Hamburg. Das Ende der politischen Karriere von Olaf Scholz ist nah. Wie konnte dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister das passieren?
Die vergangenen Tage hat Olaf Scholz viel an einem seiner Lieblingsplätze im Bundeskanzleramt verbracht. Es ist der Stuhl ganz links außen an dem langen Tisch, der in seinem Büro steht. Hier lässt er sich gern nieder, wenn er Gäste empfängt, weil er, O-Ton Scholz, „auch mal aus dem Fenster gucken kann“, wenn es langweilig wird. Am 6. November wurde es das nicht, im Gegenteil.
Kurz nachdem der Bundeskanzler ausgerechnet Donald Trump zur (Wieder-)Wahl gratulieren musste, sah er sich gezwungen, die eigene Regierung zu beenden: Er warf den Mann raus, der ihm in dieser Woche mehr als einmal an dem Tisch gegenübergesessen hatte. Die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner war sowohl das Ende der Ampel-Regierung als voraussichtlich auch des Kanzlers Olaf Scholz. Wie konnte es so weit kommen? Woran ist der in Hamburg als „König Olaf“ geachtete Mann gescheitert, der noch vor wenigen Monaten im Kanzleramt mit Vertrauten darüber flachste, dass der ganze Wahnsinn im September 2025 von vorn beginnen würde? Scholz glaubte fest an seine Chance, vier weitere Jahre Kanzler bleiben zu dürfen. Und jetzt das.
Olaf Scholz: „Ich will Bundeskanzler werden, nicht Zirkusdirektor“
Wer sich auf die Suche nach den Gründen für diese Entwicklung begibt, landet beim Bundesverfassungsgericht, bei Christian Lindner und Angela Merkel – und bei den innersten Überzeugungen von Olaf Scholz, die ihn jahrzehntelang getragen haben, die am Ende aber nicht mehr gestimmt haben. „Ich will Bundeskanzler werden, nicht Zirkusdirektor“, hat er vor der Bundestagswahl 2021 gesagt, als wüsste er, was in einer Dreierkoalition mit den Grünen und der FDP auf ihn zukommt.
Scholz hat zuletzt immer mal wieder darauf hingewiesen, dass es eigentlich schon ein Erfolg gewesen sei, die Ampel-Regierung überhaupt hinbekommen zu haben. Angela Merkel war das in der Jamaika-Variante, also mit CDU, FDP und Grünen, nicht gelungen, weil Christian Lindner am Ende der Koalitionsverhandlungen fand, dass es besser sei, „nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Scholz wusste, was auf ihn zukommt: FDP und Grüne/SPD passen grundsätzlich nicht zusammen, Lindner gab sich von Anfang gar keine Mühe, etwas anderes zu behaupten.
Nach der Wahl 2021 sagte er in einem Gespräch mit dem Abendblatt: „Ich wollte nicht mit Olaf Scholz als Kanzler regieren. Von den Inhalten her ist der Unterschied zwischen der FDP einerseits und den Grünen / der SPD andererseits nicht geringer geworden. Wir haben in der Verantwortung für diesen Staat professionell zusammengefunden, wir haben ein Vertrauensverhältnis, wir haben uns vielleicht auch neu kennengelernt. Aber eine natürliche Partnerschaft war das nicht. Die Ampel ist unverändert ein Zweckbündnis.“ Das war die unsichere Basis, die von Beginn der Ampel an dazu führte, dass mindestens unter Berliner Politikjournalisten seit Jahren wenig so oft diskutiert wurde wie die Frage, wie lange diese Regierung hält. Heute wissen wir: etwas mehr als drei Jahre.
Kleineren Koalitionspartnern so viel Platz im Scheinwerferlicht lassen wie irgend möglich
Scholz wusste also, dass die Gemeinsamkeiten überschaubar waren. Seine Strategie: Er wollte den anderen, kleineren Koalitionspartnern so viel Platz im Scheinwerferlicht lassen wie irgend möglich, ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie gesehen werden und ihre politischen Ziele durchsetzen können. Damit hatte er bei der rot-grünen Koalition in Hamburg gute Erfahrungen gemacht. In Berlin scheiterte der Plan, weil weder Robert Habeck noch Christian Lindner so pflegeleicht waren wie etwa Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank. Schnell sah es für die interessierte Öffentlichkeit so aus, als könnten der Grüne und der Liberale machen, was sie wollen, als hätte der Kanzler die beiden nicht im Griff. Die an sich gute, Idee, den anderen politische Erfolge und Aufmerksamkeit zu gönnen, verfing nicht. Im Gegenteil: Schnell geriet Scholz in den Ruf, doch nicht so führungsstark zu sein, wie er das behauptet hatte. Der oft zitierte Satz „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“ wurde zu einer Belastung.
Was allein nicht zum Ende der Ampel-Koalition geführt hätte, wenn es das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt vor gut einem Jahr nicht gegeben hätte. Das war der Anfang vom Ende und eine entscheidende Wende in der politischen Karriere von Scholz. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er, der wenig charismatische und etwas dröge daherkommende Kanzler, immer damit punkten können, dass er zwar nicht so gut reden kann wie andere, dafür aber immer genau weiß, was er macht.
