Hamburg. Klimawandel und Reiselust stellen das Gesundheitssystem vor Herausforderungen – das Bernhard-Nocht-Institut stellt sich der Aufgabe

Klimawandel und Reiselust bringen immer neue Krankheiten nach Deutschland. In Hamburg gibt es mit dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) eine Forschungseinrichtung, die all dies für unsere Gesundheit erforscht. Im Podcast „Komplizen für die Zukunft“, in dem das Hamburger Abendblatt gemeinsam mit der Hamburger Volkshochschule wichtige Institutionen und Menschen für die Zukunft unserer Stadt vorstellt, spricht Abendblatt-Redakteur Berndt Röttger mit dem Arzt und BNITM-Abteilungsleiter Prof. Jonas Schmidt-Chanasit über Tigermücken, Laufzecken, Flughafenmalaria – und die Arbeit des BNITMs.

Prof. Jonas Schmidt-Chanasit über…

…die Entstehung des Bernhard-Nocht-Institutes:

Hauptaufgabe des Instituts bei der Gründung war ursprünglich die Ausbildung von Ärzten für die deutschen Kolonien. Natürlich wurden auch damals Krankheiten nach Hamburg importiert, aber natürlich bei Weitem nicht in dem Maße, wie sie heutzutage importiert werden. Der Beginn des Düsenflugzeug-Zeitalters in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war ein Wendepunkt auch für uns in der Infektionsmedizin. Mit den Flugzeugen haben die Pathogene, also die Krankheitserreger, ihren Siegeszug um die Welt angetreten – und der Auftrag des BNITM hat sich seit der Gründung stark verändert.

122021_808_cover.jpg

Von Tigermücken, Laufzecken und Flughafen-Malaria

Komplizen für die Zukunft

…die Bedeutung der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern:

Bei Themen wie bisher unbekannten Infektionserregern und Tropenkrankheiten müssen wir natürlich aufpassen, keine Angst oder Panikmache zu betreiben, sondern die Menschen mitzunehmen. Aus meiner Sicht ist es ganz entscheidend, die Menschen für eine Bürgerwissenschaft, die sogenannten Citizen Science Programme, zu begeistern. So gibt es zum Beispiel den Mückenatlas in Deutschland. Hier kann jeder eine zu Hause erlegte Mücke einschicken. Dann wird die Mückenart bestimmt und die Mücke teilweise auch auf Krankheitserreger untersucht. Auf einer Website kann man dann sehen, wie sich bestimmte Arten verbreiten.  Die Erforschung der Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Gesundheit können wir viel besser mit der Beteiligung der Bevölkerung bewerkstelligen. Nur so können wir große Gebiete Deutschlands abdecken und verstehen, wie sich zum Beispiel invasive Stechmücken ausbreiten und welche Gefahren von ihnen ausgehen.  

Die asiatische Tigermücke (Aedes albopictus).
Die asiatische Tigermücke (Aedes albopictus). © Getty Images/iStockphoto

…die Tigermücke:

Die Tigermücke ist in Europa schon seit mehreren Jahrzehnten ein Thema. Sie ist das erste Mal 1979 – also in meinem Geburtsjahr – in Europa gefunden worden. Damals wurde die Mückenart in Albanien mit Warenhandel aus China eingeschleppt. Mittlerweile gibt es diese invasive Stechmücke fast überall in Südeuropa und insbesondere in den Ländern des Mittelmeerraumes. Italien ist voller Tigermücken. Wer vielleicht im Sommer in Italien Urlaub gemacht hat, dem ist vielleicht aufgefallen, dass die Mücken dort auch tagsüber sehr stark Menschen attackieren. Tigermücken sind auch tagaktive Mücken. Ganz unabhängig davon, ob hier Krankheitserreger übertragen werden, entstehen dadurch ganz salopp gesagt wirtschaftliche Schäden, denn ich kann zum Beispiel nicht mehr so entspannt meinen Cappuccino in Florenz trinken… Das zeigt noch mal das Problem dieser invasiven Arten.  Ob man von einer „normalen“ einheimischen oder einer Tigermücke gestochen wird, macht übrigens keinen Unterschied. Zur Unterscheidung: Die Tigermücke ist sehr klein, kleiner als viele einheimische Arten – und sehr schwarz. Unsere einheimischen Arten sind eher gräulich-bräunlich.

