Hamburg. Fußballfans sorgen für einen Ausnahmezustand am Donnerstag. Doch die Polizei hat die Eskalation genau so geplant.
Grölen. Rauchbomben. Bollerschüsse. Der Bergedorfer Bahnhof befindet sich am Donnerstagmorgen im Ausnahmezustand. Hunderte teils vermummte Fußballfans stehen Bereitschaftspolizisten in voller Schutzausrüstung gegenüber. Plötzlich erschallen Rufe aus Richtung Johann-Meyer-Straße. Ein weiterer Pulk aus Schlachtenbummlern versucht, zu den rivalisierenden Fans durchzubrechen. Scheinbar bricht Chaos aus. Doch das dramatische Szenario ist inszeniert. Es handelt sich um eine der größten Polizeiübungen der vergangen Jahre.
Anlass für das aufwendige Manöver ist die kommende Fußball-Europameisterschaft. Auch Hamburg wird Spielort sein, und erfahrungsgemäß werden nicht alle Zuschauer mit friedlichen Absichten kommen. Potenziell gewaltbereite und verfeindete Fangruppen auseinanderzuhalten ist eine Mammutaufgabe und wird entsprechend trainiert. Das heutige Szenario: Die Einsatzkräfte müssen die Fans von „Rotland“ und „Blauland“ sicher von Bergedorf zum Volksparkstadion eskortieren und dabei Zusammenstöße vermeiden.
Polizei übt Umgang mit aggressiven Fußballfans am Bahnhof Bergedorf
478 Polizisten nehmen an der riesigen Trainingseinheit teil. 300 davon sind größtenteils Polizeischüler, die mit sichtlicher Leidenschaft in die Rolle der sogenannten Störer schlüpfen. Ihnen gegenüber stehen 96 Polizisten der Bereitschaftspolizei Mecklenburg-Vorpommern und der Bundespolizei aus Ratzeburg. „Insbesondere die Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen soll heute geübt werden“, sagt Polizeisprecher Patrick Reese.
Um die Fanlager auseinanderzuhalten, lassen die Polizisten die Anhänger der Roten lange vor dem Ausgang Lohbrügge des Bahnhofs warten. Es kommt zu Tumulten, ein Bereitschaftspolizist ringt einen Randalierer zu Boden und lässt die Handschellen klicken. Endlich kommt die erlösende Durchsage: Der Sonderzug der Bahn steht bereit. Die Fans strömen in Richtung Bahnsteig. Kaum ist der Zug losgefahren, kommt er auch schon wieder ruckartig zum Stehen. Ein Fan hat die Notbremse gezogen. Die Türen öffnen sich und erneut müssen die Beamten sich zwischen die aufgepeitschten Fanlager stellen. Das Kläffen der Polizeihunde dröhnt über den Bahnsteig.
Der Nothalt ist eine von zahlreichen Überraschungen, die von den Organisatoren der Übung heute vorbereitet worden sind. „So etwas kommt in der Realität schließlich auch immer wieder vor“, betont Polizeisprecher Reese. Die Beamten haben während ihrer Ausbildung gelernt, wie auf plötzliche Änderungen der Situation reagiert werden soll. Reese: „Die Taktiken sind in der Polizeidienstvorschrift festgelegt.“
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Während der Fahrt besetzen die Polizisten gezielt die Bereiche an den Türen in den Waggons und versuchen zu verhindern, dass sich Fans frei bewegen können. Die „Hooligans“ spulen ihr komplettes Repertoire ab, während die S-Bahn Richtung Stellingen fährt. Sie bringen den Zug durch Hüpfen zum Wackeln, hämmern gegen die Scheiben und singen – auffällig häufig Schmähgesänge gegen ihre Kollegen. Doch von einem ins Gesicht gegröhlten „Ohne Knüppel, ohne Helme seid ihr nichts“ dürfen sich die Bereitschaftspolizisten nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Plötzlich kippt die Stimmung. Einige Fans versuchen, zu ihren Kameraden am anderen Ende des Wagens vorzudringen. Als die Beamten dazwischengehen, kommt es zu einer Rangelei. Körper verknäulen sich und mehrere Randalierer gehen zu Boden. Bis zur Ankunft in Stellingen gelingt es den Ordnungshütern aber, die Wogen wieder zu glätten.
Dramatisches Finale im Volkspark: Inszenierter Überfall einer verfeindeten Fangruppe
„Normalerweise würde hier am Bahnhof die Zuständigkeit der Bundespolizei enden und die Landespolizei Hamburg übernehmen“, erklärt Sprecher Reese vor Ort. Im heutigen Übungsszenario laufe es allerdings anders. Grundsätzlich kann die Landespolizei bei Fußballspielen die Bundespolizei zur Unterstützung anfordern. Reese: „Vor dem Spiel werden dann Risikobewertungen erstellt“. Die Polizei unterteilt die erwarteten Anhänger in die Kategorien A, also normale Zuschauer wie Familien mit Kindern, B, der harte Kern der Anhänger mit potenzieller Gewaltbereitschaft, und die berüchtigte Kategorie C – Hooligans, die nur auf Prügeleien aus sind.
Auf dem Weg von der Haltestelle Stellingen zum Volksparkstadion ziehen die Dramaturgen der Übung noch einmal alle Register. In den engen Tunneln auf dem Weg zur Arena werden Rauchbomben gezündet und Sitzblockaden gestartet. Ein simulierter medizinischer Notfall sorgt dafür, dass der Zug der Fans ins Stocken kommt. Die gepanzerten Polizisten kreisen die rot gekleideten Supporter ein und halten den Pulk so zusammen.
Im Volkspark, hinter der Brücke über die Schnackenburgallee, kommt es zur Eskalation. Aus den Büschen stürmen auf einmal die blauen Fans hervor. Plastikflaschen und Steine – zum Glück nur aus Schaumstoff – fliegen durch die Luft. Mit viel Mühe gelingt es den Polizisten, die beiden Meuten auseinanderzuhalten. Stattdessen geraten sie selbst ins Visier der Randalierer. „Tränengas“ spritzt durch die Luft, und die Einsatzkräfte zücken ihre Schlagstöcke.
Auf einmal ist der Spuk vorbei. Die Übung ist beendet. Ein Polizist in voller Montur sammelt eine leer gebrannte Rauchbombe ein. Die Gesichter der Beteiligten entspannen sich. Hooligans und Einsatzkräfte sind plötzlich wieder Kollegen und trotten gemeinsam zum Parkplatz. Es ist Essenszeit.