„Es ist auch nicht ehrenrührig, dass man bei einer Kanzlerkandidatur die Kompetenz in den Vordergrund stellte“, hatte Bestseller-Autor Robin Alexander („Die Getriebenen“) das genannt. Diese Kompetenz, die Sachkenntnis verbunden mit einer unermüdlichen Einarbeitung in alle politischen Vorgänge, war es, die Scholz zu dem gemacht hatte, was er war. Das war sein Vorteil gegenüber anderen Politikern – zumindest bis zum November 2023. Dass das Verfassungsgericht den Haushalt kassierte, weil die Ampel geplant hatte, Gelder, die ursprünglich für die Bekämpfung der Corona-Pandemie vorgesehen waren, für den Klimaschutz auszugeben, war für Scholz der größte anzunehmende Rückschlag. Einerseits, weil damit sein Image als Mann, der weiß, wie es geht, schweren Schaden nahm. Andererseits, weil es all das Geld, mit dem man die Differenzen zwischen den Ampel-Partnern zudecken wollte, auf einmal nicht mehr gab. Eigentlich hätte man das „Fortschritts“-Projekt damals für beendet erklären können, vielleicht sogar müssen.
Olaf Scholz machte weiter, als sei nichts passiert – typisch für ihn
Dass Scholz fast weitermachte, als sei nichts passiert, ist typisch für ihn. Er hatte eine Eigenschaft, die wahlweise bewundernswert oder verwirrend ist: Der Kanzler guckt nie zurück, sondern immer nur nach vorn, so als gäbe es Rückschläge wie das Gerichtsurteil (oder G20 in Hamburg oder sein Scheitern bei der Wahl zum SPD-Vorsitzenden) nicht. Dass erklärt unter anderem auch, warum er bis zuletzt bester Laune und sicher war, dass er die Bundestagswahl 2025 erneut gewinnen werde: „Gegen Friedrich Merz verliere ich nicht“, sagte er öfter. Das wird sich, Stand heute, als Irrtum herausstellen.
Kritiker von Olaf Scholz sagen gern, dass er die Bundestagswahl 2021 nur wegen der Fehler seiner Gegenkandidaten Armin Laschet und Annalena Baerbock gewonnen habe. Ich glaube, das stimmt nicht: Scholz hat die Wahl gewonnen, weil er anders als CDU/CSU und Grünen einen klaren Plan hatte, der zu 100 Prozent aufgegangen ist. Der Plan war, als „männlicher Merkel“ das Erbe der damals beliebten Kanzlerin anzutreten. Was Scholz nicht schwergefallen ist, weil er in vielen Punkten wie seine Vorgängerin ist: Beide sind Arbeitstiere, beide waren Außenseiter in ihren Parteien, sind keine besonders guten Redner. Sie mögen es nicht, wenn sich andere wie Schauspieler oder Popstars inszenieren, sie wollen ernsthaft und ernst zu nehmende Politiker sein und nicht Politik-Darsteller. Damit hat es Merkel auf 16 Jahre Kanzlerschaft gebracht, daran wollte Scholz anknüpfen.
Olaf Scholz wollte ein „männlicher Merkel“ sein – das ist ihm nicht gelungen
Dass das nicht gelungen ist, hat zwei Gründe: Erstens ist das Bild auf die Merkel-Jahre durch all die Versäumnisse, die in der jüngeren Vergangenheit zutage traten, mehr als getrübt. Zweitens scheint die Zeit eher stiller Politiker, die ihre Arbeit machen und hin und wieder Zwischenstände geben, in einer überkommunikativen und meinungsfreudigen Zeit wie der unseren ein für alle Mal vorbei. Soll heißen: Einer wie Scholz, der stolz darauf ist, so zu sein, wie er ist, wirkt drei Jahre nach seiner Wahl wie aus der Zeit gefallen – zumindest wenn er nicht so redet wie bei der Entlassung von Christian Lindner am 6. November.
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Der FDP-Vorsitzende hat einmal, siehe oben, gesagt, dass er „eigentlich nicht mit Herrn Scholz“ regieren wolle, und lange so getan, als kämen die beiden nicht besonders gut zurecht. Das stimmte nicht, man hatte sich auch vor der Ampel-Regierung schon mal privat getroffen; zwischendurch war das Verhältnis von Scholz zu Lindner besser als das von Scholz zu Habeck. Was die beiden am Ende unterschied: Scholz war bis vor Kurzem fest entschlossen, die Legislaturperiode zu Ende zu bringen, auch weil er die Hoffnung hatte, die Sache noch drehen zu können. Dass alle Menschen ihm vorhersagten, dass er keine Chance bei der Wahl 2025 haben würde, bestätigte ihn darin noch – denn schließlich hatte auch 2021 niemals an ihn geglaubt.