...das richtige Mittel gegen Mückenstiche:

Wenn man gestochen wurde, empfehle ich Hitzestifte, die mildern den Juckreiz und führen dazu, dass man die Stiche weniger aufkratzt. Das führt auch zu weniger bakteriellen Superinfektionen. Aber: Die Hitzestifte müssen sehr zeitnah angewandt werden.

„Die Laufzecke verfolgt ihre Opfer mit großer Geschwindigkeit.“

Prof. Jonas Schmidt-Chanasit

...gefährliche Laufzecken:

Zwei weitere neue Arten bei uns sind die Auwaldzecke und die Hyalomma-Zecke. Das sind Laufzecken. Während unsere heimischen Zecken auf ihre Opfer warten und mitgerissen werden, verfolgt die Laufzecke ihre Opfer mit einer großen Geschwindigkeit. Diese neuen Arten bei uns sind Herausforderungen, die durch den Klimawandel aber eben auch durch den Reiseverkehr entstehen. Und diesen Herausforderungen müssen wir uns stellen.

...das Bernhard-Nocht-Institut und die Weiterbildung der Hausärzte:

Die Weiterbildung von Hamburger Medizinerinnen und Medizinern ist eine Aufgabe, die wir schon seit Jahrzehnten wahrnehmen. Es gibt zum Beispiel einen Tropenkursus bei uns. Hier bilden wir Kolleginnen und Kollegen weiter, die dann auch in den Tropen tätig werden, aber eben auch Kollegen, die in Hamburg reisemedizinisch beraten wollen. Das gewinnt eine immer größere Bedeutung: Immer mehr Menschen verreisen gerade auch in die Länder des globalen Südens. Die Hausärzte müssen zum Beispiel in der Infektiologie weitergebildet werden. Das ist eine wichtige Tätigkeit für uns als Institut.  

Das sind die „Komplizen für die Zukunft“

Den Podcast können Sie unter www.abendblatt.de/podcast/komplizen-fuer-die-zukunft sowie in der eigenen Podcast-App des Hamburger Abendblatts und auf allen gängigen Podcast-Plattform hören. Mehr Infos zu den Veranstaltungen: www.vhs-hamburg.de/komplizen

Der Podcast erscheint alle 14 Tage jeweils donnerstags mit einer neuen Folge. Was verbirgt sich hinter „Komplizen für die Zukunft“? Die Idee zu der Reihe ist in der Vorbereitung des 100. Geburtstages entstanden, den die Volkshochschule 2019 gefeiert hat.

Zu den teilnehmenden Institutionen und Personen der vergangenen Jahre gehörten unter anderem Hamburgs Oberbaudirektor, das Tropeninstitut, das Ohnsorg-Theater, die Obdachlosen-Initiative „Hinz&Kunzt“, der Otto Versand, das Museum der Arbeit, Schulsenator Ties Rabe, Bezirksamtsleiter, aber auch viele kleinere Stiftungen und Initiativen.

Über Malaria in Deutschland…

Die Malaria-Forschung ist ein weiterer Hauptschwerpunkt des Instituts. Dabei geht es zum Beispiel um die Entwicklung neuer Impfstoffe und neuer Behandlungsmöglichkeiten. Denn wir sehen bei Malaria z.B. auch eine Resistenzentwicklung. Und was ganz spannend ist: Es ist noch gar nicht so lange her – bis in die 50er-Jahre – da gab es Malaria auch in Deutschland. Aber das Risiko für große Malaria-Ausbrüche in Deutschland und Europa ist heute sehr, sehr gering. Das liegt daran, dass wir in Europa die Möglichkeit haben und nutzen, Malaria-Infizierte sehr schnell zu therapieren. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges war das anders. Da kamen Rückkehrer aus Kriegsgebieten infiziert zurück. Die Städte waren mit den vielen Bombentrichtern perfekte Brutstätten für die einheimischen Anopheles-Stechmücken. Dadurch gab es in den 50er-Jahren im Emsland, aber auch in Berlin und Leipzig noch Malaria-Ausbrüche. Für Malaria braucht es keinen Klimawandel. Die Malaria-Mücke ist eine einheimische Art. Die gab es immer bei uns. Das Szenario, dass Malaria durch den Klimawandel im Mittelmeerraum eine große Relevanz bekommt, wird nicht eintreffen. Davon geht glücklicherweise kein Experte aus.

...Flughafen-Malaria:

Dennoch gibt es vereinzelt Fälle der sogenannten Flughafen-Malaria – also, dass zum Beispiel eine infizierte Stechmücke in ein Flugzeug fliegt, mitreist und dann bei uns am Flughafen herausfliegt und hier Menschen infiziert. Diese Fälle gibt es, aber es sind Einzelfälle.  

