Bergedorf/Berlin. Der Geowissenschaftler Florian Zander ließ sich ans Tor des Verkehrsministeriums ketten. Welche Strafe ihm nun drohen könnte.

Es war ein typischer Morgen im Frühherbst. Trocken ja, aber eben auch kühl. Dr. Florian Zander steht vor dem Rolltor des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Dem damals 28-Jährigen sei an diesem 5. Oktober 2020 um 5 Uhr schon etwas mulmig zumute und eine gewisse Aufgeregtheit sei nicht zu verhehlen gewesen, „aber ich war von der Sache total überzeugt“. Weil ihn die durch Menschenhand erzeugte Klimakatastrophe verzweifeln lässt. Mit Hilfe von anderen Umweltaktivisten der Berliner Ortsgruppe von Extinction Rebellion (XR) lässt sich der promovierte Geowissenschaftler mit einem Fahrradschloss an das Tor ketten. Wegen dieser Aktion, die die Berliner Staatsanwaltschaft als „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ bewertet, muss sich der Mann aus dem Bezirk Bergedorf heute vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten.

80 Extinction Rebellion-Mitglieder an der Aktion beteiligt

Drei Stunden bleibt der Wahl-Berliner damals am Ministeriumstor angekettet, bevor Polizeibeamte mit einer Flex das D-förmige Schloss durchtrennen. Ganz dicht am Hals von Florian Zander entlang. Der sagt heute rückblickend: „Aus Spaß habe ich das ja auch nicht gemacht.“ Neben Zander sind rund 80 weitere XR-Mitglieder an der Protestaktion beteiligt, die sich damals konkret gegen die Rodung des Dannenröder Waldes in Hessen für den Bau der A 49 richtete.

XR verbarrikadiert an diesem Morgen sämtliche Eingänge. Die Blockade ist zudem ein klares Statement gegen die Politik des damaligen Bundesverkehrsministers An­dreas Scheuer (CSU), gegen die Abgasskandale der Automobilindustrie, die Flächenversiegelung sowie gegen geringe Erfolge bei der CO2-Einsparbilanz.

Teilnahme an Straßenblockaden in Bergedorf

Seit drei Jahren gehört Zander den Umweltaktivisten von XR an, zunächst der Ortsgruppe Bergedorf. Dabei erinnert er sich noch an einige Swarming-Aktionen (Straßenblockaden) im Bereich des Sachsentors, bei denen die Aktivisten zum Beispiel auf vom Aussterben bedrohte Tierarten aufmerksam machten. Mitgemacht hat der heute 30-Jährige auch bei Blockadeaktionen auf der Köhlbrandbrücke seit 2020 – doch nichts war annähend so spektakulär und öffentlichkeitswirksam wie das Anketten in der Berliner Ministeriumseinfahrt.

„Irgendwann habe ich für mich erkannt“, so sagt Florian Zander, „dass das Mitdemonstrieren bei Fridays-for-Future und Co., das Unterschreiben von Petitionen, selbst eine Fahrradtour durch ganz Deutschland gegen eine profitorientierte Klimapolitik auf bundesweiter und europäischer Ebene nicht ausreicht.“ Er selbst habe sich eine äußerst „sparsame Lebensweise“ angewöhnt, „weil die Klimakrise so dringend ist“.

Der promovierte Geowissenschaftler hat sich in Vollzeit der XR-Sache verschrieben

Florian Zander hat Geowissenschaften in Hamburg und in Delft studiert, an der niederländischen Universität promovierte er im März 2020 zum Thema „Umsetzung von organischen Materialien in Hafensedimenten“. Bis März dieses Jahres arbeitet er an der Universität Delft als Doktorand weiter.

„Das Studium hat mir einen vertieften Einblick in die Hintergründe der Zerstörung unserer Lebensgrund­lagen verschafft“, sagt der 30-Jährige. Heute hat er sich in Vollzeit der XR-Sache verschrieben. Ohne geregeltes Monatseinkommen hält er Vorträge, trainiert Umweltaktivisten und sagt dazu: „Ich erkläre zivilen Ungehorsam für eine Klimagerechtigkeit.“

Florian Zander hofft auf Freispruch

Der Angeklagte und seine Verteidigung hoffen auf einen Freispruch, plädieren auf „rechtfertigenden Notstand“. Die Staatsanwaltschaft wiederum hält eine Geldstrafe von rund 2500 Euro für angemessen. Auch der Angeklagte beurteilt dieses Strafmaß als „realistisch, wobei wir im Falle einer Verurteilung Berufung vor der nächst höheren Instanz einlegen würden“.

Eine halbe Stunde vor Prozessbeginn (9 Uhr) ist eine Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude geplant, bei der unter anderem drei Banner („Klima schützen ist kein Verbrechen“) von XR gezeigt werden sollen. „Das ist ein Anlaufpunkt für alle, die uns unterstützen wollen“, erklärt Zander.

Und für die Richterin möchte der Angeklagte auch noch ein Produkt der Klimakrise mitbringen. „Ich möchte ihr einen Apfel mit Sonnenbrand aus dem Garten meiner Eltern in Neuengamme zeigen.“ Dieses und einige vertrocknete Obstbäume auf dem elterlichen Grundstück resultierten aus der extremen Trockenheit des vergangenen Sommers mit bis zu 47 Grad Außentemperatur.