Hamburg. Unsere Volontärinnen und Volontäre stellen sich und ihre ersten Erfahrungen in Hamburg vor. Heute: Irina Finke über das Radfahren in der City.

Schon von klein auf sind meine Familie und ich viel Fahrrad gefahren. Mein Vater erzählt noch heute davon, wie meine Mutter – hochschwanger mit mir und meinen Bruder hinter sich im Kindersitz – ihre Runden um den Stadt-See gedreht hat. Rund 20 Jahre später und 400 Kilometer weit von diesem erinnerungsträchtigen See entfernt, lebe ich jetzt in Hamburg. An der Hansestadt liebe ich vieles, doch in Bezug auf das Fahrradfahren stehe ich mit der Stadt auf dem Kriegsfuß.

Es beginnt bei der Lagerung des Fahrrads. Mein Drahtesel ist alt und schwer, und ich bin zwar jung, aber eher schwach. Mein Rad mit in die Wohnung nehmen, geht also nicht. Einen Fahrradkeller sucht man in meinem Haus vergeblich, und einen Innen- oder Hinterhof haben wir nicht. Auch eins von den charmanten Fahrradhäuschen, die bald aus dem Hamburger Stadtbild verschwinden sollen, ist in der Nähe meiner Wohnung nirgends zu sehen.

Fahrradfahren in Hamburg: geklaut wird alles, das nicht niet- und nagelfest ist

Mein Fahrrad steht deswegen ungeschützt vor Wind, Wetter und Vagabunden (für die perfekte Alliteration muss man den Satz laut lesen) einfach an einer großen, viel befahrenen Straße. Der Lenker ist mittlerweile geziert von Rost, und auch der Gepäckträger sieht nicht besser aus. „Tja, da hat sie wohl einfach Pech“, würde da wohl der eine oder andere denken, und recht haben. Doch neben Pech plagt mich und mein Fahrrad auch etwas anderes: hobbylose, vielleicht auch verzweifelte, Menschen mit zu viel krimineller Energie.

Einen persönlichen Kontakt mit solchen Menschen hatte ich letzten September. Tiefenentspannt, mit leichtem Sonnenbrand, kam ich damals aus dem Urlaub zurück. Es wurde ausgepackt, gewaschen und geputzt – alles Dinge, die ich tatsächlich gerne mache. Obwohl ich auch sehr gerne koche, hasse ich es, einkaufen zu gehen. Trotzdem musste es an dem Tag nun mal sein, einen Weg drumherum gibt es selten. „Immerhin kann ich das Fahrrad nehmen“, dachte ich mir. Auf ein wenig Wind um die Nase und die Option, meine Einkäufe nicht tragen, sondern schieben zu können, freute ich mich.

Fahrrad-Ersatzteile Hamburg: wer neu kauft, kauft teuer

Doch was noch weniger Spaß macht, als sich zum Supermarkt zu schleppen, ist zu merken, dass das Fahrrad, welches das erleichtern sollte, keinen Sattel mehr hat. Immerhin haben sich vielleicht ein paar Leute bei dem Anblick amüsiert, wie ich auf einem sattellosen Fahrrad im Stehen tretend zur nächsten Werkstatt geeiert bin. „Ist das überhaupt erlaubt?“, fragte ich mich. Die Antwort bis heute: unsicher.

Der neue Sattel, eine neue Sattelstange und die Permanentmontage kosteten mich am Ende über 70 Euro. So weit, so nervig, denn es handelte sich sogar um gebrauchte Ersatzteile. Andernfalls hätte ein neuer Sattel mit allem Drum und Dran über 200 Euro gekostet. Damals habe ich mein Fahrrad selten genutzt und war nicht zwangsläufig darauf angewiesen. Doch was wäre gewesen, wenn ich es jeden Tag gebraucht hätte, um zur Arbeit zu kommen? Dann hätte ich Geld für ein Bahnticket ausgeben müssen, um an den Ort zu kommen, wo ich Geld verdiene, das ich brauche, um mein Fahrrad wieder fahrtüchtig zu machen, was ich eigentlich brauche, um dahin zu kommen, wo ich das Geld wieder verdienen kann.

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Den neuen Sattel hat bisher niemand geklaut, und er ist sogar bequemer als der alte. Wenn ich auf den löchrigen, hügeligen, mit Müll und Scherben dekorierten Hamburger Fahrradwegen unterwegs bin, sitze ich wie eine Eins. Auf dem neuen Sattel ist es sogar so bequem, dass ich kaum merke, wie mir die Büsche und Äste, die in den Fahrradweg ragen, gegen Arme und Gesicht peitschen.

Nach dem Sattel war dann noch der Fahrradkorb dran. Für einen Fahrradsattel bekommt man wohl auf dem Flohmarkt noch circa 15 Euro, aber ein Fahrradkorb kostet neu kaum so viel. An jeder Ecke in Hamburg liegen verwaiste Räder, oft auch mit Körben, herum: wieso dann meinen Korb klauen? Eine Antwort werde ich vermutlich nie bekommen.

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Obwohl die schönste Hansestadt der Welt mit allen Mitteln zu versuchen scheint, mir das Fahrradfahren zu vermiesen, lasse ich mir die Freude am Radfahren nicht nehmen. Egal, ob bei Schietwetter oder bei Sonnenschein: wenn die Möwen über meinem Kopf kreischen und der Wind mir durch die Haare fährt, würde ich mit niemandem in der Bahn tauschen wollen.