Hamburg. Der Krankenstand in Hamburg ist derzeit so hoch wie lange nicht. Schulen appellieren an Eltern, erkrankte Kinder zu Hause zu behalten.
- Eine Krankheitswelle selten gekannten Ausmaßes überrollt derzeit Hamburg
- Schulen rechnen bereits mit Unterrichtsausfall und eingeschränktem Betrieb
- Auch die Handelskammer zeigt sich alarmiert: Viele Unternehmen melden hohen Krankenstand
Diese Infektionswelle sei schon heftig, sagt Ulrich Zipp-Veh. In den elf Jahren als Schulleiter des Gymnasiums Hochrad in Othmarschen hat er selten so einen hohen Krankheitsstand erlebt. Anfang der Woche meldeten sich 18 Lehrerinnen und Lehrer krank und 190 Schülerinnen und Schüler. Das sind fast 19 Prozent aller Lehrkräfte. Tendenz weiter steigend.
„Die Krankheitswelle hat nun auch unsere Schule erwischt“, hat er in einer Mitteilung an die Eltern geschrieben. Die Schule ist kein Einzelfall. Weitere Einrichtungen machen in Elternbriefen auf den hohen Krankenstand aufmerksam und senden teils regelrechte Hilferufe mit dem Appell, kranke Kinder zu Hause zu lassen.
Krankheitswelle sorgt für Unterrichtsausfall: Zu viele Lehrer krank
Schulleiter Ulrich Zipp-Veh kann die fehlenden Lehrkräfte noch kompensieren. „Wir versuchen, möglichst viel Unterricht vertreten zu lassen. Aber bei einem derart hohen Krankenstand ist dies nicht mehr in allen Fällen zu realisieren.“ Um möglichst wenig Lernstoff zu verpassen, schicken sogar erkrankte Kolleginnen und Kollegen für die Vertretungsstunden Aufgaben oder Unterrichtsmaterial, „aber dieses ist nicht jeder Lehrkraft möglich.“
In der derzeitigen Lage werde Unterricht ausfallen. „In den Klassen 5 bis 7 werden wir versuchen, möglichst allen Unterricht vertreten zu lassen, sodass für unsere jüngsten Schülerinnen und Schüler die verlässliche Betreuung gewährleistet ist.“ Weitere Maßnahmen: Mitglieder der Schulleitung unterrichten ebenfalls, gesunde Kollegen müssen Mehrarbeit leisten, außerdem hat Ulrich Zipp-Veh Lehrbeauftragte organisiert, also Lehramtsstudenten, die einspringen können.
Hamburgweit sind 16,3 Prozent der Lehrer und Lehrerinnen krank
Der Anteil der krankgemeldeten Lehrer ist hamburgweit mit 16,3 Prozent höher als in vergleichbaren Zeiträumen der Vorjahre (rund 12 Prozent in Wintermonaten). „Allerdings beinhaltet dieser Wert auch Lehrkräfte, die Kinder krankgemeldet haben, also nicht selbst erkrankt sind, sich aber um ihr Kind beziehungsweise ihre Kinder kümmern müssen“, so Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde.
Einzelne Schulen hätten sich bei der Behörde gemeldet, an denen es personelle Engpässen gibt und wo daher teilweise der Schulbetrieb eingeschränkt ist. „Die Schulen entscheiden in Absprache mit der Schulaufsicht über die zu treffenden Regelungen. Die Eltern werden von ihrer Schule informiert, eine Notbetreuung in den Randzeiten sichergestellt. An einzelnen Standorten wirkt sich die Erkrankungswelle auch auf die Ganztagsbetreuung durch externe Träger aus.“
Krankheitswelle hat Grundschule mit voller Wucht erwischt
Beispiel Grundschule Trenknerweg in Othmarschen: Wegen kranker Erzieher in der Nachmittagsbetreuung mussten viele Gruppen zusammengelegt oder auf andere Klassen aufgeteilt werden. „Die Krankheitswelle hat nun leider auch unsere Erziehungskräfte mit voller Wucht erreicht“, wird den Eltern gemeldet.
Nicht anders die Situation an den Katholischen Schulen. Dort gab es an einem Standort nur eingeschränkte Möglichkeiten in der Nachmittagsbetreuung, weil die Hälfte der Betreuer erkrankt war. „Da zugleich 30 Prozent der Kinder krankheitsbedingt fehlten, konnte die Nachmittags- und Hausaufgabenbetreuung trotzdem organisiert werden. Vereinzelte Nachmittagskurse fielen der Krankheitswelle zum Opfer“, sagt Christoph Schommer, Sprecher Schule und Hochschule im Erzbistum Hamburg.
Immunsystem außer Übung?
Der Unterricht kann bislang trotz der angespannten Lage an fast allen Standorten stattfinden. Schwieriger sei es, Ausfälle von Vorschulpädagogen abzudecken, da die Vorschulkinder ihre Bezugserzieher brauchen und nicht stundenweise aufgeteilt werden können. „Bei zwei von zwanzig Schulen mussten wir daher an einzelnen Tagen darum bitten, die Vorschulkinder nach Möglichkeit zu Hause zu lassen.“
Die Elbkinder Vereinigung Hamburger Kitas gGmbH, der größte Kitaträger der Stadt, der auch Ganztagsbetreuung an den Schulen anbietet, meldet beispielsweise von Januar bis September einen durchschnittlichen Krankenstand von 14,68 Prozent, der damit in diesem Jahr höher liegt als in den Vorjahren.
