Hamburg. Zum Jahresende wird in Deutschland viel getrunken. Doch für manche Menschen ist schon der Gang über den Weihnachtsmarkt kritisch
Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Die offene Bar bei der Betriebsfeier. Feuerzangenbowle auf der Skihütte, der gute Rote an Heiligabend und ein prickelndes Glas Sekt auf das Neue Jahr. Alkoholkonsum ist rund um die Feiertage in Deutschland besonders weit verbreitet.
So stellte das Meinungsforschungsinstitut Insa im vergangenen Jahr fest, dass jeder dritte Befragte zwischen 18 und 29 an Weihnachten und Silvester nach eigenen Angaben zu viel trinkt. Für alkoholkranke Menschen kann die eigentlich festliche Zeit deshalb zu einer besonderen Herausforderung werden – und auch für alle, die aus anderen Gründen keinen Alkohol trinken wollen.
Alkohol an den Feiertagen: AA wünschen mehr Rücksicht auf trockene Trinker
Der 71-jährige Bergedorfer Bodo L. ist langjähriges Mitglied der Anonymen Alkoholiker (AA) und mahnt Menschen, die gerade erst mit dem Trinken aufgehört haben, zur Vorsicht: „Am Anfang sollte man Weihnachtsmärkte und Silvesterparties, auf denen viel getrunken wird, eher meiden.“ Selbst der Geruch von Glühwein könne den Wunsch nach einem Schluck auslösen.
Mit der Zeit gewinnen jedoch die meisten trockenen Alkoholiker eine gewisse Festigkeit zurück. „Mittlerweile habe ich kein Problem mehr damit, an Orten zu sein, an denen Alkohol getrunken wird“, sagt Bodo L.. Die Erkrankten müssten auch lernen, über ihre Situation angemessen zu sprechen. Einerseits rät der AA-Veteran zu Offenheit und Klarheit. Man müsse aber auch nicht jedem Menschen die eigene Alkoholkrankheit direkt auf die Nase binden: „Ich muss mich ja schließlich auch nicht erklären, warum ich nicht rauche“, so der 71-Jährige.
Niemand sollte zu einem Schluck Sekt gedrängt werden
Oft helfe es eine klare Alternative zu Wein oder Bier zu benennen und zu sagen: „Ich hätte lieber einen Kaffee oder eine Cola.“ Wenn das nicht hilft, macht Bodo L. dem Gegenüber höflich klar: „Alkohol macht mich krank.“ Eigentlich würde er sich aber wünschen, dass so klare Ansagen gar nicht nötig sind. Wer ein Familienfest oder eine Party plant, könne sich schon im Vorfeld bewusst machen, dass nicht alle Gäste Alkohol trinken wollen. Akoholfreie Alternativen sollten bereitstellen und niemand auch nur zu einem Schluck Sekt gedrängt werden.
Ein Problem: Viele Menschen wissen gar nichgt, wo sich überall Alkohol versteckt. Bodo L.: „Auch Ärzte, die ihren Patienten eigentlich kennen, verschreiben dann auf einmal Hustensaft mit Alkohol.“ Auch der Irrglaube, dass die berauschenden Inhaltsstoffe in gekochtem Essen kein Problem sei, halte sich hartnäckig. Dabei zeigt eine eine Studie des us-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums: Es bleiben selbst dann noch zehn Prozent des Alkohols in einem Gericht zurück, wenn der Kuchen oder der Eintopf zwei Stunden lang gebacken oder geköchelt wurde. Und selbst wenn die berauschende Substanz vollkommen verdampft ist: Laut Bodo L. kann schon das Aroma im schlimmsten Fall Verlangen nach einem Drink auslösen.
Eigenes Konsumverhalten mit einem Fragebogen testen
Laut dem Bundesgesundheitsministerium konsumieren neun Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland Alkohol in „problematischem Ausmaß“. Im Jahr 2016 starben 43.000 Männer und 19.000 Frauen an einer Todesursache, die eindeutig auf ihren Alkoholkonsum zurückzuführen ist. Wer den Verdacht hat, dass sein Trinkverhalten problematisch sein könnte, dem empfiehlt Bodo L. im ersten Schritt einen Fragebogen, wie den von E.M. Jellinek, mit Fragen wie „Denken Sie häufig an Alkohol“ oder „Haben Sie nach den ersten Gläsern ein unwiderstehliches Verlangen weiter zu trinken“.
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Letztlich müsse jeder für selbst erkennen, ob er ein Problem hat. Dann bieten Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker eine Anlaufstelle, um nicht allein mit der Sucht umgehen zu müssen. Bei den Treffen können die Betroffenen über ihre Situation sprechen, ohne verurteilt zu werden. „Es muss auch niemand direkt sagen: Ich trinke nie wieder Alkohol“, betont Bodo L.: „Der erste Schritt ist vielleicht einfach, an einem Tag nicht zu trinken. Oder auch nur drei Stunden lang.“ Wenn nach einer trockenen Phase dann das Verlangen nach der Droge wiederkommt, sind die Mitstreiter aus der Gruppe im Notfall zu erreichen.
130 Anlaufstellen der Anonymen Alkoholiker in Hamburg
In Hamburg gibt es 130 Anlaufstellen der weltweit agierenden Organisation, dazu viele weitere Gruppen, wie die Guttempler und das Blaue Kreuz. „Wo man hingeht, ist meiner Meinung nach egal. Hauptsache es funktioniert für einen selbst“, sagt das AA-Mitglied.
In Bergedorf treffen sich die Anonymen Alkoholiker zum Beispiel mittwochs, 19 Uhr, im Harders Kamp 1, oder zur gleichen Zeit im Gemeindehaus St. Michael (Gojensbergweg 26). Im Schulenburgsring 168 in Lohbrügge finden Meetings immer mittwochs, 10.30 Uhr, oder freitags, 19.30 Uhr, statt. Bodo L. ist schon seit über 40 Jahren dabei. Er weiß, dass der Weg nicht immer leicht ist. „Aber wenn man bleibt, bekommt man ein neues Leben“, sagt der 71-Jährige und ein Lächeln huscht über sein Gesicht.