Hamburg. Der Mann mit dem Rauschebart, der eigentlich Andreas heißt, sieht sich als “Bote des Christkinds, nicht nur ein Kostüm-Onkel“.
Mit weißem Bart, Mitra und Hirtenstab ausgestattet, klopft er an die Türen der Wohngruppen, hinter denen schon gekichert, ehrfurchtsvoll gestaunt oder ängstlich gezittert wird: „Ho-Ho-Ho“, ruft der Nikolaus den Menschlein im Kinderhaus St. Elisabeth zu und verteilt – manchmal mithilfe eines Engels – Säckchen voller Leckereien. Das Aufregende aber ist, dass der Nikolaus am Grasredder für jedes der derzeit 58 Kinder ein kleines, persönliches Gedicht im Gepäck hat.
„Ich bin schon der Bote des Christkinds, nicht nur ein Kostüm-Onkel“, betont der 61-Jährige. Bloß in diesem, seinem elften Jahr am Grasredder, muss er besonders flexibel sein: „Gekommen wär der Nikolaus gerne, doch diesmal schreibt er aus der Ferne. Vieles ist in diesem Jahr anders als es immer war“, heißt der Vierzeiler des Nikolaus, der eigentlich Andreas heißt und mit seinen eigenen vier Kindern (7 bis 15 Jahre alt) in Börnsen lebt.
Der Nikolaus im Kinderheim will alle loben und ermutigen
„Manche müssen sich erst eingewöhnen, andere wechselten die Schule oder hatten ein trauriges Jahr hinter sich“, sagt Andreas, der jedes Kind und jeden Jugendlichen lobt und ermutigen möchte. Er weiß, dass die Kleinen im Kinderheim oft aus schwierigen Elternhäusern kommen, wo nicht immer Liebe und Aufmerksamkeit an erster Stelle stand.
Aber die Erzieher in den Wohngruppen wissen ihm stets Schönes und Erfolgreiches zu berichten, etwa von der Fünfjährigen, die einen solchen Brief bekommt: „Das wichtigste nämlich: Hilfsbereit sein! Dafür zu sorgen, dass andre sich freuen. Deine kleine Schwester zum Beispiel ist froh, dass sie dich hat. Auch ich seh das so. Und wünsche dir für das nächste Jahr, dass alles noch besser wird als es je war!“
Eigentlich heißt der Nikolaus Andreas und leitet die Kirchenzeitung
Es seien „keine großen, lyrischen Kunstwerke“, aber ein bisschen habe er das Reimen und Schreiben durchaus gelernt, sagt Andreas. Denn beruflich leitet er die Kirchenzeitung des Erzbistums Hamburg. „Die Kinder sind oftmals herumgeschoben worden, die brauchen jetzt keine frommen Sprüche, sondern aufmunternde Worte.“ Und so ist er froh, um ein paar heimliche Stichworte der Erzieher, die verraten können, wer etwa gern Klavier oder Fußball spielt, Kung Fu liebt, Lego-Modelle, das Tanzen oder Mau-Mau-Meister ist. Manchmal steht da aber eben auch: „Ist sehr zappelig; muss lernen, seine Wut zu kontrollieren.“
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„Bei den Kleinen kommt der Nikolaus nachts und legt den Brief ab. Die Großen werden ihn wohl nachmittags in gemütlicher Runde vorlesen und ein bisschen dazu singen und Musik machen“, sagt Betreuerin Vanessa Grote.
Auch Kathrin Hettwer, die das katholische Haus leitet, freut sich unbändig auf die schönen Gedichte: „Er macht das einfach großartig.“ Denn natürlich weiß der Nikolaus, wer sich gerade an eine neue Brille gewöhnen muss, um wunderschön rote Locken beneidet wird, jetzt schon ohne Schwimmflügel schwimmen kann oder eine tapferer Frühaufsteherin ist, die eifrig ihr Berufspraktikum absolviert hat.
„Wer hat schon die Kraft und den Mut zum Boxen wie du?“
Der Junge, der so gern auf Inlinern rast, wird lesen dürfen: „Weise ist der, der nicht vergisst, dass das Leben lustig ist. Und etwas Schönres gibt es nicht, als ein lachendes Gesicht. Drum Junge, bleibe wie du bist. Der Segen Gottes Dir sicher ist.“ Ein anderer Junge bekommt jenen lieben Brief: „Du hast eben andre Gaben, die andre Jungs nie und nimmer haben. Rappen zum Beispiel, das kann nicht jeder, Malen und Zeichnen mit Pinsel und Feder. Und wer hat schon die Kraft und den Mut zum Boxen, wie er es tut?“
Bloß handschriftlich zu formulieren – „das schaffe ich leider nicht“, gesteht der Nikolaus, der alle Kinder liebt – den „Toughen“ und die kleine Ruhige, das Plappermaul und den jugendlichen Diskussionsfreudigen, mit dem er so gut „Tacheles“ reden kann. Respekt hat er vor dem Schüler, der keine Säuren und Moleküle scheut: „Als Nikolaus komm ich weit herum und sehe viel und bin nicht dumm. Doch recht verstanden hab ich nie die Geheimnisse des Fachs Chemie.“
Wer mag nicht gern hören, liebevoll, hilfsbereit oder selbstständig zu sein? Auch ein großes Gerechtigkeitsempfinden wird gelobt oder die Tapferkeit beim Zahnarzt. Milde und mit einem freundlichen Augenzwinkern sagt „Nikolaus Andreas“, dass es so wichtig sei, dass alle gesehen werden: „Es ist gut, dass und wie die Kinder alle da sind.“