Bergedorf. Gut 3000 Medien hält die Genealogische Gesellschaft in Bergedorf zur Einsicht vor – samt Listen zu Barbieren und Schmieden.

Jetzt zum Jahreswechsel ist die Zeit, in der viele Menschen Geburts- und Todestage in den neuen Kalender 2023 eintragen, vielleicht schon den geplanten Urlaub – und eben auch mal kurz innehalten und zurückblicken. Das kennen die Mitarbeiter der Genealogischen Gesellschaft, deren Bibliothek in Bergedorf gut besucht ist – vor allem aber kommen Menschen, die gleich Jahrzehnte oder Jahrhunderte zurückblicken wollen: Die Ahnenforschung ist ein beliebtes Hobby, nicht allein von Senioren.

„Ein Student aus Neuengamme sucht derzeit seinen Familiennamen in etlichen Kirchenbüchern. Denn damals wurden die Daten von den Pastoren eingetragen, bevor 1875 die Standesämter in Preußen eingeführt wurden“, weiß Detlef Ziemann, der sich oft ärgert: Manchmal hieß es bloß lapidar „Die alte Maiersche ist gestorben“ oder „Herbert Maier ließ taufen sein Töchterchen“ – Frauennamen waren damals eben nicht so wichtig.

Normale Tagelöhner haben es selten in die Bücher geschafft

Alle zwei Wochen ist Ziemann in der Bibliothek an der Chrysanderstraße. Der 66-Jährige, der zu den knapp 600 Mitgliedern des gemeinnützigen Vereins zählt, ist fasziniert von Familiengeschichten. Wobei er ganz normale Tagelöhner selten in den Büchern gefunden habe: „Immer nur Leute, die etwas hatten, wichtig waren oder etwas ausgefressen hatten“, sagt Detlef Ziemann – und denkt etwa an den Mann, der gerade die Trittauer Hofmusikanten mit einer Verbindung zum russischen Zarenhof erforscht.

Erstaunlich, was alles gesammelt wurde: Die genealogische Gesellschaft ist eine Fundgrube.
Erstaunlich, was alles gesammelt wurde: Die genealogische Gesellschaft ist eine Fundgrube. © BGZ | strickstrock

Die Regale der Bergedorf Bibliothek sind prall gefüllt: Da gibt es die „Lohbrügger Warte“ vom Bürgerverein, die Reihe der Lauenburgischen Heimat seit 1925, den Bergedorfer Schlosskalender (1929 bis 1936) und eine Liste aller Begräbnisse in Altengamme von 1829 bis 1899. Auch ein Bergedorfer Telefonbuch von 1933 und das Namensverzeichnis der Bergedorfer Schmiede-Lehrlinge von 1723 bis 1865 zählen zu den Schätzen, nicht zuletzt das „Lehrjungenbuch des Barbieramtes Bergedorf“: Gut 3000 Bücher und Hefte bewahren die Ahnenforscher in Bergedorf auf, dazu lagern noch 45 Kartons im Keller des Standesamtes an der Wentorfer Straße.

74 Stufen bis zu den historischen Schätzen

„Da mussten wir vor eineinhalb Jahren leider ausziehen, weil es aus brandschutztechnischen Gründen einen zweiten Rettungsweg gebraucht hätte“, erzählt Genealogin Sabine Paap, die mit dem neuen Büro an der Chrysanderstraße 2 d (über der FF Bergedorf) nicht ganz glücklich ist: „Wir haben zwar einen Vertrag mit der Kulturbehörde über einen mietfreien Raum, der ist aber leider viel zu klein.“ Außerdem ist das Dachgeschoss nur über 74 Stufen zu erreichen, deshalb steht auch ein Stuhl im mittleren Treppenhaus: Die Menschen, die sich mit Ahnenforschung beschäftigten, sind doch meist längst im Rentenalter.

Frierend sitzt Nicola Thieke im Dachgeschoss, wo die Heizung nicht funktioniert: „Mich interessieren die Vorfahren meines Mannes aus den Vier- und Marschlanden“, erzählt die 60-Jährige, die auf viele Johanns und Klaus’ stieß, die alle Heitmann oder Albers hießen, Bauern oder Ewerführer waren: „Das ist recht verwirrend, zumal mein Schwieger-Ur-Opa 17 Geschwister hatte.“

„Mein Schwieger-Ur-Opa hatte 17 Geschwister“, fand Ahnenforscherin Nicola Thieke (60) heraus.
„Mein Schwieger-Ur-Opa hatte 17 Geschwister“, fand Ahnenforscherin Nicola Thieke (60) heraus. © BGZ | strickstrock

Es gibt auch Kuriositäten wie die „sittenkundlichen Quellen der Altpreußischen Armee“

Wer wissen will, wo seine familiären Wurzeln liegen, kann alle zwei Wochen ohne Anmeldung die kleine Bibliothek besuchen, die in geraden Kalenderwochen mittwochs von 10 bis 12 Uhr geöffnet ist, als nächstes wieder am 12. Januar. Nicht selten kommen neugierige Bergedorfer vorbei, aber auch E-Mails aus Brasilien, Australien und den USA erreichen die Ahnenforscher, die sämtliche Daten katalogisiert haben. So etwa die Bergedorfer Trauungen von 1661 bis 1815, die Geburten und Todesfälle aus jener Zeit, die Bürgerbücher sowie alle Höfe und deren Eigentümer seit 1660 – dazu zählt „Das Geschlecht Eggers in Lohbrügge 1614 bis 1973“.

Schmunzeln ist natürlich auch angesichts von Kuriositäten erlaubt wie die „sittenkundlichen Quellen der Altpreußischen Armee“ oder die „Kopfsteuerbeschreibung von 1689“. Historiker kommen jedenfalls auf ihre Kosten bei diesem zeitintensiven Hobby. Und können sich an der Alsterchaussee 11 noch weit mehr verausgaben: Dort lagern 25.000 Medien samt handschriftlicher Dokumente zur Familienforschung. „Das ist die größte genealogische Fachbibliothek ihrer Art. Man findet alles zu Hamburg und dem Rest der Welt, wo auch immer Deutsche ansässig waren“, schwärmt Detlef Ziemann.