Hamburg. Bestechung? Die Freikarten-Affäre nach dem Konzert 2017 im Stadtpark beschäftigte mehrere Gerichte. Der Auftritt hatte ernste Folgen.
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Die Rolling Stones und ihre Skandale – ach Gottchen, ja. „Sex, Drugs and Rock ‚n’ Roll” steht drauf, „Sex, Drugs and Rock ‚n’ Roll” ist drin – und „Sex, Drugs and Rock ‚n’ Roll” kommt raus, wenn man sie bucht. Das funktioniert seit mittlerweile 60 Jahren Band-Geschichte. Hätte der Leiter des Hamburger Bezirksamtes Nord, Harald Rösler, das im Jahr 2017 wissen können, als sich die Rolling Stones auf ihre „No Filter“ Tournee begaben? Oder gar wissen müssen?
Was haben die inzwischen dezimierten Stones um ihre Gründer Mick Jagger und Keith Richards mit dem grünen Alsterdorf oder Winterhude am Hut? Darauf gibt es eine überraschende Antwort, wenn man sich die oft erzählte Story der „Greatest Rock ‚n‘ Roll Band in the World“ genauer anschaut. Harald Rösler hat jetzt seinen Platz darin. Er ging in den Ruhestand ein Jahr nach dem Konzert am 9. September 2017 im Stadtpark, wurde später angeklagt und verurteilt. Doch das war längst nicht das Ende der Geschichte.
Die Rolling Stones und ihre Hamburger Affäre
Immer da, wo die Rolling Stones auf einem Acker, einer Wiese oder am Strand aufgetreten sind, entfaltete sich ein besonderes, ja gar mythisches Dreieck zwischen der Band und ihrem Liveauftritt sowie dem besonderen Ort und dem Publikum. Das war 1969 im Londoner Hyde Park so, als kurz zuvor Mitgründer Brian Jones gestorben war; es war kurz darauf im kalifornischen Altamont so, als Hells Angels während der chaotischen Show einen Fan erstachen und die Band in Schockstarre spielte; und es geschah etwa bei den Mega-Konzerten an der Copacabana in Rio und in Havanna auf Kuba.
Hamburg 2017 war mehr als bloß Auftaktshow einer Europatournee. Es war nach den gigantomanischen Konzerten von David Bowie (1987) und Pink Floyd (1989) mit ihren üblen Folgen für Rasen und Buschwerk der neuerliche Versuch, den Stadtpark zur großen Musikbühne zu machen. Eine kleine ist ja eine feste Institution am Rande des Winterhuder Grüns. Für die Stones wäre das zu piefig. Und es wäre nach den Gesetzen der Rock-Ökonomie eine Herausforderung in Sachen Profitabilität.
Garantiesummen in Millionenhöhe für ein Konzert
Das Business läuft in groben Zügen so: Superstars wie die Rolling Stones verlangen in aller Regel eine Garantiesumme vom Veranstalter. Die konnte auch 2017 schon zwischen acht und zehn Millionen Euro pro Abend liegen. Dafür karrt das Rock-Unternehmen mit der markanten, von Andy Warhol entworfenen roten Zunge Tonnen an Equipment sowie Band und zahllose Helfer in Trucks, Bussen und Privatjet durch die Lande und liefert eine Show mit allem, was dazu gehört. Nach den ekstatischen Publikumsreaktionen und allem, was die Kritiker veröffentlichten, war das auch in Hamburg mal wieder so.
Der Veranstalter muss sich das Geld über die 82.000 Tickets zurückholen und Excel-Tabellen-scharf kalkulieren, wo er sparen kann, damit auch er ein Plus macht. Wer sich bei Promotern umhört, erfährt: Werden selbst in diesen Höhen nur ein paar Hundert Karten weniger als erwartet verkauft, wird das Minus schnell tiefrot. Auch in Hamburg hatte der Veranstalter deshalb nichts zu verschenken.
Eigentlich.
Rolling Stones Ticketaffäre: 200.000 Euro Miete – zu wenig?
