Bergedorf. Andreas Baldenius: Friedensaktivisten sollen Putin in Moskau überzeugen. Sein offener Brief im Wortlaut.
Ist Frieden der Normalzustand menschlichen Zusammenlebens? Oder doch der Krieg? Beim Blick auf die Ukraine sieht Pastor Andreas Baldenius (60) wenig Anhaltspunkte dafür, dass es der Frieden sein könnte. Und das nicht zuletzt deshalb, weil acht Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs bei den Menschen in Deutschland eine Gewöhnung an diesen Zustand einkehrt. Man könnte auch sagen: Normalität.
Für Andreas Baldenius ist das unerträglich. „Krieg kann auf militärischem Wege niemals mit einem Sieg enden. Und er kann mit militärischen Mitteln nicht mal verhindert werden“, schreibt der Pastor der Bergedorfer Kirche St. Petri und Pauli in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz, den er jetzt, nach zwei Wochen ohne Antwort aus Berlin, öffentlich macht. Fazit seines Schreibens, das er als Privatperson und nicht für seine Kirchengemeinde verfasst hat: „Nur der Friede kann gewonnen werden. Der Krieg verliert immer.“
Friedensmarsch nach Moskau: Pastor sprach auch zu Impfgegnern und Corona-Leugnern
Baldenius hatte sich Ende 2021 einen Namen gemacht als er bei der Querdenker-Demonstration vor seiner Kirche ans Mikrofon der Impfgegner trat und sie bat, sich in objektiven Quellen über das Corona-Virus und seine Bekämpfung zu informieren. Auch beim Ukraine-Krieg geht er jetzt den unbequemen Weg: Er ruft zum Friedensmarsch nach Moskau auf. „Ich bitte Sie: Setzen Sie sich persönlich für den Frieden in der Ukraine ein. Und mit ,persönlich’ meine ich: Mit Ihrer ganzen Person. Also auch mit Ihrem Körper“, beginnt er seinen Brief an die „Damen und Herren Regierende“ und meint damit alle Bürger auch alle Bergedorfer.
Baldenius erinnert an erfolgreiche Friedensbewegungen wie die Demonstrationen von 1989 in der DDR, an die Bewegungen von Martin Luther King in den USA und Mahatma Ghandi in Indien. Nur sie hätten nachhaltigen Erfolg gehabt. Und das, weil sie einerseits friedlich vorgegangen sind und andererseits Menschen buchstäblich in Bewegung gebracht haben.
„Gehen Sie, so weit sie kommen, und klopfen Sie an“
Daraus leitet Friedensaktivist Baldenius seinen Aufruf ab: „Schließen Sie sich zusammen mit allen Ihren Kollegen und Kolleginnen der Welt, die Sie irgend erreichen können. Machen Sie sich zusammen auf den Weg Richtung Moskau. Mit Flugzeug, Zug, als Bus- oder Autokonvoi. Am machtvollsten wäre wahrscheinlich ein Fußmarsch. Gehen Sie, so weit sie kommen, und klopfen Sie an. Wenn Sie nicht eingelassen werden: Lagern Sie, machen Sie ein Friedenscamp. So lange, bis man Sie einlässt.“
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Der offene Brief ist jetzt per E-Mail an alle großen Zeitungen und viele TV-Sender in Deutschland gegangen, an Friedsinitiativen, Kirchen und Demokratie-Netzwerke. Baldenius hofft, dass seine Initiative eine Eigendynamik entwickelt, die über das Internet eine virale Bewegung entfacht und unzählige Menschen auf die Straße bringt. Ähnlich vielleicht wie „Fridays for Future“, deren Kampf gegen den drohenden Klima-Kollaps gerade vom Krieg überlagert wird.
Pastor sagt: „Vielleicht bin ich verrückt“
Ob das gelingen kann? „Vielleicht bin ich verrückt. Vielleicht muss es aber einfach nur jemanden geben, der diesen Impuls setzt“, sagt der Pastor, der die Idee schon seit Mai in sich trägt, als er auf einem Pilgerweg unterwegs war. Der Grund dass er sie jetzt in die Öffentlichkeit trägt, ist die neue Phase de Krieges, in der das russische Militär dazu übergegangen ist, kurz vor dem Winter die ukrainische Infrastruktur durch Drohnen-Angriffe zu zerstören.
