Hamburg. Die Sowjetunion ist vertreten, andere Länder nicht. Das Internationale Mahnmal der KZ-Gedenkstätte wird umgestaltet. Was geplant ist.
Ein wichtiger Bestandteil der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ist das Internationale Mahnmal, zu dem auch sogenannte Länderplatten gehören. Auf ihnen stehen die Namen der Länder, aus denen Menschen stammten oder lebten, bevor sie in das Neuengammer Konzentrationslager deportiert wurden. Das 1965 errichtete, wie die gesamte Gedenkstätte denkmalgeschützte Mahnmal soll nun umgestaltet werden: Offizielle Repräsentanten mehrerer Länder, insbesondere der Ukraine, haben die Gedenkstätten-Leitung darum gebeten.
Ihre Kritik: Die Namen auf den Steinplatten am Rand des Weges zu der 27 Meter hohen Stele und einer Bronzeskulptur, die einen am Boden liegenden sterbenden Häftling darstellt, seien nicht mehr aktuell. So gibt es beispielsweise keinen Gedenkstein für die Ukraine, weil sie damals eine Teilrepublik der Sowjetunion war.
Gedenkstätte: Kritik an Ländersteinen in Neuengamme – Ukraine fehlt
Vor der Steinplatte mit der Aufschrift CCCP (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) mögen die Ukrainer jedoch spätestens seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf ihr Land vor zwei Jahren keine Blumen mehr niederlegen. Doch gerade die Ukrainer bildeten – neben den polnischen Häftlingen – die größte Gruppe im Lager.
Die Namensvergabe sei für Historiker generell ein schwieriges Thema, betont Professor Dr. Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen. „So gibt es etwa auch einen Stein mit der Aufschrift ,Israel‘, aber den Staat gab es 1945, zum Ende des Krieges, noch gar nicht“, sagt von Wrochem, der selbst Historiker ist. Die Inschrift „Israel“ stehe stellvertretend für die in Neuengamme inhaftierte Juden.
Sollen auch frühere Kolonialgebiete bedacht werden?
Eine weitere „kleine Unschärfe“ (von Wrochem) sei die Aufschrift „Roma“, weil es sich hierbei nicht um ein Land, sondern um eine Bevölkerungsgruppe handelt. Einen Stein für „Sinti“ haben die Planer des Mahnmals damals wiederum nicht aufstellen lassen. Dann stelle sich wiederum die Frage, ob auch frühere Kolonialgebiete bedacht werden sollten. Bisher sind die Häftlinge aus diesen Gebieten den Ländern zugeordnet, die diese Territorien annektiert hatten.
So ist den Wissenschaftlern in Neuengamme beispielsweise ein Widerstandskämpfer bekannt, der in Frankreich lebte, aber eine andere Nationalität hatte. Ein weiterer bekannter Fall ist der von Anton de Kom (1898-1945). Er stammte aus dem südamerikanischen Land Suriname, lebte aber als Widerstandskämpfer in den Niederlanden. De Kom starb am 24. April 1945 in einem Neuengammer Außenlager – wenige Tage vor der deutschen Kapitulation am 8. Mai.
Haben sich georgische Rotarmisten als Georgier oder Sowjets betrachtet?
„Wie sollen wir mit Georgiern und Usbeken umgehen, die beispielsweise in Kiew gelebt haben? Sie waren zur Zwangsarbeit hier. Auch Kämpfer der Roten Armee wurden von den Nationalsozialisten aus den Kriegsgefangenenlagern zur Zwangsarbeit in Konzentrationslagern geschickt“, sagt der Gedenkstättenleiter. Man wisse ja auch nicht, ob sich georgische Rotarmisten damals, im Krieg, in erster Linie als Georgier oder als Sowjets betrachtet haben.
Von Wrochem findet den Wunsch nach neuen Gedenksteinen „nachvollziehbar“, denn „es gibt diese Staaten heute, und auch sie haben das Bedürfnis, zu gedenken“. Einige der Länder, die bisher nicht mit einem eigenen Stein vertreten sind, habe es sogar schon zeitweise vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben, „etwa Lettland und Litauen“. Andererseits könne der Gedenkstättenleiter auch seine Historiker-Kollegen gut verstehen, die die geografische Aufteilung der Welt zur Zeit der Inhaftierungen in Neuengamme für maßgeblich halten. „Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust“, sagt der Historiker.
Alte Gedenksteine bleiben erhalten und werden um neue ergänzt
Eine Arbeitsgemeinschaft befasst sich bereits seit eineinhalb Jahren mit einer Lösung. Einbezogen sind alle Gremien der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen – Fachkommission, Beirat und Stiftungsrat. Im September gab es zu dem Thema online ein wissenschaftliches Kolloquium, zu dem auch Fachwissenschaftler aus dem Ausland zugeschaltet waren. Grundsätzlich sei klar, dass die Anlage umgestaltet wird, betont von Wrochem.
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Ein erstes Konzept wurde wieder verworfen. Es sah vor, dass weitere Ländersteine, gegenüber den bereits existierenden Platten, aufgestellt werden sollten. „In der Arbeitsgemeinschaft überwiegt aber der Wunsch nach einer neuen Form des Gedenkens“, sagt von Wrochem. Die neuen Elemente sollen sich von den alten abgrenzen: „Es geht auch um eine Erkennbarkeit dessen, was inzwischen passiert ist.“
Entschieden wurde auch, eine neue Tafel aufzustellen, die darüber informiert, was auf dem betreffenden Abschnitt der Gedenkstätte zu sehen ist. Eine ältere Tafel soll aktualisiert werden, vermutlich wird auch ein QR-Code für weitere Informationen zur Geschichte und zur Überarbeitung der Anlage installiert.
Die Umgestaltung der Anlage soll im Mai 2025 abgeschlossen sein.
Neue Erkenntnisse sollen im Laufe der kommenden Jahre problemlos eingearbeitet werden können. Schließlich werde noch zu einzelnen Ländern recherchiert. Ein Landschaftsplaner, der in den Prozess eingebunden ist, wird im Laufe der kommenden Wochen und Monate einen Entwurf vorstellen. Klar sei bereits, dass die alten Steine bleiben werden. Neue Elemente soll es nur für neue Ländernamen geben. Spätestens im Mai 2025, 80 Jahre nach Kriegsende, soll die neugestaltete Anlage fertig sein, „möglicherweise aber schon dieses Jahr“.
Die Stadt bezuschusst das Projekt mit einer Summe im kleineren fünfstelligen Bereich, berichtet von Wrochem, „doch das wird vermutlich nicht reichen“. Deswegen wird die Gedenkstätte vermutlich Eigenmittel verwenden und andere Stiftungen um Geld bitten müssen, „zumal für die Umgestaltung auch aufwendige Bodenarbeiten notwendig sind“.