Hamburg. Plötzlich geht es ganz schnell: Anlagenzahl soll sich laut Parteispitze schon bis 2027 verdoppeln. Vorschläge für Standorte vorgelegt.
Schon das bisherige Ziel ist ehrgeizig: Laut Vorgaben des Bundes muss Hamburg bis 2032 mindestens 0,5 Prozent seiner Fläche für die Erzeugung von Windenergie nutzen. Bisher stehen die 67 bestehenden Anlagen auf 0,24 Prozent der Fläche. Allerdings erfüllen die allermeisten davon aufgrund von Höhen- und Flächenbegrenzungen bisher nicht die gesetzlichen Kriterien für anrechenbare Windräder, sodass faktisch derzeit wohl weniger als 0,03 Prozent der Landesfläche als für Windkraft genutzt gelten.
Obwohl das Erreichen des 0,5 Prozent-Ziels bis 2032 also schon jetzt als ambitioniert gilt, soll es nun noch deutlich schneller gehen. Das jedenfalls fordern führende Grüne in einem von der Parteispitze unterstützten Antrag für die Landesmitgliederversammlung am Sonnabend kommender Woche.
Windräder in Hamburg: Ukraine-Krieg macht Ausbau besonders dringend
Die Stadt solle bereits „möglichst bis zum Jahr 2027, aber weit vor dem Jahr 2032“ die nötigen Flächen ausweisen, heißt es in dem von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Energie der Partei verfassten Antrag. Es lägen genügend Flächenvorschläge vor. Aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und der Energiekrise sei der Ausbau dringend nötig – zumal seit 2016 keine neuen Windräder in Hamburg genehmigt worden seien.
Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass der Antrag eine große Mehrheit findet, zumal er auch von der Parteiführung unterstützt wird. „Wir alle wissen, dass die Zeit massiv drängt und wir die erneuerbaren Energien noch schneller und ambitionierter ausbauen müssen“, sagte Parteivize Leon Alam dem Abendblatt. „Es ist unser Job als Partei voranzugehen und deutlich zu machen, an welchen Stellen es noch eine Umdrehung mehr braucht.“
Windräder: Grüne lehnen Bau in Naturschutzgebieten kategorisch ab
Auch die Altonaer Bundestagsabgeordnete Linda Heitmann unterstützt den Antrag – fordert in einem Ergänzungsantrag aber, ihn zu erweitern, um den Bau von Windrädern in Naturschutzgebieten auszuschließen. „Der Ausbau der Erneuerbaren muss jetzt mit Priorität vorangetrieben werden, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen“, sagte Heitmann dem Abendblatt. „Aber er darf und muss nicht auf Kosten des Naturschutzes geschehen.“
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In ihrem Antrag zeigt die LAG Energie auch auf, wie die Ausbauziele erreicht werden könnten. So soll die im Hamburger Flächennutzungsplan für die meisten Standorte festgelegte Höhenbegrenzung von 150 Metern nicht mehr beachtet werden, da das Verwaltungsgericht Braunschweig solche Begrenzungen für rechtswidrig erklärt habe. Durch die faktische Aufhebung der Höhenbegrenzung könnten bestehende niedrige Anlagen durch höhere und deutlich effizientere Windräder ersetzt werden. Man spricht hier neudeutsch von „Repowering“.
Grüne wollen Windräder vermehrt an großen Straßen bauen
Auch eine andere Änderung wird vorgeschlagen: Um mehr Platz für Windräder zu schaffen, sollen die bisher als sogenannte Rotor-in-Gebiete ausgewiesenen Flächen zu Rotor-out-Gebieten umdeklariert werden. Bei Rotor-out-Flächen darf der Rotor über deren Begrenzung hinausragen, nur der Turm muss auf der Fläche selbst stehen. Wenn wie bisher der Rotor nur innerhalb der Fläche drehen darf, spricht man von Rotor-in-Gebieten. Durch die Änderung bekämen die Anlagen also mehr Platz.
Um den Ausbau voranzutreiben, wollen die Grünen eine Sonderregelung nutzen, die „isolierte Positivplanung“. Diese ermögliche „zügig Genehmigungen auch außerhalb von bisher ausgewiesenen Eignungsgebieten“, ohne dass zuvor in einem jahrelangen Verfahren der Flächennutzungsplan geändert werden müsse. Auch plädieren die Grünen für vermehrten Bau von Windrädern in der Nähe von Autobahnen und Bundesstraßen. Hamburg solle sich dafür einsetzen, dass keine Abstände zu den Straßen von mehr als den im Bundesrecht verankerten 40 Metern gefordert würden.
Antrag für Parteitag erhöht Druck auf Hamburger Umweltsenator
Wird der Antrag beschlossen, so erhöhen die Grünen damit beim Ausbau der Windenergie den Druck auf den rot-grünen Senat und den eigenen Umweltsenator Jens Kerstan. Der hatte zuletzt noch argumentiert, die Windkraft sei für einen Stadtstaat nicht von so großer Bedeutung. Allein mit den großen neuen Wärmepumpen Dradenau und Borsigstraße erzeuge man so viel Energie wie mit allen bisherigen Windrädern. Die Partei sieht das offenbar anders und fordert von Kerstan, nach sieben Jahren Flaute endlich neue Windkraftanlagen auf den Weg zu bringen.
Freilich bemühen sich Parteispitze und Senator, den Antrag eher als Schützenhilfe für Kerstan zu deuten. Das betont auch Parteivize Alam, der die Verantwortung für den Stillstand beim Ausbau der früheren CDU-Bundesregierung zuweist. „Ich sehe den Antrag als Unterstützung für den Senator“, so Alam.
Kerstan sieht im Antrag keine Kritik, sondern „Rückenwind“
Auch Kerstan selbst betont nun auf Abendblatt-Anfrage: „Dieser Antrag gibt mir Rückenwind beim Ausbau der Windenergie in Hamburg.“ Die Forderungen im Antrag zielten „auf schnellere Verfahren zum Beispiel in Bezug auf die Identifizierung und Ausweisung geeigneter Flächen“, so Kerstan. „Auch das erwähnte Problem der Abstände zu Autobahnen und Bundesstraßen muss angegangen werden, um Hürden abzubauen.“ Er habe viele dieser Punkte bereits „auf Bundesebene eingebracht“.
Beim Landesverband des Bundesverbands Windenergie (BWE), der Vertretung der Anlagenbauer, begrüßt man den Grünen-Vorstoß. Wenn die Flächen zur Verfügung stünden, könne man sehr schnell neue Anlagen errichten, sagte Verbandsvize Jens Heidorn dem Abendblatt: „Interessenten gibt es genug.“
Windräder in Hamburg: Hier dürften auch die neuen Anlagen stehen
Wichtig sei es, dass die für die Genehmigungen zuständige Umweltbehörde personell gut genug ausgestattet sei, um die Verfahren zügig zu führen. Der BWE habe der Behörde bereits genügend Flächen vorgeschlagen, so Heidorn. Die Nutzung von Naturschutzgebieten sei dabei nicht notwendig.
Welche Flächen genau der BWE favorisiert, will Heidorn aber noch nicht sagen. Es ist allerdings aufgrund der äußeren Gegebenheiten davon auszugehen, dass diese wie bisher überwiegend in den Bezirken Bergedorf und Harburg liegen dürften.