Hamburg. Die Kriegsfolgen werden Jahrzehnte sichtbar sein, weiß HAW-Professor Walter Leal. Und richtet sein Augenmerk auf die Umwelt.
Soldaten heben Gräben aus, Panzer fahren über alle Vegetation, Sprengstoffe lösen Brände aus. Nicht nur mit Blick auf das Leid der Menschen verfolgt der Lohbrügger Hochschulprofessor Dr. Walter Leal besorgt das Kriegsgeschehen in der Ukraine: „Die Umwelt ist ein stilles Opfer des Konflikts“, sagt der Leiter des Forschungs- und Transferzentrums für Nachhaltigkeit und Klimaforschung.
Er weiß, dass durch die eingesetzten Waffen giftige Gase und Partikel in die Luft gelangen und Schwermetalle in den Boden und ins Wasser. Ein neues Forschungsprojekt an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) namens „Ukraine-Nature“ will nun bis Juli 2023 das Ausmaß der Kriegsschäden in den dortigen Schutzgebieten näher betrachten.
Krieg in der Ukraine: HAW-Forschungsprojekt zu Schäden in Natur
Mithilfe der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die das Projekt mit 124.000 Euro fördert, sollen die Schäden in den sensiblen und einzigartigen Naturlandschaften überwacht und dokumentiert werden. „Russische Truppen haben inzwischen in mehr als einem Drittel der geschützten Naturgebiete des Landes Militäroperationen durchgeführt. Dadurch wurden sensible Ökosysteme und die Lebensgrundlage vieler Tier- und Pflanzenarten stark beeinträchtigt“, ist sich das Forschungsteam sicher, das aus sechs Mitarbeitern besteht. Projektleiterin ist die Ukrainerin Dr. Maria Fedoruk.
2,9 Millionen Hektar seien bedroht: artenreiche Feuchtgebiete, Wälder und bislang unberührte Steppe. „Bereits 20 Prozent der geschützten Gebiete sind vom Krieg beschädigt“, sorgt sich die Wissenschaftlerin etwa um seltene Flechten und Moose. Aber auch um Biber, Otter und Hermeline, die hier leben, dazu Hirschkäfer, Eulen und Falken.
Seltene Tier- und Pflanzenarten werden durch den Krieg bedroht
Betroffen sei beispielsweise der 4,5 Hektar große Holosiivskyi Nationalpark bei Kiew, ebenso der 233 Quadratkilometer große Hetman Nationalpark und der 162 Quadratkilometer große Desna-Starohutskyi-Park mit seinen Feucht- und Mischwäldern.
Als Besonderheit gilt zudem das „Biosphärenreservat Tschernobyl“, das größte Reservat in der Ukraine. Hier leben 300 Tier-, Vogel- und Fischarten, von denen 19 auf der Roten Liste stehen. Von den 1228 gezählten Pflanzenarten sind 61 äußerst selten und schützenswert. Doch die Umweltarbeit sei schwierig in diesen Tagen.
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„Die Besatzer haben die Mitarbeiter des Reservats verletzt und viel Infrastruktur zerstört oder geraubt“, ließ sich Dr. Fedoruk berichten. Sie erfuhr, dass „der Große und Kleine Kuchugury-Archipel, 7740 Hektar groß, inzwischen zwar befreit ist, aber aufgrund seiner Nähe zur Frontlinie immer noch bedroht“. Insgesamt hätten die Russen acht Naturschutzgebiete und zehn Nationalparks besetzt.
Professor Leal: Umweltzerstörung als militärische Taktik eingesetzt
„Es gibt Anzeichen dafür, dass die Umweltzerstörung eine ausdrückliche militärische Taktik ist. Die militärischen Aktivitäten haben in einigen Gebieten Brände ausgelöst, die so groß sind, dass sie vom Weltraum aus zu sehen sind. Wir haben Anlass zur Sorge, dass zum Beispiel wichtige Bruthabitate für Vögel betroffen sind“, sagt Prof. Walter Leal, dessen Team nun (sofern es vor Ort ungefährlich ist) Bodenproben nehmen und Satellitenfotos auswerten will.
Das Ziel ist es, eine Datengrundlage zu schaffen, die unter anderem die örtlichen Umweltschützer bei künftigen Wiederherstellungsmaßnahmen unterstützt. „Kriege zerstören Menschenleben und Lebensräume, töten Wildtiere, verursachen Umweltverschmutzung und schädigen Ökosysteme in hohem Maße. Die Folgen werden Jahrzehnte lang anhalten“, so Prof. Leal.