Hamburg. Am 7. April erscheint das dritte Album der Rockmusiker von Ricochet: Fünf Männer, ein Proberaum und ein Cover, das Fragen aufwirft.

Es wird laut: „Bring ‘nen dicken Pulli und Ohrstöpsel mit“, rät Michael, der Langhaarige am Mikro. Der immer pfeift, grummelt, brummt und trällert. Mal klingt er wie ein exorzistischer Derwisch. Mal wie eine rostige Rockröhre auf der Opernbühne, mal wie ein arabisches Klageweib beim Einmarsch der Paramilitärs. Und schnell wird einem warm im Proberaum von Ricochet irgendwo im zweiten Stock einer Billbrooker Hinterhof-Fabrik.

Karfreitag, also noch bevor der Mann aus Bergedorf 60 wird, kommt das neue Album raus – mit arabischen Klängen. Denn „Kazakhstan“ heißt der Titel. Warum? „Willst du die ehrliche oder die offizielle Antwort?“, fragt Gitarrist Heiko schmunzelnd und erzählt, dass ursprünglich alle Songs nach ehemaligen Sowjetrepubliken benannt waren – und Kasachstan ist halt irgendwie geblieben. Die Songs ihrer progressiven Rockband seien „voller Noten, sportlich, kompliziert“ – die Texte folgen der Stimmung der Musik, meist dunkel-melancholisch.

Ricochet: „Kazakhstan“ ist der Titel ihres dritten Albums

Und so steht auf dem Coverbild ein etwas unschlüssiger Surfer vor dem ausgetrockneten Aralsee: „We’ll find a better way“, singt Michael dazu im Refrain. Man sei zwar absolut unpolitisch, aber Klimawandel, Corona und Kriege hinterlassen nun mal ihre Spuren. „Es läuft gerade viel schief auf der Welt, wir müssen halt bessere Lösungen finden“, meint der Bergedorfer, der sich hauptberuflich mit Computern und Telefonanlagen auskennt. Wenn es ums Englische geht, lässt er sich textlich übrigens gern mal von Hans beraten, dem Bassisten, der im Herzen tief verbunden mit Schottland ist und ein absoluter Whiskey-Fachmann.

Das Cover der neuen CD: Ein Surfer vor dem fast ausgetrockneten Aralsee in Kasachstan.
Das Cover der neuen CD: Ein Surfer vor dem fast ausgetrockneten Aralsee in Kasachstan. © BGZ | Privat

Auf keinen Fall will man als fröhlicher Partykracher daherkommen: Nicht umsonst heißen die fünf Musiker Ricochet, also die Querschläger. Es könnte auch die Übersetzung davon sein, flache Steine übers Wasser zu flitschen – jedenfalls sind sie nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Countryband aus Texas.

Aber ganz so deftig haben die fünf Jungs auch nicht angefangen, damals im Ernst-Schlee-Gymnasium in Groß Flottbek: „Unser erster Auftritt in der Aula war am 17. Juni 1989, da trugen wir noch Rüschenhemden aus Viskose“, erinnern Björn und Jan grinsend. Damals hatten sie die Musik von BRD- und DDR-Hymne „zusammengekloppt“ – und feierten bald ihr erstes Konzert im Knust.

Was ist aus dieser Zeit geblieben? Drummer Jan wurde tatsächlich Lehrer – aber nicht für Musik: „Man verkauft ja seine Liebe nicht.“ Und Elektro-Ingenieur Björn (ich wünschte mir, sein virtuoses Keyboard wäre lauter zu hören) hat „das Beste aus den 80ern geheiratet“.

Michael Keuter aus Bergedorf liebt es, seinem Publikum kräftig einzuheizen.
Michael Keuter aus Bergedorf liebt es, seinem Publikum kräftig einzuheizen. © BGZ | strickstrock

So ganz nebenbei erzählen sie von der ersten CD mit Streichern, bei der zweiten kamen eine Sängerin und eine Querflöte dazu. Ricochet wurde immer professioneller, trat 1996 sogar beim Wacken-Festival auf, später in der Großen Freiheit, als Vorband von Yngwie Malmsteen: „Das ist ein schwedischer Saiten-Hexer, der Klassik mit Heavy Metal verbindet“, erklärt Michael, der früher mal bei King Cockroach und Easy Livin’ gespielt hat, eine Uriah Heep-Coverband.

Und tatsächlich, wer mag es glauben: Ende der 90-er spielte die Truppe mal auf dem Bergedorfer Stadtfest. „Das können wir gern mal wieder machen, aber für dieses Jahr planen wir Auftritte im Logo und Knust“, sagen die Jungs, die sich nach dem Lockdown gerade wieder „so richtig gut im flow“ finden.

Gut ausgestattet in ihrem kleinen Proberaum: Björn Tiemann (Keyboard) und Schlagzeuger Jan Keimer.
Gut ausgestattet in ihrem kleinen Proberaum: Björn Tiemann (Keyboard) und Schlagzeuger Jan Keimer. © BGZ | strickstrock

Während Corona entstanden aber auch Texte, die wenig positive Stimmung tragen: „Da geht es um Angst vor einer ungewissen Zukunft“, sagt Björn, während Heiko die etwas schwierige, simultane Entstehungsgeschichte der jüngsten Songs erinnert: „Zuerst wurden die Drums im Tonstudio aufgenommen, später kamen Gitarren und Gesang dazu“, sagt der Gitarrist, der hauptberuflich das digitale Medien-Management für die Hamburger Messe verantwortet: „Sogar noch ganz am Schluss, im Garlstorfer Aufnahmestudio, haben wir noch einzelne Akkorde spontan geändert.“ Am Ende kamen neun von 20 Songs ins Rennen: „Die haben wir durch einen fairen Faustkampf ermittelt“, heißt es feixend.

Nun aber ist es vollbracht, die ersten 500 Exemplare sind gepresst. Am 7. April kommt das neue Album in den Onlinehandel (15 Euro, www.ricochet-music.de), zugleich die Streaming-Version. „Unsere treue Zielgruppe kauft tatsächlich noch CDs. Wer härtere, melodische progressive Rockmusik liebt, der kann mit unserer Musik was anfangen“, ist das rockige Quintett überzeugt.

Und irgendwie ist jetzt auch genug mit dem Interview im Proberaum, sie wollen endlich laut sein und Mucke machen. Jan schlägt seine Stöcke zusammen und nach mehr als drei Jahrzehnten wissen alle: „Das Schlagzeug hat immer recht!“