senator nämlich Chef derjenigen Behörde, die in der Hansestadt die Ressorts Umwelt, Klimaschutz, Energie und Agrarwirtschaft miteinander verbindet.
Beim Blick auf die Geschichte des Schauplatzes wirkt der Photovoltaik-Streit ohnehin sehr speziell: Der Forschungs- und Innovationspark am Schleusengraben wurde teils auf ehemaligen Industrieflächen eingerichtet. Wenige Meter südlich des Galab-Grundstücks produzierte bis in die 70er-Jahre die Firma Thörl Glyzerin und Fettsäuren, lag zudem eine Fass-Reinigung, die zusammen vermutlich jene Giftfahne im Grundwasser hinterließen, die bis heute Probleme macht. Zudem mussten die Flächen vor der erneuten Bebauung von illegalen Müllkippen befreit werden.
„Ich hoffe auf eine unbürokratische Lösung unserer im Vergleich doch eigentlich kleinen aktuellen Probleme“, sagt Karsten Schütt. „Auch im Hinblick auf eine Zukunft des Lebensmittellabors Galab hier bei uns in Bergedorf.“