Hamburg. Mindestens sieben Rettungswagen-Einsätze, weil viele Anlieger Räumpflicht vernachlässigen. Welche Mittel schnell gegen Eis helfen.
Nirgends hat der Wintereinbruch so gefährliche Folgen wie auf Lohbrügges Fußgängerzone: „Hier sind in den vergangenen Tagen mindestens sieben Senioren so schwer gestürzt, dass der Rettungswagen kommen musste“, sagt Akbar Gholami, Inhaber des orientalischen Refah-Marktes im oberen Bereich der Alten Holstenstraße, wo die Fußgängerzone leicht bergab führt, was die Rutschgefahr bei Schnee und Eis noch zusätzlich fördert.
Gholami ist fast der einzige, der den Bereich vor seinem Laden rechtzeitig geräumt hatte, auch weil er hier Obst und Gemüse unter freiem Himmel anbietet. Am Dienstag schlug er zudem einen Weg zur anderen Seite der Fußgängerzone durch das Eis: „Mehr als die Hälfte meiner Kunden kommt von der anderen Seite, wo unter anderem das Ärztezentrum und die Praxis-Klinik liegen. Und die sind seit Anfang der Woche ausgeblieben, weil sich kaum noch jemand über die spiegelglatte Fußgängerzone traut“, hat der Einzelhändler beobachtet. Zudem half er seinen Nachbarn mit Schneeschieber, Granulat und wenn er Zeit hatte auch mit Muskelkraft aus, „denn für viele kam der Schnee so überraschend, dass sie völlig unvorbereitet waren“.
Winter in Hamburg: Schwere Glatteis-Unfälle in Lohbrügges Fußgängerzone
Tatsächlich scheint sich mancher auch gar nicht zuständig gefühlt zu haben für die öffentlichen Flächen vor der eigenen Tür. „Hier in Lohbrügge sehen viele die Stadtreinigung in der Verantwortung, schließlich sorgt die auch für die Sauberkeit in der Fußgängerzone. Aber das ist ein Trugschluss“, weiß Rainer Guzek, der den Hausmeisterdienst neben verschiedenen anderen Gebäuden im Zentrum Lohbrügges auch für die Immobilie von Penny an der Alten Holstenstraße macht.
Das unterstreicht auf Nachfrage auch die Stadtreinigung: „Wir sind für die Straßen und alle Nebenflächen zuständig, die nicht an Privatgrundstücke grenzen. Überall sonst liegt die Pflicht zur Schnee- und Eisbeseitigung bei den Anliegern“, verweist Stadtreinigungssprecher Johann Gerner-Beuerle auf das Hamburgische Wegegesetz. „Mir ist keine Fußgängerzone in der Stadt bekannt, wo das anders wäre. Auch nicht auf Spitaler- und Mönckebergstraße in der Hamburger City.“
Bethesda Krankenhaus behandelt täglich bis zu 30 Glätte-Opfer, die Hälfte davon stationär
Das Gesetz sieht dabei für Fußgängerzonen sogar besondere Pflichten vor. So wird die übliche Räumung von einem Meter Breite hier wegen der hohen Fußgängerfrequenz auf mindestens drei Meter, laut aktuellem Info-Flyer der Umweltbehörde gewöhnlich sogar auf die gesamte Straßenbreite ausgeweitet. Das alles muss werktags einschließlich der Sonnabende bis morgens um 8.30 Uhr und sonntags spätestens bis um 9.30 Uhr erfolgt sein.
Geschieht das nicht, zeigen sich die Folgen in den Kliniken. So sind in dieser Woche täglich bis zu 15 Patienten nach Glatteis-Stürzen in Bergedorfs Agaplesion Bethesda Krankenhaus aufgenommen worden. Hinzu kommen nochmal so viele, die ambulant versorgt werden konnten. Ähnlich ist die Situation in Geesthacht, wo derzeit 10 bis 15 Rettungswagenfahrten Sturzopfer ins Krankenhaus bringen.
Tau-Salze sind auf Hamburgs Gehwegen grundsätzlich tabu
Wer den Kampf gegen das Eis aufnimmt, aber nicht wie Akbar Gholami zu Schaufel und Spaten greifen mag, der kann zu verschiedensten Streumitteln greifen. „Allerdings dürfen auf Gehwegen in Hamburg grundsätzliche keine Tau-Salze verwendet werden. Nur abstumpfende Stoffe sind erlaubt“, sagt Johann Gerner-Beuerle von der Stadtreinigung.
Was das sein kann, weiß Rainer Guzek, der als Winterdienst-Referent Vorträge in ganz Deutschland hält. Sein Favorit ist Bims-Granulat, das rund 30 Euro je 40-Kilogramm-Sack kostet, der für etwa 1500 Quadratmeter Fläche reicht. „Bims ist ein Quarzsand, der sich bei der Reaktion mit Wasser auflöst. Er braucht also später nicht wieder eingefegt zu werden und verstopft auch keine Siele.“
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Ähnlich verhält es sich mit Blähton, ein hocherhitztes und geschreddertes Streugut aus Ton, das für rund 25 Euro je 40 Kilo zu haben ist. Zudem setzt Guzek Mais-Granulat ein, das in gleicher Menge für rund 45 Euro zu haben ist und sich zwar nicht auflöst, aber nach dem Ende der Frostperiode als Staub einfach weggeblasen werden kann. Teuerstes Mittel in seinem Repertoire, das komplett mit dem Blauen Engel zertifiziert ist, sind mit Magnesium und Chlor behandelte Holz-Schnitzel zu etwa 50 Euro je 40 Kilo. „Durch ihre Beschichtung lösen sie das Eis oberflächlich auf und frieren dann als eine Art von Holz-Noppen wieder fest“, beschreibt Rainer Guzek.
Laut Wetterbericht wird die Eiszeit in Norddeutschland zum Ende dieser Woche eine Auszeit nehmen. Voraussichtlich bis Dienstag könnten die Temperaturen wieder über den Gefrierpunkt klettern, wobei der eine oder andere Sprühregen für Blitzeis sorgen könnte. Ob in der zweiten Wochenhälfte der Winter zurückkehrt, ist derzeit noch offen.
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