Hamburg. Lärm ist subjektiv: Der Biker findet Motorenblubbern schön, Deichanwohner eher lästig. Auch Rennradfahrer sorgen für Beschwerden.
Motorradlärm am Hauptdeich nervt die Anwohner in den Vier- und Marschlanden seit Jahrzehnten. Die Polizei reagiert nun auf rücksichtslose Raser mit verschiedenen Maßnahmen: Zum einen setzt sie auf Einsicht, zum anderen wird verstärkt kontrolliert, berichtet Axel Kleeberg, Chef der Bergedorfer Verkehrspolizei.
Bikerlärm auf dem Deich sorgt für Frust bei den Anwohnern
In diesem Jahr seien nur zwei Beschwerden über Motorradlärm auf den Hauptdeichen eingegangen, teilt Kleeberg mit. Die Polizei erfasse als zuständige Straßenverkehrsbehörde Beschwerden nach Straßen geordnet: „Für jede Straße gibt es eine Akte.“ Auch die vergangenen Jahre habe es nur „eine Handvoll Beschwerden“ gegeben. „Allerdings werden mündliche Beschwerden, die die Polizeiposten und die Kollegen der Kradstaffel erreichen, nicht schriftlich erfasst“, sagt der 58-Jährige. „Aber wir wissen auf diese Weise natürlich, was los ist und haben einen Überblick über die Gesamtsituation.“ Mehr Beschwerden würden Rennradfahrer auf den Haupt- und Nebendeichen provozieren.
Seit Februar gab es neun Verkehrskontrollen auf dem Hauptdeich
Insgesamt sei der Ausflugsverkehr – Autos, Motorräder, Fahrräder – wegen der Pandemie an heißen Sommertagen stark gestiegen, vor allem in den Ferien und an Wochenenden werden Hotspots wie die Badeseen, die Boberger Niederung und der Fähranleger Zollenspieker verstärkt angesteuert. „Deshalb haben wir unsere Präsenz dort erheblich erhöht“, sagt Kleeberg.
Erste Konzepte der Polizei, um die angespannte Verkehrssituation in den Griff zu kriegen, seien bereits im vergangenen Jahr umgesetzt worden. „Denn schon 2020 kamen Busse und auch Rettungswagen kaum noch durch, weil zahlreiche Falschparker die Straßen blockierten.“ Deshalb habe es schon vor einem Jahr Straßensperrungen gegeben, wurde die Polizeipräsenz erhöht.
14 Lasermessungen im Landgebiet – 100 waren zu schnell
Kleeberg, der fast 25 Jahre in den Vier- und Marschlanden gewohnt hat, wisse aus eigener Erfahrung, wie nervig Motorradlärm sein kann: „Wer sonntags mit dem Fahrrad über den Hauptdeich fährt, kann sich aufgrund der Lautstärke kaum mit seiner Begleitung unterhalten.“ Die Biker müssten deshalb mit gezielten Kontrollen rechnen. Dabei gehe es um Lärm und Geschwindigkeit, aber auch um das allgemeine Fahrverhalten und den technischen Zustand der Maschinen. Die fünf Beamten der Kradstaffel, die Auf dem Sülzbrack beim Polizeiposten Zollenspieker stationiert ist, seien täglich auch auf dem Hauptdeich unterwegs, um Fehlverhalten anderer Biker zu ahnden.
Seit Februar 2021 habe es auf dem Hauptdeich „neun gezielte Verkehrskontrollen durch verschiedene Kräfte“ des Polizeikommissariats 43 gegeben. 146 Biker wurden kontrolliert, diverse Strafanzeigen und Mängelmeldungen seien angefertigt worden. Bei 14 Lasermessungen in dieser Saison im Landgebiet seien rund 100 von etwa 400 gemessenen Motorrädern und Autos zu schnell gewesen. Unterstützt werden die Bergedorfer Polizisten insbesondere von der Verkehrsdirektion 4 in Harburg, der Verkehrsdirektion 2 (Innenstadt/West) mit ihren ProVida-Krädern und der Verkehrsdirektion 3 (Ost) mit der Kontrollgruppe Autoposer, die ebenfalls die Fahrzeuge auf den Deichen kontrollieren. Sie sind meist in zivil mit schnellen, sogenannten ProVida-Fahrzeugen unterwegs, die die Geschwindigkeit mit Videokameras messen.
Auch die Auto-Cruiser-Szene, die sich im Sommer regelmäßig an der Aral-Tankstelle im Gewerbegebiet Allermöhe trifft, hat die Polizei stets im Blick. „Wir sind vor Ort, um illegale Rennen zu verhindern“, sagt Kleeberg.
Vertrauen aufbauen und um Verständnis werben
Die Verkehrspolizei setze zudem auf „gezielte Info-Aktionen“: „Es geht darum, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, um Verständnis zu werben, Vertrauen aufzubauen und zu sensibilisieren – ohne erhobenen Zeigefinger“, erklärt Timo Rust. Der 53-Jährige leitet in der Verkehrsdirektion 6 den Bereich Prävention und Verkehrserziehung. „Schließlich wohnt jeder irgendwo. Und jeder ist gelegentlich von verschiedenen Lärmquellen genervt, mehr oder weniger. Da ist die Wahrnehmung sehr subjektiv“, sagt er. Die Deich-Anlieger würden aber täglich mit Lärm konfrontiert. „Die Biker mögen das Kreischen und Blubbern ihrer Maschinen, aber sie sind nur einer von vielen, die täglich an den Häusern der Anwohner vorbeifahren.“
Am Zollenspieker Fähranleger gibt es zu Beginn und zum Ende der Motorradsaison Info-Aktionen, „aber auch weitere Aktionen wie im Juni in Zusammenarbeit mit der Initiative ,Deutscher Verkehrssicherheits-Rat’, betont Rust. Danach seien die Biker, zumindest in den kommenden Stunden, tatsächlich rücksichtsvoller unterwegs, weiß Rust. „Ansonsten kann man die Auswirkung der präventiven Arbeit nur schwer messen.“
Lärmgrenze für neu zugelassene Motorräder liegt bei 77 Dezibel
Die Lärmbelästigung sei auch nicht immer eine Frage der Geschwindigkeit: Beschleunigung kann ebenso nerven wie ein Motorrad, das bei 50 Kilometern pro Stunde im zweiten Gang gefahren wird. Die als Fahrgeräusch zugelassene Lärmgrenze für neu zugelassene Motorräder liege bei 77 Dezibel. Die Lautstärke-Messung sei aufwendig, werde bei verschiedenen Geschwindigkeiten und Gängen auf einer speziellen Messstrecke vorgenommen.
Das Problem: „Die Lärmemissionen der Bikes sind in der Praxis während der Fahrt oft lauter als 77 Dezibel und dies kann von der Polizei nicht überprüft werden“, sagt Rust. Das zweite im Fahrzeugschein vermerkte Geräusch ist das Standgeräusch. „Dies wird bei einigen Kontrollen von der Polizei überprüft.“
Die europäische Gesetzgebung mache die Eingrenzung von Motorradlärm allerdings schwer, betonen die leitenden Beamten. Denn für den Auspuffendtopf („Tüte“) gibt es EU-weite Zulassungen „und manche Hersteller bauen die ,Tüten’ so, dass das Standgeräusch bei einer Messung im gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen ist, aber bei höherer Drehzahl sehr laut wird“, sagt Rust. Schließlich gehe es den Herstellern auch um Motorleistung. Das sei legal, aber für manchen Anwohner ärgerlich. Beschränkungen seien nur auf politischer Ebene möglich.