Hamburg. Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein und ihre Hobbys: Warum Tezel Cetin eine Bustour besonders liebt.

Große Autos zu steuern, war schon immer ihr Traum. Deshalb ist Tezel Cetin seit acht Jahren VHH-Busfahrerin und fährt alle Linien durch Bergedorf – am liebsten aber den 124er, der Zollenspieker, den Hower Hauptdeich und Moorfleet ansteuert: „Da kann ich auf dem Weg wunderbare Kräuter entdecken, die ich dann nach Feierabend sammeln gehe“, sagt die 52-Jährige, die Mohn und Spitzwegerich mag, dazu Kamille und Schafgarbe.

Etliche Gläser und Körbe in ihrem Wohnzimmer sind damit gefüllt und duften – vor allem der geräucherte Lorbeer. Wozu? In ihrer Freizeit macht Tezel Cetin ihren eigenen Essig. Und der soll gegen viele Krankheiten helfen.

Weißdorn ist für Herzkranke geeignet, Hagebutte hilft beim Knochenaufbau

Die Hagebutte aus Allermöhe zum Beispiel helfe beim Knochenaufbau. Und das Johanniskraut, das sie nahe der Lohbrügger Schulen sammelt, lindere Depressionen. „Diesen Essig habe ich vor zwei Tagen angelegt. Der wird erst im November mit seiner Fermentierung fertig“, erklärt sie die milde Säure. Das gilt auch für den Weißdorn-Essig, den Herzkranke gern trinken – immer mit gefiltertem Leitungswasser und Waldhonig gemischt.

„Die reifen Blüten habe ich mit einem Hammer zermatscht. Jetzt rühre ich das Glas zwei- bis dreimal täglich um und spreche dazu Liebeswörter. Manchmal lese ich auch Suren aus dem Koran vor, damit das Wasser lebendig wird“, sagt die Frau, die bei Pamukkale in der türkischen Provinz Denizli aufgewachsen ist.

Ihre Großmutter, die 102 Jahr alt wurde, hat die Leute mit ihren Salben geheilt

Daher stammt auch Esa, die 102 Jahre alt geworden ist: „Meine Großmutter hat die Leute in den umliegenden Dörfern mit ihren Salben geheilt. So habe ich viel über die Wirkung von Kräutern gelernt. Ich habe mir auch vieles angelesen“, sagt Tezel Cetin, die vor 14 Jahren damit begann, Essig selbst herzustellen. Damals arbeitete sie noch als ambulante Krankenschwester bei der Caritas.

Aber als nach zwei Töchtern noch Zwillinge geboren wurden, sah die Welt anders aus: „Eines der Mädchen hat Nieren, die kein Phosphor produzieren. Dadurch haben sich ihre Beine verbogen. Doch statt vieler Medikamente bekam sie morgens und abends ein Teeglas voll Lavandula-Essig mit Schachtelhalm und Lorbeer. So brauchte sie keine OP. Darauf bin ich stolz“, sagt die vierfache Mutter und zweifache Oma. „Durch Krankheiten lernt man das Leben kennen, schätzt dessen Wert und wird stärker und selbstbewusster.“

Ihr großer Wunsch: einen eigenen kleinen Laden eröffnen

Auch in der Wilhelmsburger Moschee gibt sie Frauen Ernährungstipps – und fragt stets nach der Blutgruppe. „Mein Mann hat A und muss Vegetarier sein. Ich dagegen habe B und darf wegen der Arthrose weder Hähnchen noch Kichererbsen essen. Aber ich gebe Eierschalen in eine Mühle und mische sie in meinen Joghurt“, sagt die 52-Jährige, die ihr Wissen weitergeben will und vor einem Jahr einen Instagram-Account eröffnete – auf Türkisch: Sifahanem Sirkeleri. Sifa heißt Heilung, Hanem ist das Haus und Sirkeleri ist eben der Essig.

Wenn Kunden – darunter seien auch Ärzte und Heilpraktiker – nachfragen, füllt sie ihre inzwischen 60 verschiedene Essigsorten aus den großen Zwölf-Liter-Flaschen ab. Ein halber Liter kostet etwa 15 Euro – samt selbst kreiertem Etikett. In ihrem 500 Quadratmeter großen Kleingarten beim Inselpark baut sie viele Pflanzen selbst an – so auch Rosen : „Ich muss alles mit der eigenen Hand sammeln und verliere mich gern in der Natur.“

Dabei hätte sie noch einen großen Wunsch, nämlich einen eigenen kleinen Laden zu eröffnen. Wann dafür neben der zu pflegenden Mutter (73) noch Zeit ist? Da macht sich die fröhliche Tezel Cetin keine Sorgen, denn nicht umsonst werde ihr Vorname mit „schnelle Hand“ oder „flinke Frau“ übersetzt.