Bergedorf. Gewerkschaften warnen am 1. Mai in Bergedorf vor Folgen der wachsenden Armut – und präsentieren einen Lösungsansatz.
Ein rot-buntes Volksfest mit Demonstrationszug, markanten Reden und viel Musik: Bergedorfs 1. Mai ist die Rückkehr zu alter Größe gelungen. Angeführt vom DGB-Ortskartell, zogen mehr als 500 Menschen Montagvormittag vom Lohbrügger Markt quer durch Bergedorfs Zentrum bis zum Rathauspark, wo ab 11 Uhr die traditionelle, fast eineinhalbstündige Kundgebung gut 800 Menschen anzog.
Im Park stellten etliche Institutionen ihre Arbeit vor. Es gab Infostände von Amnesty International über die Alevitische Gemeinde Bergedorf bis zum Verein ResqShip um den Lohbrügger Ingo Werth, der sich der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer verschrieben hat. „Ein großes Dankeschön für dieses Engagement, das ein herausragendes Beispiel für die Solidarität der Bergedorfer mit Flüchtlingen aus aller Welt ist, die es bis zu uns schaffen“, lobte Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann die Ehrenamtlichen von ResqShip in ihrer Ansprache.
Bewältigung der vielen aktuellen Krisen für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft
Als Gast des DGB griff Bergedorfs Rathauschefin dessen Motto „Ungebrochen solidarisch“ für den 1. Mai 2023 auf. Sie erinnerte daran, dass es bei der Bewältigung der vielen aktuellen Krisen von Krieg über Klima bis zur Inflation um nichts Geringeres als die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft gehe: „Dabei niemanden abzuhängen funktioniert nicht von allein. Soziale Gerechtigkeit muss erkämpft werden“, warb Schmidt-Hoffmann für Verständnis, dass auch Streiks notwendig seien.
„Selbst wenn ich als Bergedorfer Verwaltungschefin vom aktuellen Tarifkonflikt direkt betroffen bin“, blickte die Vorgesetzte von rund 700 Mitarbeitern auf die jüngsten Arbeitsniederlegungen im öffentlichen Dienst, bei der Bahn und im Flughafen: „Es kann mal sein, dass es persönliche Nachteile gibt, wie längere Arbeitswege oder sogar verlorene Tage bei der Urlaubsreise. Aber das sind kleine Opfer im Vergleich zu einer fairen Zukunft für uns alle.“
„Kinder- und Altersarmut darf in Deutschland nicht noch weiter wachsen“
Noch deutlicher wurde Bergedorfs DGB-Chef Ernst Heilmann: „Was wir jetzt brauchen, ist ein 100-Milliarden-Euro schwerer ,Extra-Wumms’ für die ökologische und soziale Wende“, spielte er auf die sogenannten Sondervermögen der Bundesregierung unter anderem für die Bundeswehr an. „Die Kinder- und Altersarmut darf in Deutschland nicht noch weiter wachsen.“ Die seit Jahren anhaltende schleichende Verarmung drohe in eine dauerhafte soziale Spaltung unserer Gesellschaft zu münden.
„Immer mehr Rüstungsausgaben sind der falsche Weg. Die haben noch nie einen Krieg beendet“, sagte Heilmann und übte gleichzeitig scharfe Kritik an „Putins völkerrechtswidrigem Krieg in der Ukraine“, der durch nichts zu rechtfertigen sei. Dafür gab viel Applaus – obwohl im Publikum der Kundgebung auch viele linke Delegationen vertreten waren, bis hin zur DKP.
Als Gastredner rückte Michael Petersen von der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) dann aber zumindest das Bild der wirtschaftlichen Folgen des Krieges wieder zurecht: „Die galoppierende Inflation, unter der wir alle leiden, hat in Wirklichkeit nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. Was wir erleben, ist bloß die Gewinn-Gier der Konzerne.“
- 1. Mai in Bergedorf: „Das Unmögliche ist Realität geworden“
- 1400 Ausbildungsplätze in Bergedorfs neuem Lehrstellenatlas
- Neubau an der A 25: Das wird Haunis Fabrik der Zukunft
Michael Petersen konterte die Warnung der Arbeitgeber, die Gewerkschaften würden mit ihren zweistelligen Forderungen in den aktuellen Tarifauseinandersetzungen eine „Lohn-Preis-Spirale“ in Bewegung setzen: „In Wirklichkeit haben wir es heute mit einer ,Gewinn-Preis-Spirale’ zu tun. Und die hat zur Folge, dass immer mehr Menschen Angst haben, sich Miete, Heizung und Lebensmittel bald nicht mehr leisten zu können.“ Damit die Gesellschaft zukunftsfähig bleibt, sieht er nur einen Ausweg: „Die Löhne und Gehälter müssen direkt an die Inflationsrate gekoppelt und automatisch angepasst werden.“ Bis es so weit sei, brauche es eine Deckelung der Preise. „Und zwar sofort. Aber nicht auf dem heutigen Niveau, sondern auf dem von vor eineinhalb Jahren.“