Er brauchte aber die vielen Tausend Grashalme und den Boden, um die Kunststoffplatten und darüber ein paar Sitzreihen und die Bühne aufzubauen. Sprich: Der Stadtpark-Grund musste angemietet werden. Eine „Gebührenordnung für die Nutzung von Rasenflächen zur audiovisuellen Beschallung mit künstlerischem Wert in stadtteilübergreifender Form“ existierte so für den Bezirk Hamburg-Nord nicht. Amtsleiter Harald Rösler betrat zumindest in Teilen Neuland für seine Behörde, als er mit den Veranstaltern verhandelte.
Offenbar, so zeigte es der spätere Prozess am Landgericht, war schnell klar, dass der Bezirk 200.000 Euro Miete verlangte und auch bekommen sollte. Im Laufe der Gespräche mit dem lokalen Promoter soll Rösler jedoch erst 300, dann 100 Freikarten verlangt haben. Zu diesen Gratis-Tickets hat er ein Kontingent an Kaufkarten bekommen. Die standen also nicht dem breiten Publikum zur Verfügung. Mit 82.000 Zuschauern war das Konzert schnell ausverkauft.
Freitickets für Hamburger Beamte
Die 200.000 Euro waren allerdings bereits fix, bevor es um die Extra-Tickets ging – und sie waren eine angemessene Miete, stellte das Landgericht später fest. Auch ein paar Freikarten für repräsentative Zwecke sind alles andere als anstößig, meinten die Hamburger Richter. So war Rösler weder Bestechlichkeit noch Untreue vorzuwerfen. Allerdings wurde der pensionierte Bezirksamtschef wegen Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung zu 180 Tagessätzen von je 120 Euro verurteilt. Er hatte Freitickets an Mitarbeiter weitergegeben und sogar Staatsräten Kauftickets angeboten.
Mehr noch: Rösler soll dafür gesorgt haben, dass Schreiben rückdatiert werden, er habe geschenkte Tickets als „Arbeitskarten“ einstufen lassen und gegenüber der Bürgerschaft in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage gelogen.
Bundesgerichtshof verwarf Hamburger Stones-Urteil
Röslers Urteil vom April 2022 musste der Bundesgerichtshof überprüfen, denn die Staatsanwaltschaft war in Revision gegangen. Und mit einem Paukenschlag kassierte der BGH am 31. August 2023 die Hamburger Entscheidung: Alles neu! Der komplette Prozess muss neu aufgerollt werden. Von „durchgreifenden Rechtsfehlern“ sprachen die höchsten Richter. Möglicherweise war es doch Korruption. Eventuell war es gar keine Vorteilsgewährung. Der BGH verteilte eine derbe Klatsche an die Hamburger Justiz. Sein Urteil ließ Rösler gleichzeitig neu zittern und neu hoffen.
Vor Röslers Hamburger Prozess wurden Dutzende Verfahren geführt, auch gegen seine designierte Nachfolgerin. Es gab Einstellungen, Strafbefehle und Verurteilungen. Mit Rösler erhielt sein Stellvertreter eine Geldstrafe. Auch das muss neu verhandelt werden. Mehrere Staatsräte zahlten Strafbefehle, Beamte wurden wegen Vorteilsannahme belangt. Der Richter am Landgericht sagte zu Rösler: „Sie wussten, dass das nicht in Ordnung war.“ Der Bezirksamtsleiter hatte mit den Stones-Karten getrickst – doch für handfeste Korruption gab es zunächst keine Beweise.
Neue Regeln für Hamburger Beamte
Auch wenn Senatoren und politisch Verantwortliche in Bürgerschaft und Bezirken in Hintergrundgesprächen die Ticket-Affäre immer wieder heruntersäuseln wollten, so blieb doch ein politischer Schaden. Dass es einen „kleinen Fisch“ wie einen Bezirksamtsleiter traf, der einmal im Leben eine Flosse im Haifischbecken der Rolling Stones bewegen wollte, war vielen nur recht.