Den Ort der Lösung des Krieges sieht der Pastor in Moskau, sobald der Friedensmarsch dort ankommt: „Wenn Sie schließlich eingelassen werden“, schreibt er in seinem Aufruf, „dann reden Sie mit Herrn Putin und Seinen. Und zwar so lange, bis der Friede gewonnen ist.“
Der Brief im Wortlaut:
Sehr geehrte Damen und Herren Regierende,
ich bitte Sie: setzen Sie sich persönlich für den Frieden in der Ukraine ein. Und mit ,,persönlich“ meine ich: mit Ihrer ganzen Person. Also auch mit lhrem Körper. Gehen Sie rational vor. Das heißt: nehmen Sie Maß an den Menschen und Bewegungen der näheren Vergangenheit, denen es wirklich und nachhaltig gelungen ist, Gewalt zu überwinden: an den Demonstrant*innen in der ehemaligen DDR zum Beispiel, gegen die der gesamte Waffen-starrende Ostblock ohnmächtig war- An Martin Luther King. An Mahatma Ghandi’
Also: schließen Sie sich zusammen mit allen lhren Kollegxinnen der Welt, die Sie irgend erreichen können. Machen Sie sich zusammen auf den Weg Richtung Moskau. Mit Flugzeug,Zug, als Bus- oder Autokonvoi; am machtvollsten wäre wahrscheinlich ein Fußmarsch. Gehen Sie, soweit sie kommen, und klopfen Sie an. Wenn Sie nicht eingelassen werden: lagern Sie, machen Sie ein Friedenscamp. So lange, bis man Sie einlässt. Bis dahin ermutigen Sie einander mit Friedens-Liedern. Stärken Sie sich gegenseitig mit Spiel und Tanz. Reden Sie mit allen, derer Sie habhaft werden können und entwickeln Sie gemeinsam eine Vision für eine Welt-Friedens-Ordnung, die wirklich Krieg verhindert. Beten Sie: jede in der eigenen Tradition, jeder auf die eigene Weise.
Wenn Sie schließlich eingelassen werden, dann reden Sie mit Herrn Putin und den Seinen, und zwar so Iange, bis der Friede schließlich gewonnen ist. (Selbstverständlich gehe ich mit, wenn es der Sache dient. lch kann ja nicht nur mit dem Finger auf Andere zeigen. Wichtiger wären Sie, meine ich.)
Denn: Wieder einmal ist - unabhängig vom Ausgang des Waffengangs in der Ukraine - am Tage, dass ein Krieg auf militärischem Wege niemals mit einem Sieg endet. Zu viel Leid ist schon verursacht. Zu viele Menschen sind gestorben. Unermesslicher ökologischer Schaden ist entstanden. Ebenso wirtschaftlicher. Eine Hungerkrise ist im Gange. Über Generationen werden sich die Folgen dieses Krieges wie eine giftige, unterirdische Altlasten-Fahne in die Geschichte einschreiben. Die systemische Krise, deren drängendster Ausdruck der Klima-Kollaps ist, tritt in den Hintergrund ...
Wieder einmal ist am Tage: ein Krieg kann niemals mit militärischen Mitteln verhindert werden. ,,\Mer den Frieden will, muss den Krieg vorbereiten“ - diese Doktrin hat noch nie in der Geschichte funktioniert und ist wieder einmal krachend gescheitert. Jede Waffe, die produziert wird, wird über kurz oder lang auch eingesetzt. {Bisher mit der einzigen Ausnahme der modernen Atomwaffen.} Richtig. ist im Gegenteil: Wer den Krieg durch militärische Abschreckung zu verhindern sucht, muss ihn über kurz oder lang führen. Militärische Friedenssicherung hat bisher immer zum Gegenteil dessen geführt, was sie erreichen will.
Wieder einmal ist am Tage: militärische Verteidigung zerstört, was sie schützen will. Physisch. Die werte-Basis. Ökologisch. Politisch. Geschichtlich -..
Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten! Nur der Friede kann gewonnen werden. Z.B.: internationale Sanktionen in gleicher Härte wie jetzt gegen Russland müssen greifen, wenn .iemand auch nur einen Panzer baut, verkauft oder kauft. Außer polizeilicher Gewalt und Terror-Bekämpfung darf es kein militärisches GewaltPotential der Länder und Nationen geben.
Nur der Friede kann gewonnen werden. Der Krieg - ob er nun vorbereitet wird, um ihn zu verhindern, oder geführt wird - verliert immer.
Mit hoffnungsvollen Grüßen,
Andreas Baldenius
P.S.: lch werde diesen Brief nach ein paar Tagen auch veröffentlichen. Mir ist ja klar, dass er nur wirklich zur Kenntnis genommen wird, wenn öffentlicher Druck entsteht. Keine Ahnung, was dabei herauskommt...