Hamburg. Lieber ambulant als Klinikbett: Alexandra Bussopulos-Orpin (55) möchte Teams mit Bezugstherapeuten bilden, die Hausbesuche machen.
Die ersten 100 Tage sind noch nicht verstrichen, aber schon jetzt scheint Dr. med. Alexandra Bussopulos-Orpin gut im Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf angekommen zu sein – wenn auch leider nicht mit dem Fahrrad. „Dafür ist es von Groß Borstel zu weit. Das ging vorher besser, dass ich nach der Arbeit auf dem Rad noch ein bisschen frische Luft bekam“, sagt die 55-Jährige. Sie hat Anfang Oktober die Nachfolge von Claas Happach angetreten und leitet nun am Glindersweg die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Dazu gehören 76 stationäre Betten und 35 Plätze in der Tagesklinik.
„Mann, Kind, Hund, Katz – das hab‘ ich alles“, sagt Bussopulos-Orpin lachend und erklärt, dass ihr Nachname vom griechischen Vater und vom englischen Ehemann abstammt. Aber tatsächlich ist sie Ur-Hamburgerin: „Ich bin in Duvenstedt groß geworden, als es da noch mehr Rapsfelder als Häuser gab. Dann habe ich in Hamburg studiert und hier auch gleich meinen Arzt im Praktikum in der Neurologie bekommen.“
Psychiatrie: Neue Chefärztin im Agaplesion Bethesda Krankenhaus
Es folgten fast 24 Jahre im UKE als Fachärztin für Neurologie sowie Psychiatrie und Psychotherapie. Zuletzt leitete sie als Oberärztin die integrierte Versorgung und die offene Akutstation. 2019 wechselte sie an das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf und 2022 ans Albertinen Krankenhaus. „Jetzt stelle ich mich der Herausforderung als Chefärztin, die nicht nur die Bergedorfer Patienten versorgt, sondern auch die Zahlen im Blick haben muss.“
Dass Bergedorf „ganz schön weit weg und weitläufig ist“, zeigt auch ihr Blick auf die Versorgung psychisch kranker Menschen: „Das ist hier sehr klinikorientiert, es gibt im Bezirk zu wenig niedergelassene Kollegen. Und eigentlich finde ich es auch skandalös, was mit dem Verkauf von Kassensitzen passiert. Wenn Nervenärzte in Rente gehen, geht ihr Sitz nicht unbedingt an einen Psychiater weiter.“
Viele Psychiatrie-Patienten landen in der Notaufnahme
Und so landen eben viele in der „Drehtür Notaufnahme“, wo sie eigentlich nicht hingehören: „Besser wäre es, die Not vorher abzuwenden durch Bezugstherapeuten“, meint die Ärztin, die gern ein Team aufbauen würde, das auch aufsuchend arbeiten kann: „Dann hat man die Patienten auf dem Schirm, auch wenn es mal drei Wochen keinen Kontakt gibt. Und wenn jemand nicht erreichbar ist, ahnt man, dass eine Krise am Horizont ist, sich eine akute Phase abzeichnet.“
Ideal wäre, wenn ein Fünferteam maximal 125 Patienten begleitet, die auch rund um die Uhr das Notfalltelefon nutzen können. Vorbild Holland: „Da gibt es eine Klinik, die nur noch 20 geschützte Betten hat und alles andere ambulant macht, sehr individuell am Bedarf orientiert.“ Dafür jedoch bräuchte es in Bergedorf mehr Mediziner: „Derzeit sind vier von 17 Arztstellen unbesetzt“, sagt Alexandra Bussopulos-Orpin.
Präventive Früherkennung von Problemen junger Erwachsener
Dabei hat die Frau, die „lieber direkt am Patienten und weniger in Forscher-Labors“ arbeitet, noch viel mehr Ideen: Nicht erst seit Corona seien viele Jugendliche Stress ausgesetzt, durch Mobbing in sozialen Medien, Drogenkonsum und digitalem Konsum. Bevor aber jemand plötzlich Selbstgespräche führt, depressiv wird oder eine Essstörung bekommt, würde sie „gern ein diagnostisches Angebot bieten, als präventive Früherkennung von Symptomen, die nicht erst zur Krankheit werden müssen“.
Um Jugendlichen und Jungerwachsenen zu helfen, die in der Schule oder im Sportverein auffällig werden, möchte sie mit dem Wilhelmstift kooperieren. „Es geht um eine diagnostische Einschätzung, mit der man die Weichen einer Behandlung stellen kann.“
Schizophrenie ist das Spezialgebiet von Alexandra Bussopulos-Orpin
Auf der anderen Seite interessiert sie sich aber ebenso für die schwersten Fälle und die Ursachen ihres Leidens: „Mein Leib- und Magenthema ist die Schizophrenie“, sagt die 55-Jährige. Sie sei fasziniert von der Symptombildung und dem Störungsmodell, bei dem man sehr feinfühlig einen Bezug herstellen müsse. „Diese Menschen sind mental wenig in der Lage, ihre inneren Vorgänge in Worte zu fassen, da ist die differenzierte Wahrnehmung von Gefühlen gestört.“
In der Antike seien solche Menschen angekettet, ausgepeitscht und gesteinigt worden. „Auch heute gibt es noch viel Stigmatisierung, wenn es heißt, die seien verrückt. Aber schizophrene Menschen leben nicht am Rande der Gesellschaft. Und ich ertrage es nicht, wenn sie noch heute schlecht behandelt werden.“
Agaplesion Bethesda Krankenhaus bietet viele Therapiemöglichkeiten
Das betreffe auch verwahrloste Obdachlose, die sich ungern helfen lassen. „Aber es sollte nicht erst bitterkalt werden müssen, bevor solche Menschen beachtet werden. Wenn eine Krankheit das strukturelle Denken, Fühlen und Wahrnehmen schwer beeinträchtigt, wird es schwierig, von einer freien Willensbildung zu sprechen. Nicht jeder schizophrene Mensch kann sich frei entscheiden, er gehört behandelt.“
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Im Übrigen bietet das Agaplesion Bethesda Krankenhaus viele Therapiemöglichkeiten, einzeln oder in Gruppen. Auch Musik- und Maltherapien eignen sich, um Prozesse zu übersetzen. Psychotherapeutin Alexandra Bussopulos-Orpin hat ein Faible für die Kunst, in ihrem Büro hängen schon eine Rodin-Zeichnung der Venus und das „Mädchen mit rotem Hut“, ein Aquarell des Expressionisten Emil Nolde.