Hamburg. Angelika Lullies (69) hat sich für die Ausstellung „GemEinsam“ in Bergedorf fotografieren lassen. Wie sie mit dem Alleinsein umgeht.
Vielleicht ist es ein mühevolles „Trotzdem“ oder ein mutiges „Jetzt erst recht“ – auf jeden Fall muss man sich irgendwie aufraffen, um nicht in dieser beklemmenden Einsamkeit zu versinken. „Manchmal schwappt sie wie eine Woge über mich. Da muss ich irgendwie gegensteuern. Bloß hilft da auch nicht immer ein Küchenradio“, sagt Angelika Lullies. Der erste Schritt ist getan: In unserer Zeitung las sie von der Kampagne „GemEinsam in Bergedorf“ – und meldete sich zum Fotoshooting an.
„Wenn man nicht gut drauf ist, muss man besonders auf die Kleidung achten“: Mit leuchtend rotem Anorak und einem großen Smiley auf dem Pullover kam die 69-Jährige zum Bergedorfer Hafen, wo sie auf Fotograf Jann Wilken traf, der Porträts von einem Dutzend Bergedorfern macht. Sie alle haben sich gemeldet für die Foto-Ausstellung, die am 4. Dezember um 12 Uhr im ersten Stockwerk des Lohbrügger Marktkauf-Centers eröffnet wird.
„GemEinsam“ in Bergedorf: Ausstellung öffnet am 4. Dezember
Dann wird auch Jana Borutta dabei sein, die im Bezirksamt für das kommunale Gesundheitsförderungsmanagement arbeitet und weiß, dass es im Bezirk genau 28.613 Ein-Personen-Haushalte gibt, das sind 44,6 Prozent von allen. Die Senioren, Migranten und Alleinerziehenden sind natürlich nicht alle einsam, aber wer weiß das schon so genau. „Es gibt genügend Angebote in Bergedorf, dazu wollen wir eine kleine Landkarte erstellen“, sagt Borutta und denkt an Seniorentreffs, Mehrgenerationenhäuser, das Mütterzentrum oder Besuchsdienste. „Man muss sich trauen, über die Einsamkeit zu sprechen“, habe ihr eine Bergedorfer Hausärztin gesagt, die auch junge Menschen mit Rückenschmerzen oder Tinnitus behandelt – und doch ahnt, dass viele Patienten im Wartezimmer sitzen, um ihrer Einsamkeit zu entfliehen.
Auch Bergedorfs Awo-Seniorentreff hat sich für das Foto-Shooting beworben, denn „in unserer Skatgruppe ist jeder herzlich willkommen“, werben die Männer. Eine jüngere Frau, Mitte 20, ist ebenso dabei und meldete sich aus einer betreuten Wohngruppe: Annika sitzt im Rollstuhl und lernte zu Corona-Zeiten die Einsamkeit kennen und fürchten.
Viele Hobbys und trotzdem irgendwie alleine
„Ich sehe nicht einsam aus, bin es aber trotzdem“, meint Angelika Lullies, die einen Kater hat und ein Pflegepony am Moorfleeter Deich. Da sie gern im Garten arbeitet und Schmuck bastelt, habe sie selten Langeweile, dazu kommen die beiden Chorabende bei der Liedertafel Frohsinn und in der Allermöher Kantorei. „Das ist eine große soziale Komponente. Aber wenn ich dann nach Hause komme, bin ich eben doch alleine. Dann macht mir die Einsamkeit manchmal das Herz eng“, sagt die kinderlose Frau, die sich fast täglich um ihren Ex-Mann kümmert: „Der ist leider ein Messie.“
Ihre Familie sei „ausgestorben“, nachdem der Bruder schon mit 48 Jahren verstarb. Mit wem soll sie reden, wenn sie etwa Angst vor der Knie-OP hat oder wenn sie nachts um 3 Uhr vor dem Fernseher aufwacht? „Die Einsamkeit ist ein schlimmes Gefühl, das nicht unbedingt einer Tatsache entspricht“, weiß die Spadenländerin, die lange bei der Hamburger Stadtentwässerung gearbeitet hat.
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„Wenn ich unglücklich einsam bin, dann bete ich. Da habe ich immer Hilfe gekriegt und tolle Tipps“, sagt Angelika Lullies, die sich von Gott trösten lassen kann. Aber: „Man wird eben nicht in den Arm genommen.“ In solchen Momenten macht sie eine Elektro-Kerze an und denkt wehmütig an Weihnachten. Dieses Jahr will sie besonders mutig sein: „Ich habe eine Ferienwohnung an der Ostsee gebucht. Mal sehen, wie sich das anfühlt.“