Blick über die Landungsbrücken auf die Skyline mit Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Tanzende Türme und den Deutschen Wetterdienst.
Blick über die Landungsbrücken auf die Skyline mit Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Tanzende Türme und den Deutschen Wetterdienst. © Hamburger Abendblatt | Thorsten Ahlf

...die Arbeit des BNITM in den Ländern des globalen Südens:

Hamburg ist unser Hauptstandort, aber ein wesentlicher Teil unserer Arbeit findet gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern in Ländern des globalen Südens statt. Wir arbeiten mit hervorragenden Laboren, Kliniken, Forschungseinrichtungen und Universitäten in Afrika, Südamerika und Asien zusammen. In Ghana betreibt die Universität von Kumasi mit uns seit 25 Jahren eine internationale Forschungseinrichtung für Tropenmedizin, das KCCR, auf der Grundlage eines Staatsvertrags zwischen Hamburg und der Republik Ghana. Weitere enge Zusammenarbeit gibt es mit Gabun und in Nigeria. Hier erforschen wir die Tropenkrankheiten und versuchen, die großen Unterschiede in der Versorgung zwischen Deutschland und den Ländern des globalen Südens zu verringern. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit: Solange diese Unterschiede bestehen, geht von dort eine große Gefahr von Infektionskrankheiten aus. Das heißt, um es mal deutlich zu machen: Wir erwarten nicht, dass die nächste große Pandemie in Bayern ausbricht, sondern natürlich in den Ländern des globalen Südens, wahrscheinlich in Asien oder in Südamerika.

Mehr zum Thema

...die aktuelle Corona-Lage:

Corona war ja nie weg, sondern war immer da und wird auch immer dableiben. In den vergangenen Wochen konnten wir überall einen Anstieg der Infektionszahlen beobachten. Insofern gehen viele davon aus, dass das Infektionsgeschehen schon seit einigen Wochen erhöht ist. Und das ist vielleicht gar keine schlechte Nachricht, denn wenn im Herbst das Infektionsgeschehen erhöht ist, gibt es vielleicht eine Phase der Ruhe und des schwächeren Corona-Infektionsgeschehens in den kritischen Wintermonaten? Wir wissen ja, dass nach einer kürzlich durchgemachten Coronavirus-Infektion zumindest für einen kleinen Zeitraum auch ein Infektionsschutz bestehen kann.

Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit fordert eine systematische Aufarbeitung der Fehler während der Corona-Pandemie.
Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit fordert eine systematische Aufarbeitung der Fehler während der Corona-Pandemie. © Funke Foto Services | Roland Magunia

...die Fehler während der Corona-Pandemie:

Darüber könnte man tagelang sprechen. Das muss systematisch von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften aufgearbeitet werden. Dann hat das einen Mehrwert und wir gehen gestärkt als Gesellschaft in die Zukunft. Aber lassen Sie mich drei Punkte aus meiner persönlichen Sicht herausgreifen. Erstens: Eine evidenzbasierte Medizin – also die nicht-pharmazeutischen Interventionen auf Grundlage von nachgewiesener Wirksamkeit. Das hat leider größtenteils nicht stattgefunden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den man analysieren muss. Wie konnte es dazu kommen?

Ein weiterer Punkt ist die Daten-Problematik. Wer wurde wann geimpft? Gab es das zentrale Register? Nein. Klinische Studien konnten auch nicht in der notwendigen Geschwindigkeit durchgeführt werden. Der dritte Punkt – und der ist ganz wichtig – ist die Patientenautonomie.  Der Patient hat ein Mitspracherecht. Während der Corona-Pandemie wurden viele ältere Menschen in den Pflegeheimen einfach weggesperrt und erklärt: Ihr könnt überhaupt nichts entscheiden. Ob ihr das Risiko für euch eingeht, etwa Besuch zu empfangen oder nicht. Nein, das wurde vorgeschrieben. Und das ist schrecklich, wie viele alte Menschen dort einsam sterben mussten.  Und in der Pandemie hat sich die soziale Ungleichheit noch verstärkt. Um ein Beispiel zu nennen: Die Familie mit der Villa und dem Pool konnte bestimmte Maßnahmen in der Pandemie ganz entspannt im Garten überbrücken, während es für die alleinstehende Mutter mit den drei Kindern in der Einzimmerwohnung kaum zu ertragen war. Das war hochproblematisch und wir müssen alle daran arbeiten, dass das nicht noch einmal passiert.