Bergedorf. Der Ärger im Mehrgenerationenhaus an der Holtenklinker Straße nimmt kein Ende. Nachdem bei einer Begehung Brandschutz-Mängel festgestellt wurden, gerät auch der Betreuungsdienst “Pro Vital“ in die Kritik. Mieter sollen unter Druck gesetzt worden sein.

Die Hamburger Firma hat Betreuungsverträge mit den Bewohnern der 20 seniorengerechten Wohnungen abgeschlossen, betreibt eine Tagesstätte im Keller. Dafür wird ein monatlicher Zuschlag auf die Miete zwischen 44 und 107 Euro fällig, abhängig vom Umfang der Leistungen, wie Notrufknopf oder Hilfe bei Behördengängen. Doch nicht alle Mieter wollen betreut werden, manche fühlen sich regelrecht zum Vertragsabschluss gedrängt.

„Am Anfang haben wir noch gedacht, das ist gar nicht schlecht für uns alte Leute. Jetzt haben wir aber festgestellt, wir brauchen das ja gar nicht“, sagt Ehepaar Gisela und Heinrich Glandt. Als der 78-Jährige bei „Pro Vital“ anrief, „haben die gesagt, wir können nicht kündigen, sonst müssten wir wieder aus der Wohnung raus“, sagt Glandt empört – und erhebt schwere Vorwürfe: „Wir wurden beim Einzug massiv gedrängt zu unterschreiben. Sonst würden wir die Wohnung erst gar nicht bekommen.“ Die Vertragsbedingungen seien aber erst im Nachhinein zugestellt worden. „Da haben wir auch erst gelesen, dass wir den Betreuungsvertrag gar nicht kündigen können.“ Tatsächlich heißt es dort in Paragraf 4: „Dieser Vertrag erlischt bei Beendigung des Mietverhältnisses. Eine vorherige Kündigung ist ausgeschlossen.“

Hans-Jürgen Galle, Leiter des Bergedorfer Gesundheitsamtes, bestätigt die Rechtmäßigkeit der Kopplung der Betreuungs- an die Mietverträge, schränkt aber ein: „Die Rechtsverordnungen für das seit 2010 geltende Hamburgische Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz fehlen noch.“ Auch betreffe die Regelung ausschließlich seniorengerechte Wohnungen. Erst seit wenigen Wochen bestehe für solche Verträge überhaupt eine Meldepflicht. Mieter mit Reklamationen sollten sich an die Heimaufsicht wenden. Galle bestätigt: „Es gibt Beschwerden über ‚Pro Vital’.“

Zwei weitere Mieter behaupten, massiv zur Unterschrift gedrängt worden zu sein. Andere kritisieren, zunächst nicht die versprochenen Leistungen erhalten zu haben: „Der Betreuungszuschlag wurde abgebucht, nur meinen Notrufknopf bekam ich nicht“, sagt eine Mieterin.

„Pro Vital“-Geschäftsführer Jörg Kruse bestreitet die Vorwürfe: „Das sind doch alles Hirngespinste. Dass der Betreuungsvertrag an den Mietvertrag gekoppelt ist, wussten die Mieter, und das ist auch rechtens so.“ Der fehlende Notrufknopf sei vermutlich auf einen fehlenden Telefonanschluss zurückzuführen, „dann ist der Betrieb eines solchen Systems nicht möglich“. Stimmt aber nicht: Die Mieterin hat Telefon und bekommt jetzt auch endlich ihren Notrufknopf.

Richtig sauer ist Hausbewohner Rainer Daniel (67). „Für meine Rollstuhlfahrerwohnung muss ich gar keinen Betreuungsvertrag abschließen.“ Dennoch sei er mehrfach von „Pro Vital“ angerufen worden: „Die Dame ist richtig laut und frech geworden. Aber ich lass’ mir doch nicht so einen Unsinn aufschwatzen.“

Auf der jüngsten Mieterversammlung nahm eine Mitarbeiterin der Hausverwaltung Keye nun erstmals seit dem Brand am 16. August (zehn Verletzte) die vielen Beschwerden der Mieter auf, darunter bauliche Mängel und Kritik an der Hausverwaltung, die ihren Pflichten nicht nachkomme. Unsere Zeitung war bei der Versammlung trotz Einladung der Mieter nicht erwünscht – zwei kräftige Männer begleiteten den Reporter freundlich zur Ausgangstür.

Dass sich die Situation der Mieter bessert, scheint zunächst nicht in Sicht: „Es hieß, wenn mir etwas nicht passt, könne ich ja ausziehen“, bedauert die 68-jährige Heidemarie Weber.