Hamburg. „Schwarzer Weg“: Pächter erhalten Kündigung für Kleingarten. Obwohl die Gartensiedlung in Verruf geraten ist, wollen sie bleiben.
Irene Müller streift durch ihren Garten. Vorbei an den Rosen, vorbei an der Hängematte, vorbei an den kleinen Holzstühlen. Auf der Terrasse vor ihrem kleinen Holzhaus lässt sie sich nieder, blickt auf den frisch gemähten Rasen. In den Bäumen zwitschern Vögel. Es ist ein idyllisches Bild.
Die wilde Laubenkolonie am Schwarzen Weg mag ob vieler Brandstiftungen und jüngst auch einer Polizeirazzia in den Augen vieler Bergedorfer ein arg ramponiertes Image haben. Für die 65-jährige Irene Müller und ihre Tochter Charlotte ist es ein kleines Paradies am Rande von Hamburg. Ein kleines Paradies, das bedroht ist. Denn nach langer Vorbereitung soll auf dem etwa 20 Hektar großen Areal nahe der A25 in den kommenden Jahren ein Innovationspark entstehen.
Kleingarten Hamburg: Viel Platz und kaum einschränkende Regeln in Bergedorf
Die Siedler müssen weichen. Bis 31. Dezember dürfen die Menschen das Gelände noch nutzen, dann ist Schluss. Ersatz oder Entschädigung soll es für sie nicht geben, denn obwohl für viele der Parzellen Pachtverträge existieren, sind die Bauten auf dem ehemaligen Bahngelände einst ungenehmigt entstanden. Für die offiziellen Lauben des Schrebergartenvereins 609 am Curslacker Neuen Deich gibt es hingegen Ersatz.
Gerade der etwas wilde Charakter dieses Grabelandes gefällt den Menschen, die sich hier etwas aufgebaut haben.„Es ist hier ganz anders als in einem Kleingartenverein. Wir nehmen Rücksicht aufeinander, aber es gibt keine Regeln, wie hoch die Hecke sein darf oder ab wann es leise sein muss“, sagt Irene Müller, deren Grundstück circa 800 Quadratmeter groß ist. Sie ist seit vielen Jahren schwer krank. „Hier in diesem Garten zu sein – das ist wie Therapie.“
Auch für Tochter Charlotte hat der Garten eine große Bedeutung. „Meine persönliche Ruheoase“ nennt sie ihn – und sorgt sich auch um die Tiere auf dem Gelände. „Hier leben Fledermäuse, verschiedene Vögel, wilde Katzen und in den Gräben geschützte Tellerschnecken. Was passiert mit all den Lebewesen?“ In Verruf sei die Gartensiedlung erst vor einigen Jahren gekommen, als immer mehr Menschen ihre Lauben aufgaben. „Die Leute wussten, dass die Stadt das Gelände irgendwann anders nutzen möchte – dadurch sind Lauben frei geworden, in denen sich dann zum Beispiel Obdachlose niedergelassen haben.“
Was die Pächterinnen als letzten Ausweg in Erwägung ziehen
Mutter und Tochter möchten nicht tatenlos herumsitzen, sondern kämpfen. „Ich gehe hier nicht weg“, sagt Irene Müller. Ein Papier, auf dem steht, dass die Siedler sich auf einen Abriss einstellen müssen, habe sie nicht unterschrieben. Sie kramt ihren Pachtvertrag heraus und tippt mit dem Zeigefinger aufs Papier: „Hier steht eindeutig Garten und nicht Grabeland.“ Das macht ihr Mut. „Wir wollen protestieren. Gerade überlegen wir, ob wir als Gemeinschaft mit einer Sammelklage gegen den Abriss vorgehen können.“
Mit einer Schere in der Hand inspiziert einige Parzellen weiter Ruth Jürgensen ihre Rosenpflanzen. Am Rande ihres Stücks Land ragt ein gewaltiger Walnussbaum in den Himmel. Mit ihrer Familie hat die 98-Jährige den Garten vor 28 Jahren angelegt. „Die gute Gartenluft hier hält mich fit“, sagt sie schmunzelnd. Natürlich sei sie traurig, dass nun alles abgerissen werden soll. „Heiligabend essen wir hier mittags mit der ganzen Familie Erbseneintopf und trinken Fliederbeerpunsch.“
Viele haben sich ein zweites Zuhause errichtet, feiern in den Lauben mit der Familie
Besonders niedergeschlagen ist auch der ehemalige Busfahrer Jürgen Schley. Der 73-Jährige verbringt seit fast 40 Jahren viel Zeit auf dem gepachteten Land. Neben seinem Bungalow hält er Kaninchen, Masthähnchen, Hühner und Enten. Außerdem baut er Porree und Kartoffeln und Bohnen an. „Alles, was ich mir aufgebaut habe, ist bald einfach weg“, sagt er. Die Hoffnung, dass das Gelände noch zu retten ist, hat er schon aufgegeben.
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Unter einem Sonnenschirm sitzen Nelli und Jakob Zimmermann aus Nettelnburg auf ihren Gartenstühlen. Auf dem von ihnen genutzten 400 Quadratmeter großen Grundstück haben sie sich zwei Holzhäuser eingerichtet. „Es ist schmerzhaft. Den letzten Sommer müssen wir jetzt richtig ausnutzen“, sagt die 61-Jährige. Mit der ganzen Familie gibt es im Garten regelmäßig Grillpartys und kleine Feiern. „In der einen Laube haben wir einen Tisch für 30 Personen.“
Antrag der CDU-Fraktion könnte den Pächtern eine Entschädigung bringen
Ein Hoffnungsschimmer: Die CDU plädiert jetzt für einen Kompromiss. In einem Antrag fordert die Fraktion, auch den Grabeländern ein Angebot für eine Ausgleichsfläche zu machen. Donnerstag ist das Thema in der Bezirksversammlung. Bis dahin und vielleicht länger heißt es für Irene Müller und die anderen Pächter: abwarten. Die Bergedorferin dreht das Gesicht zur Sonne. „Wenn ich die Augen schließe, klingt die Autobahn fast wie Meeresrauschen.“