Aus Scham, erwischt werden zu können, ersannen findige Beamte als Lehre aus dem Fall Rösler im Jahr 2019 eine Neufassung der „Bekanntmachung über das Verbot und die ausnahmsweise zulässige Annahme von Belohnungen und Geschenken“. Das Personalamt (Referat P 10) schrieb an alle Behörden unter anderem: „Die ergänzenden behördlichen Regelwerke unterliegen nunmehr unter dem Blickwinkel der Kompatibilität zur Verwaltungsvorschrift und der Maßstabswahrung einem Zustimmungsvorbehalt des Personalamtes.“ Heißt: erst bei uns checken, dann schenken lassen.
Jan Delay durfte nicht kostenlos im Impfzentrum auftreten
In den Anlagen der 33 Seiten stehen die Beispiele, was man annehmen darf. So etwa „Blumen(strauß) – grundsätzlich verboten, im Ausnahmefall, wenn…“ Da geht es um geringe Werte (unter 20 Euro) oder ein Jubiläum oder für Lehrer, die Blumiges von einer Klasse oder der Elternschaft annehmen dürfen – nur nicht von einer Einzelperson. Einladungen sind klar beschrieben. Unter strengen Auflagen dürfen Beamte auch auf einer Regatta mitsegeln. Jetons in Spielcasinos sind grundsätzlich abzulehnen.
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Die erweiterte Regelung und die Angst vor einer neuerlichen Vorteilsnahme-Diskussion trieben bunte Blüten: So lehnte der Senat es ab, dass Jan Delay ein kostenloses Konzert im Impfzentrum in den Messehallen gab. Der Musiker war so begeistert von der Einrichtung, die von der Kassenärztlichen Vereinigung und den Online Marketing Rockstars (OMR) gemanagt wurde, dass er einen Kostnix-Gig anbot.
Stones-Bassist Darryl Jones über die Ticketaffäre
Da die Stadt Hamburg durch die behördliche Registrierung der Impfkandidaten und die staatliche Organisation des Impfstoffes auf dem Papier verantwortlich war, scheute sie davor zurück, sich ein ganzes Konzert schenken zu lassen. Enttäuschung bei denen, die Jan Delays Angebot kannten, war die Folge.
Und die Stones? Rollen einfach weiter. Bassist Darryl Jones sagte Ende 2021 im Abendblatt-Gespräch, er habe von dem Ticket-Skandal gehört. „Ja, da war was. Das ist misslich. Stones-Tickets, zumal mit besonderem Zugang, sind ein kostbares Gut, machen wir uns nichts vor.“
Die Band hat eine, nun ja, durchwachsene Beziehung zu politischen Autoritäten. Das hängt zusammen mit der Ablehnung jeder Art von Bevormundung noch aus den sechziger Jahren, der moralischen Hetzjagd auf die „bad boys“, der tatsächlichen Strafverfolgung wegen zahlreicher Drogendelikte und branchenüblicher Obszönitäten. Zerlegte Hotelzimmer wurden zumeist auf dem Wege außergerichtlicher Einigungen instandgesetzt.
Hamburger Skandal um die Rolling Stones bereits 1965
Im Laufe der Jahre zeigten sich Präsidenten und lokale Sheriffs im Backstage-Bereich mit Mick Jagger und Co. In Martin Scorseses Konzertfilm „Shine a light“ ist zu sehen, wie Hillary Clinton ihre Mutter Keith Richards vorstellt und Schlagzeuger Charlie Watts dabei die Augen verdreht. Richards berichtete einmal lachend, wie Stones-Musiker nach einem harten Polizeieinsatz gegen Fans in eine halbvolle Whiskeyflasche urinierten und dem Polizeichef anvertrauten, um auf das Wohl der Band anzustoßen.
Da lief es für Hamburgs Bürgermeister Herbert Weichmann beim ersten Stones-Konzert 1965 deutlich besser. Wegen der notorischen Krawalle war ihm von einem Besuch der Show abgeraten worden. Dabei hätte er wohl gern einen Blick auf die fünf Wilden geworfen. Als die Band in einer Alitalia-Maschine die Stadt verließ, saß Weichmann, der Zufall wollte es so, im selben Flieger, wie das Abendblatt schrieb. Die Rolling Stones flogen in der Ersten Klasse, Weichmann saß in der Economy.