„Wir sind alle zwei Jahre mit Maske herumgelaufen, unser Immunsystem ist sicher außer Übung“, vermutet Schulleiter Zipp-Veh. Alle 20 Minuten werden die Fenster aufgerissen zum Stoßlüften, wer will, trägt weiterhin eine Maske, geniest wird in die Armbeuge und Hände werden regelmäßig gewaschen – all diese hygienischen Maßnahmen gelten weiterhin an Hamburgs Schulen. Nur die Luftfilter sind wegen der Energiekrise außer Betrieb.
Die Viren setzen sich dennoch durch. Da nicht jeder mit Grippe zum Arzt geht, wird die tatsächliche Zahl der meldepflichtigen Influenza höher als die aktuellen 488 Fälle liegen. „Erwartungsgemäß gibt es wegen Wegfall der Maskenpflicht und anderer Restriktionen und durch untrainierte Immunsysteme als Pandemiefolge höhere Influenza-Zahlen“, heißt es aus der Gesundheitsbehörde (siehe auch Text unten). Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum waren es nur sieben Fälle.
Eltern schicken ihre kranken Kinder zur Schule
Insbesondere Ältere, Menschen mit Grunderkrankungen und Beschäftigte in sozialen Berufen sollten sich unbedingt gegen Grippe impfen lassen, dazu rufen Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) und Präsident der Ärztekammer Hamburg, Dr. Pedram Emami, erneut auf.
Ganz unschuldig sind die Eltern an dieser heftigen Krankheitswelle wohl auch nicht. So muss eine Schulleitung einer Grundschule im Hamburger Westen eindringlich darum bitten, kranke Kinder nicht in die Schule zu schicken.
In der Mitteilung heißt es: „Leider kommen Kinder, die fiebrig sind, schwer „verrotzt“, massive Magen-Darm-Beschwerden haben. Kinder, die nur unter Tabletteneinfluss die Schule schaffen, sind krank und gehören dort nicht hin. Bitte schicken Sie Ihr Kind nur zu Schule, wenn Sie sich sehr sicher sind, dass ihr Kind den Tag auch durchhalten kann, niemanden ansteckt.“ An der Schulen waren von zehn Klassenlehrern acht Lehrer erkrankt. Dort konnte nur mit sehr große Notgruppen und mit teils angeschlagenen Lehrern unterrichtet werden.
Klassen müssen eventuell zu Hause bleiben
Eine ähnliche Krankheitslage zeigt sich an der Grundschule Rothestraße in Altona. Dort schreibt die Schulleitung den Eltern: „Zur Zeit haben auch wir sowohl in der Schülerschaft als auch im Gesamtkollegium einen äußerst hohen Krankenstand. Deshalb haben wir eine äußerst prekäre Vertretungssituation und haben große Probleme, selbst den Vertretungsunterricht aufrechtzuerhalten. Sollte sich diese Situation noch verschlimmern, müssen wir gegebenenfalls Klassen zu Hause lassen“, heißt es.
Es grassierten weiterhin Corona, die Influenza, schwere Erkältungskrankheiten. Die Leitung der Grundschule appelliert eindringlich an die Eltern, kranke Kinder nicht in die Schule zu schicken: „Auch bei Erkältungskrankheiten bitten wir Sie, dass sich Ihr Kind zu Hause auskurieren kann.“
Lage in Kinderkliniken ebenfalls angespannt
Weiterhin angespannt ist die Lage in Hamburgs Kinderkliniken. „Wir verzeichnen zurzeit eine erhöhte Anzahl von kleinen Kindern mit Atemwegsinfektionen. Vor allem Infektionen mit dem Respiratorischen Syncytial-Virus, kurz RS-Virus, haben zugenommen“, sagt Prof. Jun Oh, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Vermehrt würden Kinder mit diesen Erkrankungen stationär behandelt.
Etwas entschärft hat sich die dramatische Lage im Katholischen Kinderkrankenhaus Wilhelmstift nach der Schließung der kassenärztlichen Notfallpraxis am Wochenende, als Patienten bis zu acht Stunden warten mussten. Dies liege wohl auch daran, dass Eltern sich jetzt über den Patientenservice 116 117 eine erste ärztliche Einschätzung abholen, so Sprecherin Maike Hinrichs.
Krankheitswelle auch bei Unternehmen und Behörden
Auch die Hamburger Handelskammer schlägt Alarm. Viele Unternehmen berichten von einem hohen Krankenstand ihrer Mitarbeiter. „Vor allem Corona, Long Covid und Erkältungskrankheiten werden gemeldet“, sagte eine Sprecherin der Handelskammer.
Bei den städtischen Behörden wird derzeit ein Krankenstand von 9,5 Prozent verzeichnet. Auch die Grippe breitet sich aus. Seit Oktober wurden für die Hansestadt 488 Influenzafälle bestätigt.