Hamburg. Ein Start-up feilt an einem Projekt mit selbstfahrenden Autos. Telefahrer steuern die Autos bis zum Kunden. Pilotbezirk ist Bergedorf.
Fahrerlos braust das Auto über Bergedorfer Straßen, gesteuert nur von einem Telefahrer, der weit weg in einer Zentrale sitzt. Was wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film klingt, soll im Bezirk Bergedorf schon bald Realität werden: Das Berliner Start-up-Unternehmen Vay möchte in Kooperation mit der Hamburger Verkehrsbehörde ein entsprechendes Pilotprojekt im Bezirk Bergedorf starten. Doch der für Anfang 2022 angekündigte Start wird wohl noch etwas dauern. „Wir bereiten gerade die Zulassung vor“, sagt Friederike Reuter von Vay. Und die soll nicht übereilt werden: „Die Sicherheit steht im Vordergrund“. Deshalb starte das europaweit einzigartige Projekt auch „bewusst“ in Deutschland, wo zwar eine Menge Auflagen warten, dann aber alles gut gecheckt ist.
Lücke in Randbezirken schließen – die „letzte Meile“ nach Hause
Große Erwartungen werden bei Vay und in der Verkehrsbehörde an das Projekt geknüpft. Denn es soll helfen, eine Lücke vor allem in den Randbezirken zu füllen, wo Carsharing-Angebote seltener zu finden sind und auch Busse oft nicht bis vor die Haustür fahren. Kurzum: Wo also auf der sogenannten „letzten Meile“ das Auto oft noch unverzichtbar ist.
Das Prinzip von Vay: Kunden bestellen per App ein Auto vor die Haustür. Ein Telefahrer steuert das selbstfahrende Fahrzeug von einer Zentrale aus direkt dorthin. Nun übernimmt der Kunde, fährt an sein Ziel – und überlässt den Wagen wieder dem Telefahrer, der es zum nächsten Kunden oder zum Betriebshof bringt. So soll auch eine Parkplatzsuche wegfallen.
Vay: Autos nutzen mehrere 4G-Mobilfunknetze
Vay betont die hohen Standards, die bei dem Projekt eingesetzt werden – sowohl beim Fahrzeug als auch bei der gesamten Technik. So nutze ein Vay-Auto beispielsweise immer mehrere 4G-Mobilfunknetzwerke gleichzeitig, um mögliche Ausfälle kompensieren zu können. „Die Telefahrer haben zudem eine 360-Grad-Sicht“, sagt Anja Rechtsteiner von Vay. Diverse Kameras rund ums Auto machen das möglich. Allein um herauszufinden, wie diese Kameras optimal ausgerichtet sein müssen, sei drei Jahre lang geforscht worden. Hinzu kommt der Datenschutz beim Filmen auf öffentlichen Straßen: Spezialisten bei Vay haben dazu eigens eine „Privacy Policy“ entworfen. „Wir sind nicht daran interessiert, Personen anhand von Daten zu identifizieren“, betont Anja Rechtsteiner. Nur das Verkehrsgeschehen sei von Interesse. „Alle Daten, die wir nicht benötigen, werden umgehend gelöscht.“
Telefahr-Technologie wird bereits in Hamburg getestet
Vay testet die Telefahr-Technologie bereits seit zwei Jahren auf öffentlichen Straßen in Berlin und Hamburg – derzeit aber noch mit Sicherheitsfahrern hinter dem Steuer. Im großen Pilotbezirk Bergedorf hat sich das Start-up-Unternehmen auch bereits einen Bereich ausgesucht, in dem die Vay-Autos später starten sollen. Wo das genau sein soll, bleibt allerdings bis zum Start ein gut gehütetes Geheimnis.
Fakt ist, Bergedorf als Randbezirk bietet optimale Voraussetzungen für das Projekt. Denn „es geht ja gerade um die äußeren Bezirke“, um die Lücke, die es dort auf den letzten Meilen gibt, so Friederike Reuter. Mehr noch als in Berlin, wo das Start-up seinen Sitz hat, hat sich zudem Hamburg als Projektpartner angeboten. „Hier haben wir gespürt, dass unsere Vision der zukünftigen Mobilität geteilt wird.“
Telefahrer könnte ein ganz neues Berufsbild werden
Neben der neuen Technologie bringt das Konzept eines ferngesteuerten Autos auch ein ganz neues Berufsbild mit sich: das eines Telefahrers. Vay hat dafür eine „Telefahracademy“ gegründet, die international zertifiziert werden soll.
Investoren weiß das Unternehmen hinter sich: Laut Agenturmeldungen vom Dezember sammelte Vay bei der jüngsten Finanzierungsrunde 95 Millionen Dollar ein. Das Geld soll für den Markteintritt verwendet werden – also für Bergedorf.