Hamburg. Obdachlose beziehen Zimmer im Hotel am Kurfürstendeich in Allermöhe. Bergedorfer Helfer benötigen Geldspenden für die Unterbringung.

Das hübsche Haus mit Garten, die Autos, der feste Job und die Familie mit Kindern ... Es war ein Bilderbuchleben der bürgerlichen Geborgenheit – wenn nicht irgendwann die Sicherung durchgeknallt wäre. „Ich hatte plötzlich keine Kraft mehr.“

Es folgen Worte wie „eigentlich“ und „irgendwie“ und „alles egal“. Dann kalte Nächte auf der Straße, nasse Schlafsäcke, Tage ohne Wasser, mit gammeligem Weißbrot. Mit Ängsten und Einsamkeit. Wie könnte die Spezies Mensch überleben, wäre da nicht noch ein kleiner Funke Hoffnung?

Wie die Obdachlosen Anke und Daniel wieder Mut schöpfen

Wenn der Wind braust und Eisregen fällt, ist „My Bed“ ein großer Traum, der Wärme und Ruhe verspricht. So heißt das Hotel am Kurfürstendeich in Allermöhe, wo sich derzeit zehn Obdachlose in Einzelzimmern wohlfühlen. Sie alle könnten eine Geschichte vom bürgerlichen Leben erzählen, aber längst nicht jeder vermisst seine Vergangenheit.

Das wissen auch die ehrenamtlichen Helfer der „Bergedorfer Engel“, die für Sozialromantik wenig Zeit haben: Alle zwei Wochen verteilen sie kostenlose Kleidung und Lebensmittel auf der Reeperbahn, zudem werden eifrig Spenden gesammelt.

Eine Nacht im Hotelzimmer kostet 30 Euro, 900 Euro im Monat

„Für eine Nacht im Hotel brauchen wir 30 Euro, also 900 Euro im Monat. Und gern würden wir zwei weitere Obdachlose am Kurfürstendeich unterbringen, wenigstens noch bis März“, sagt der Vereinsvorsitzende Thorsten Bassenberg. Weder Schlafsäcke noch Konserven mit Kartoffelsuppe sind gefragt, sondern Geld. Für das Hotel, für Fahrscheine und Lebensmittelgutscheine.

Bergedorfs soziale Beratungsstelle kennt die bedürftigen Obdachlosen aus der Region, ebenso die Caritas und die Diakonie. „Wir kümmern uns um die Betreuung“, sagt Johan Graßhoff, der bei Jobcenter-Anträgen hilft, bei der Wohnungs-, Arzt- und Arbeitssuche.

In Bergedorf fehlt eine Tagesaufenthaltsstätte, die Sozialbehörde blockt

Johan Graßhoff (32), Straßensozialarbeiter, sagt: „Viele Obdachlose haben das Vertrauen in unser Hilfesystem und in sich selbst verloren.“
Johan Graßhoff (32), Straßensozialarbeiter, sagt: „Viele Obdachlose haben das Vertrauen in unser Hilfesystem und in sich selbst verloren.“ © Anne Strickstrock

Seit sieben Jahren kennt der Straßensozialarbeiter, der Soziologie und Osteuropa-Wissenschaften studiert hat, die Szene: „Viele Obdachlose haben das Vertrauen in unser Hilfesystem und in sich selbst verloren. Und sie wollen nicht in eine Massenunterkunft vom städtischen Winternotprogramm. Nicht allein wegen der Corona-Abstände, sondern weil es dort laut ist und sie sich nicht sicher fühlen.“

Der Bedarf an Hotelzimmern sei „riesig“, meint der 32-Jährige und ergänzt: „In Bergedorf ­brauchen wir auch unbedingt eine Tagesaufenthaltsstätte. Die Politik unterstützt das, aber leider blockt die Sozialbehörde.“

Altenpflegerin schiebt nach der Scheidung als alleinerziehende Mutter Doppelschichten

Behörden und Ämter, Formulare und offene Rechnungen sind für Anke ein Graus. „Ich habe seit Monaten meine Post nicht mehr geöffnet“, gesteht die Altenpflegerin. Doppelschichten, dazu vier Putzjobs nach der Scheidung, alleinerziehend mit zwei Söhnen in der Nähe von Bremen. So sah ihr Leben aus, bevor die Sicherung durchbrannte. Nennen wir es Burnout, das klingt nach harter Leistung. Und nach Überforderung. Und nach Scham.

„Ich bin einfach aus dem Hamsterrad gefallen, wurde depressiv und lag monatelang nur im Bett“, erzählt die 47-Jährige. In der vierwöchigen Therapie wurde ihr klar, dass die Säulen schon zu wackeln anfingen, als sie ihre kleine Schwester „an den Blutkrebs verloren“ hatte.

Nach der Trennung verbringt Daniel die Nächste im Bunker oder vor Karstadt

Noch immer glüht ein Hoffnungsfunke: „Ich will mein Leben wieder in den Griff kriegen“, sagt Anke, nachdem sie vor 13 Monaten Daniel traf, in der Psychiatrie von Osnabrück. „Ich sehe vielleicht von außen hart aus, bin aber sehr gefühlvoll“, betont der Mann, der sich das Leben nehmen wollte. Nachdem er mit den Eltern von Polen nach Lohbrügge gezogen war, die Meisterschule für Schlosser bestand, sich in eine Frau mit drei Kindern verliebte und in Bleckede zehn Jahre lang selbstständig war.

Treppen, Geländer und Zäune aus Edelstahl sind sein Metier. „Ich hatte wohl zu sehr die Arbeit im Kopf und keine Zeit, das Leben zu genießen“, sagt der 43-Jährige, der nach der Trennung die Werkstatttür hinter sich zuzog und einfach abhaute. In einem Bunker, unter den Elbbrücken und vor Karstadt in der Mönckebergstraße verbrachte er die Nächte: „Einen Meter vor der Tür ist es da noch ein bisschen warm.“

Das Paar wünscht sich eine bescheidene Ein-Zimmer-Wohnung in Bergedorf

Sie hätte dieses Leben draußen nicht mehr lange ausgehalten, meint Anke – nicht nur mit Blick auf ihre Bandscheiben: „Das Hotelzimmer hier und unsere Liebe bringen Licht in mein Leben.“ Das Wort „Perspektive“ rückt vorsichtig in den Fokus – trotz Depression und Privatinsolvenz.

Das Paar wünscht sich eine bescheidene Ein-Zimmer-Wohnung in Bergedorf. Mit ein bisschen Struktur und klaren Köpfen könnte es noch einmal funktionieren: „Ich vermisse das normale Leben“, sagt Daniel. Und mit ihren Berufen würden sie bestimmt auch eines Tages wieder Arbeit finden, ist sich Anke sicher: „Dann gehören wir wieder zur Gesellschaft.“

Das Spendenkonto der „Bergedorfer Engel“ bei der Vierländer Volksbank:DE28 2019 0109 0089 0600 90