Bergedorf. Beim Bergedorfer Bürgerpreis gab es in diesem Jahr drei Gewinner. Sie teilten sich die 6000 Euro Preisgeld.
Niemand hat uns versprochen, dass es immer leicht sein werde. Da ist der unheilbar Kranke, der einsame Nachbar, auch das lahme Tier oder das Kind, das sich heimatlos fühlt. Es gibt viel zu tun auf der Welt. Und es gibt Leute, die das anpacken. Einfach mal loslegen. Als hätten sie alle Franz Kafka gelesen: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“
13 Kandidaten waren für den Bergedorfer Bürgerpreis 2021 vorgeschlagen, darunter zwei Teams. Sie alle haben Vertrauen in eine bessere Welt und jene Tugenden, die es dafür braucht: Sie können aufmerksam zuhören, die Hand reichen und in schwierigen Momenten verlässlich begleiten. „Sie haben es der Jury wirklich schwer gemacht“, meint André Herbst.
Der Lokalchef der Bergedorfer Zeitung führte im Schloss durch den feierlichen Abend, der gemeinsam mit der Volksbank Bergedorf ausgerichtet wurde, um den mit 6000 Euro dotierten Preis zu verleihen. Und zur großen Überraschung war es Regina Bringmann, die „gute Seele von Ochsenwerder“, die allen Jury-Teilnehmern einen bunten Strauß Sommerblumen überreichte.
40 Prozent der Deutschen, also 30 Millionen Menschen, engagieren sich ehrenamtlich
Was genau hat der Main-Spessart-Kreis mit Bergedorf zu tun? „Er gehört zu den schönsten Kreisen Deutschlands“, hat der Interims-Bezirksamtsleiter Ulf von Krenski mal gelesen: Das Kennzeichen MSP könne auch für „mein schönstes Paradies“ stehen, denn: „Da gibt es den höchsten sozialen Zusammenhalt“, erfuhr von Krenski und schwärmt, dass „40 Prozent der Deutschen, also 30 Millionen Menschen, sich ehrenamtlich engagieren – nicht aus Geltungsbedürfnis, sondern aus Spaß an der Sache“. Sie seien das Rückgrat der Gesellschaft – und das eben auch in unserer Bergedorfer Nachbarschaft.
Schwachstellen aufgreifen, Ressourcen erschließen, Chancen ergreifen für eine friedvollere Welt: „Dafür braucht es ein aktives Mittun“, so der Jury-Vorsitzender Matthias Bohl. Dem Propst oblag es, die Gewinner auszuzeichnen: „Sie schaffen es, anderen beizustehen, mit dieser bösen Krankheit zurechtzukommen“, lobt er Dirk Rosenkranz, den Vorsitzenden der Deutschen Muskelschwund-Hilfe. Dessen erste Reaktion: Hand aufs Herz. „Die 2000 Euro spende ich an das Projekt ,Mighty Maje’. Für das achtjährige Mädchen und viele andere startet die Berliner Charité jetzt ein Forschungsprojekt.“
Der neue Kinder-Trickfilm heißt „Die Gleise hinterm Haus“
Mit weiteren 2000 Euro werden Schwimmbad-Ausflüge für Flüchtlingskinder bezahlt, dazu Mal-und Film-Materialien: Ute Klapschuweit und Regine Uhlig, die im Containerdorf an der Brookkehre eine Kunstinitiative ins Leben riefen, wurden ebenso ausgezeichnet: „Dabei ist unser jüngster Trickfilm, den wir in den Lokschuppen von Aumühle und Geesthacht gedreht haben, noch nicht geschnitten“, kündigen sie den 20-minütigen Streifen an: „Die Gleise hinterm Haus“ erzählt von einer wundersamen Weltreise mit der Dampflok Karoline.
Er müsse das erstmal „genüsslich verinnerlichen“ und mit der TSG absprechen, welches Projekt mit den 2000 Euro möglich sei, sagt der dritte Gewinner. Berndt Fuhrmann (76) gründete nicht nur im Sportverein eine Schachabteilung mit heute 80 Mitgliedern, er unterrichtet auch in Grundschulen und Kitas Kinder aller Nationen. Propst Bohl ist beeindruckt: „Das kommt uns vor wie ein Friedensprojekt der Völkerverständigung im Kleinen.“
Der Verein mit Schutzwohnung im Harz schenkt Kindern und Tätern Vertrauen
Zwischen ihrem sentimentalen „River flows in you“ (aus dem Film Twilight) und einem flotten „Tango Jalousie“ erfreute auch Geigerin Ilona Raasch die Runde im Festsaal: „Mit Musik und Texten war ich in Taiwan, habe in Schulklassen die 30 Menschenrechte gelehrt.“ In Artikel 3 etwa heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben.“ Artikel 5 besagt, dass niemand gefoltert werden darf.
