Bergedorf. Auf den ersten Blick ist es eine schöne Taschenuhr. Für Astronomen im 19. Jahrhundert wäre Forschung ohne sie nicht möglich gewesen.
Ein Geschenk an die Sternwarte öffnet den Blick zurück in eine Zeit, als Astronomie neben aller wissenschaftlichen Bedeutung für Zeitmessung und Navigation vor allem noch ein großes Abenteuer war: Das 140 Jahre alte Präzisions-Taschenchronometer des einstigen Sternwartendirektors George Rümker (1832-1900) ist zurück – und jetzt Teil der Universitätssammlungen des Hamburger Observatoriums auf dem Gojenberg in Bergedorf.
Rümker war Direktor, als die Sternwarte noch am Millerntor mitten in Hamburg stand. Bereits 1857 wurde er, gerade mal 25 Jahre jung, als Nachfolger seines Vaters Karl Rümker an die Spitze des Instituts berufen, das für Hamburgs weltumspannendes Netz der Schifffahrt von entscheidender Bedeutung war. Denn hier wurde die exakte Zeit bestimmt – als Äquivalent zum Stand der Sterne entscheidend für die korrekte Positionsbestimmung auf hoher See.
Dirketor der Sternwarte war Experte in Sachen Forschungen zu Sternschnuppen
George Rümker blieb 42 Jahre Direktor, organisierte Sonnenfinsternis-Expeditionen rund um den Erdball, machte sich einen Namen mit frühen Forschungen zu Sternschnuppen. Und er legte auch die Grundlagen für den Umzug des Observatoriums nach Bergedorf, den sein Nachfolger Richard Schorr dann von 1906 bis 1912 vollziehen konnte.
Quasi als Erinnerung zog Rümkers 1867 angeschafftes Äquatorial mit vom Millerntor nach Bergedorf und ist bis heute samt hölzernem Beobachtungsstuhl im kleinsten Kuppelbau des Sternwarten-Parks zu besichtigen. Mit im Umzugsgepäck seines Nachfolgers war seinerzeit laut Inventarverzeichnis des Instituts auch die legendäre Taschenuhr des Direktors. Das nachweislich 1881 in Genf angefertigte Präzisions-Chronometer gehörte nämlich nicht Rümker persönlich, sondern war als mechanisch hochwertigste Uhr seiner Zeit von der Sternwarte angeschafft worden.
Exakten Uhrzeit war Voraussetzung für exakte Forschung
Es diente für die nächtlichen Beobachtungen des Sternenhimmels, die stets mit der exakten Uhrzeit notiert werden mussten, um für Wissenschaft und Navigation nutzbar zu sein. Deshalb stand im Keller der Sternwarte zwar auch eine riesige Präzisionsuhr, die diverse Nebenuhren in den Kuppeln steuerte. Sie waren aber nur für die Zeiteinträge der „gewöhnlichen“ Forscher. Der Direktor hatte die präzise Zeit dagegen stets persönlich in der Tasche. Besonders auf Expeditionen war sein Präzisions-Chronometer eines der wichtigsten Instrumente.
„Die Inventarliste der Sternwarte umfasst fast 100 Einträge von Uhren und sonstigen Geräten der Zeitmessung“, sagt Wissenschafts-Historikerin Prof. Dr. Gudrun Wolfschmidt, Sternwartenexpertin und Verantwortliche für Hamburgs Universitätssammlungen. „Tatsächlich gibt es hier in Bergedorf noch eine ganze Reihe von großen Standuhren, aber bisher kein einziges Taschenchronometer.“
Unklar, wie die Taschenuhr in den 1940er-Jahren aus der Sternwarte verschwand
Es sei wohl in den 1940er-Jahren abhanden gekommen, als Quarzuhren die Präzision in der Zeitmessung übernahmen. Ein offizieller Verkauf ist nicht dokumentiert.
Die Rückkehr ist denn auch ein großer Zufall: Vor 25 Jahren fiel das einzigartige Stück dem passionierten Uhrensammler und Germanisten Dr. Christoph Prignitz am Steindamm in St. Georg auf. In der Auslage eines Geschäftes für gebrauchte Uhren.
Sammlerwert der Taschenuhr im mittleren vierstelligen Euro-Bereich
Nach einigen Verhandlungen wurde man sich über den Preis einig. „Deutlich unter dem Sammlerwert, der heute im mittleren vierstelligen Euro-Bereich liegt“, sagt Prignitz. Dass er das Präzisions-Chronometer der Sternwarte erstanden hatte, war ihm damals aber noch nicht klar.
Und so wanderte die geschichtsträchtige silberne Taschenuhr mit weißem Zifferblatt und der Aufschrift „W. Brocking“ in Prignitz’ Sammlung nach Oldenburg bei Bremen. Natürlich forschte der Experte zur Geschichte des Chronometers, zeichnete schließlich seine Reise in den 1880er-Jahren nach.
Weg der Uhr von Genf über Dresden bis Hamburg nachgezeichnet
Sie führt das mechanische Wunderwerk aus der Werkstatt der renommierten Genfer Uhrmacher Vacheron & Constantin über den Dresdner Großhändler Lange & Söhne bis zu einem Hamburger Fachgeschäft für hochwertige Uhren. Dort kaufte George Rümker das Chronometer im Namen der Sternwarte anno 1888, wie die Inventarliste des Observatoriums verrät.
Doch mit dieser Erkenntnis war die jetzt als Schenkung vollzogene Rückkehr noch längst nicht besiegelt. Zwar erinnerte sich Christoph Prignitz an seine Studienzeit in Hamburg und nahm auch Kontakt zu Gudrun Wolfschmidt auf. Aber Geld sollte nicht fließen.
Neues Buch gibt Auskunft über die wechselvolle Geschichte
Und so einigten sich beide auf eine ganz besondere Gegenleistung: Für die Schenkung der Direktorenuhr und auch noch ein ebenfalls über 100 Jahre altes Präzisions-Barometer, das einst im Bestand der Deutschen Seewarte auf dem Stintfang in Hamburg hing, wurde ein Buchprojekt vereinbart. Das 112 Seiten starke Werk mit dem Titel „Zeit für Hamburg“ ist jetzt erschienen und für 18,80 Euro in allen Buchhandlungen zu haben.
Es fast natürlich alle Details zum nun zurückgekehrten Präzisions-Chronometer des Direktors zusammen, ergänzt um das komplette Uhrenverzeichnis der Sternwarte. In weiteren Kapiteln geht es um die Bedeutung der Zeitmessung des Hamburger Observatoriums, das vom Millerntor und später von Bergedorf aus die Uhr auf dem Turm der St. Pauli-Landungsbrücken vor allem den Zeitball auf dem Dach des Kaispeichers A steuerte, dort wo heute die Elbphilharmonie thront. Christoph Prignitz rundet das Buch mit Beiträgen ab, die das Thema Zeit in der Literatur behandeln.