Hamburg. Für eine Wohnung in Billstedt will ein Hamburger monatlich eine horrende Summe. Was er sonst von der sechsköpfigen Familie verlangt.
„Wenn der Krieg vorbei ist, wollen wir zurück“, steht für Valentina und Anatolii Tkachenko (38 und 43) fest. Bereits Anfang März, kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, ist das Paar zusammen mit seinen vier Kindern zwischen sechs und elf Jahren sowie den beiden Hunden nach Deutschland geflohen. Hier haben sie inzwischen einiges erlebt – von Menschen, die ihnen geholfen haben, wofür sie „sehr dankbar sind“, bis zu einem Ehepaar, das ihre Not finanziell ausnutzen wollte. Aktuell sucht die Familie ein Zuhause in Bergedorf.
Erstes Zuhause bei der Schwester auf engem Raum
In Hamburg angekommen, findet die Familie im März eine erste Bleibe bei der Schwester von Valentina Tkachenko, Olga Mykhalchek (35) und ihrem Mann Iurii Chernovalov (31) in Hamburg-Bramfeld. Man lebt auf 80 Quadratmetern mehr schlecht als recht mit vier Erwachsenen, vier Kindern und zwei Haustieren. Aber es soll ja auch nur für den Übergang sein.
Die Ukrainer wollen sich für ihre Landsleute engagieren. Sie packen beim Projekt „Hilfe für die Ukraine“ in der Speicherstadt mit an, das Sachspenden sammelt. Dort lernen sie einen Mann und später seine Frau kennen, der zwei Wohnungen besitzt und sie an Familien aus der Ukraine vermieten will. Valentina und Anatolii Tkachenko sind glücklich, eine Bleibe gefunden zu haben, und ziehen in eine Dreizimmerwohnung nach Billstedt.
Bei all den Behördengängen gerät der Mietvertrag aus dem Blick
Es ist viel zu erledigen. Da die beiden weder Deutsch noch Englisch sprechen, übersetzt die Schwester. Die Familie muss sich eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis besorgen. Für die ukrainischen Flüchtlinge hat die EU erstmals das langwierige Asylverfahren außer Kraft gesetzt. Es gilt jetzt die „europäische Massenzustromregelung“. Im Deutschen Aufenthaltsrecht ist dies der Paragraf 24.
Richtig zeitaufwendig ist es, für alle vier Kinder Plätze in Schulen in der Nähe ihrer Billstedter Wohnung zu bekommen. Aber auch das gelingt. Bei so vielen Behördengängen, die zu erledigen sind, gerät der Mietvertrag für die Dreizimmerwohnung in den Hintergrund – zumal der Vermieter keine Eile zu haben scheint, den Vertrag auszustellen. Er habe die ukrainische Familie immer wieder vertröstet.
Monatlich 5000 Euro für eine Dreizimmerwohnung
Nach zwei Monaten sind endlich alle Unterlagen zusammen, die bei der Sozialbehörde eingereicht werden müssen, damit Hamburg die Mietkosten übernimmt. Beim Blick in den Mietvertrag trauen Valentina und Anatolii Tkachenko ihren Augen kaum: Dort ist eine monatliche Miete von 5000 Euro festgeschrieben. Unsere Zeitung konnte diese Unterlagen einsehen. Das ukrainische Ehepaar, das in der Zwei-Zimmer-Wohnung des Vermieters lebt, soll 3000 Euro monatlich zahlen, erfahren sie.
Der Vermieter will auf unsere Anfrage aus datenschutzrechtlichen Grünen keine Auskunft geben. Das Ehepaar Tkachenko reicht die Unterlagen ein, kassiert zwar eine – wie Valentina und ihre Schwester sagen – freundlich formulierte, doch klare behördliche Absage. Innerhalb von zwei Tagen ziehen sie aus. Denn in der Zwischenzeit hatte der Vermieter auch noch eine Vollmacht verlangt, wonach er Auskünfte über die Familie einziehen kann und sich um alle ihre Belange kümmern darf. Die Flüchtlinge weigern sich, diese Vollmacht zu unterschreiben.
Vermieter hat bisher keine Forderungen gestellt
Vier Monate hat die sechsköpfige Familie in der Wohnung gewohnt, die laut Anzeige des Vermieters 90 bis 95 Quadratmeter groß sein soll. Sie haben in dieser Zeit keine Miete gezahlt. Der Vermieter hat bis jetzt keine Forderungen an die Familie gestellt. Ob er überhaupt berechtigt ist, bei der überhöhten Miete Forderungen zu stellen, ist fraglich.
Und so wohnt die Familie jetzt wieder bei Olga Mykhalchek (35) und ihrem Mann Iurii Chernovalov, mit acht Personen und zwei Haustieren, was sich neben der Raumnot als nicht ganz einfach herausstellt: Die Kinder müssen täglich von Bramfeld zu ihren Schulen nach Billstedt kommen; die Eltern hatten bereits einen Platz in einem Deutschkursus. Doch sie mussten die Teilnahme wieder absagen, da sie nicht wissen, wo sie demnächst wohnen werden.
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Bekannte in der Elimgemeinde gefunden
Einen Wunschstadtteil haben Valentina und Anatolii Tkachenko: Bergedorf. Über eine Frau, die sie bei Hilfe für die Ukraine kennengelernt haben, sind sie zur Freien evangelischen Gemeinde Elim im Schulenbrooksweg gekommen. In einer protestantischen Gemeinde waren sie schon in ihrem Heimatland aktiv. In der Gemeinde Elim treffen sie andere Flüchtlinge aus der Ukraine und tauschen sich aus. Das Ehepaar würde gern in die Nähe ihrer Gemeinde ziehen.
Die Familie kommt aus der Region Kiew, lebte zwischen Butcha und Borodianka. Valentina Tkachenko ist vor Kurzem in die Heimat gereist, um zu sehen, wie es dort aussieht. Sie hat das Haus der Familie für den Winter fertig gemacht. Schwer geschockt ist sie von dem, was von der näheren Umgebung geblieben ist. Überall sind Spuren der Kämpfe zu sehen, Bahngleise und Brücken sind zerstört worden. Sie fragt sich, wie all diese Schäden jemals wieder behoben werden können. Doch an dem grundsätzlichen Ziel, wieder zurück in die Ukraine zu gehen, wird nicht gerüttelt. „Die Kinder fragen jeden Tag“, berichtet Valentina Tkachenko. Sie könnten sich gar nicht vorstellen, was der Krieg für ihr Land bedeute.
In der Zwischenzeit will das Paar sein Leben so gut es geht gestalten. Anatolii Tkachenko ist Elektriker. Valentina Tkachenko ist Köchin. Beide verfügen damit über berufliche Fähigkeit, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt stark nachgefragt sind. Deshalb ist der nächste Schritt: Deutsch lernen, so schnell wie möglich.
Wer der Familie bei der Wohnungssuche helfen kann, kann sich per E-Mail an redaktionbergedorferzeitung@funkemedien.de wenden.