Dafür setzt sich auch Patrick Kliefoth mit seinem Verein „ShakenKids“ ein – und steht in Kontakt mit Gerichtsmedizinern: Mehr als 50 Säuglinge werden jährlich zu Tode geschüttelt, die Dunkelziffer sei hoch. Wer eine schwere Hirnverletzung überlebt, muss ein Leben lang geistige und körperliche Behinderungen meistern. Dass der Verein mit einer Schutzwohnung im Harz sowohl den Kindern als auch den Tätern – was meist die überforderten Eltern sind – Vertrauen schenkt, imponiert der Jury. Und auch die Tatsache, dass der fünffache Vater, der sich gerade zum Traumatherapeuten ausbilden lässt, noch ein Pflegekind aufnehmen will: „Vielleicht ein Kind, dessen Lebenserwartung nicht mehr so hoch ist.“
Der 70-jährige Karl Woller schickte seine Tochter Katja zur Verleihung
Dass indes auch gesunde und glückliche Kinder Unterstützung brauchen, weiß bz-Verlagsleiter Ulf Kowitz, wenn er für seine beiden Töchter (11 und 13 Jahre) zum Elternabend geht: „Da ist dieser Moment, wo alle betreten zu Boden gucken oder sich vielleicht für ein paar Jahre als Elternvertreter breitschlagen lassen.“ Die „Kontinuität der Arbeit mit einer oft sehr speziellen Lehrerschaft“ sei bewundernswert, sagte er in seiner Laudatio auf Sven Kuvecke, Bergedorfs Vorsitzenden des Kreiselternrates.
Der 51-Jährige nahm die Urkunde im Namen von 2000 Bergedorfer Elternvertretern entgegen mit einem Appell: „Abi-Feiern, Schulausflüge und Klassenfahrten lassen sich nicht nachholen. Die Kinder leiden viel länger unter den Corona-Einschränkungen, das müssen wir in Zukunft unbedingt vermeiden!“
Dass manche Gäste plötzlich von ihrem Urlaub in Berchtesgaden plauderten, lag an Karl Woller. Da ist der 70-Jährige nämlich gerade – und kümmert sich mal ausnahmsweise nicht um die Zukunft der Sportvereine im Landgebiet. „,Kuddel’ kenne ich schon seit 1975 vom Fußballplatz. Das ist ein Mensch, den man greifen kann, praktisch fürs Leben“, meint Volksbank-Vorstand Karsten Voß. Und so schickte der 70-Jährige – ganz pragmatisch – Tochter Katja zur Preisverleihung und ließ sonnige Grüße ausrichten.
Am 26. September kann der neue Unterstand eingeweiht werden
Für den Verein „Wentorf gestalten“ nahm Alena Kempf-Stein die Glückwünsche in Empfang und freute sich über das „Kompliment für den Unternehmergeist, der aus Ideen Taten werden lässt“, so Laudatorin Traute Rohmann.
Was seien schon die 16 Jahre der Kanzlerin? „Sie waren immer schon da, das wissen zwei ganze Generationen in der Neuengammer Kirchengemeinde“, sagte Horst Rödinger (84) schmunzelnd und lobt Margot Klose, die für einsame Senioren stets ein offenes Ohr und selbstgekochte Leckereien habe.
Dank vieler Spenden kann am 26. September der neue Unterstand eingeweiht werden, freut sich Martina Schooff (52), die in Friedrichsruh mit dem Verein „Endlich angekommen“ einen Gnadenhof für 28 kranke Pferde betreibt. „Wer hier Zuflucht findet, darf in Würde alt werden“, lobt die Jury das inzwischen 35-jährige Engagement.
Mit historischer Technik eine Lehr-Mühle betreiben
Auch ein anderes Projekt geht zügig voran: Die 1828 erbaute „Riepenburger Mühle“ wird nicht nur liebevoll von Axel Strunge gepflegt, sie soll auch zeigen, was sie kann und wird gerade zur Lehr-Mühle ausgebaut. Das Kulturdenkmal wird um eine Ölmühle aus dem Jahr 1900 erweitert: „Die haben wir gerade für 9500 Euro in Aschaffenburg gekauft“, sagt der 52-Jährige und hofft, dass die Maschine durch alle Türen passt: „Allein die Presse wiegt fünf Tonnen.“ Besucher können sich auf geröstete Leinsamen und Hanföl freuen, „außerdem geben 11,5 Kilogramm Walnüsse 7,5 Liter Öl“, erläutert der Vereins-Vorsitzende. Er freute sich mit allen Bürgerpreis-Kandidaten über Urkunde, Lob und Anerkennung.